Altenburg. In Altenburg kommt jetzt Agricolas barocke Hochzeitsoper „Achille in Sciro“ auf die Bühne. Mit dem vergnüglichen Musiktheater nahm 1765 ein unrühmliches Kapitel am preußischen Hof seinen Beginn.

Ungeschickt hantiert Amor mit dem Bogen, unschlüssig, wen sein Liebespfeil treffen soll. Denn hier, auf der Insel Skyros im Ägäischen Meer, hätte eigentlich niemand etwas anderes im Sinn als die Liebe – zögen nicht am Horizont die finsteren Wolken des Trojanischen Kriegs auf. Diese antik-mythologische Szenerie bringt das Altenburg-Geraer Theater nun auf die Bühne: mittels der Barockoper „Achille in Sciro“ von Johann Friedrich Agricola. Ein burleskes, hintergründiges Liebes-Spiel nimmt seinen Lauf, über dessen Folgeerscheinungen im wirklichen Leben man spekulieren darf. Am Sonntag ist Premiere in Altenburg.

Wohl niemand an Thüringens einzigem Fünf-Sparten-Theater vermag sich zu erinnern, wann man zuletzt eine Barockoper produziert hat. Intendant Kay Kuntze geht dieses kalkulierte Wagnis ein, um an den Komponisten Agricola zu erinnern, der anno 1720 in Dobitschen, nicht mal eine halbe Autostunde vom heutigen Standort des Altenburger Theaterzelts entfernt, das Licht dieser Welt erblickte, später bei Bach in Leipzig studierte und schließlich zum Hofkomponisten Friedrichs II. des Großen avancierte. So kam ihm 1765 auch die Aufgabe zu, die Hochzeitsoper für den preußischen Thronfolger zu schreiben – eben „Achille in Sciro“.

Von einer klassischen „Anlass-Oper“ spricht also Dramaturgin Sophie Jira, es gehe um die typische Entscheidung zwischen Pflicht und Neigung, also zwischen Staatsräson und privatem Glück, erklärt sie. Da gibt man dem herrschaftlichen Paar, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen und Prinzessin Elisabeth von Braunschweig-Wolfenbüttel, am vergnüglichsten Tage des Lebens tugendhafte Vorbilder mit auf den Weg. König Friedrich höchstselbst, der Philosoph auf dem Thron, soll das Libretto Metastasios ausgewählt haben.

Herzhafte Travestie führt zu erotischen Verwicklungen

Über dem Haupte des jungen Helden Achill schwebt das Menetekel, er werde im Trojanischen Krieg fallen. Deshalb versteckt seine Mutter Thetis ihn in Frauenkleidern und unter dem Pseudonym Pirra auf der sinnenfreudigen Insel Skyros – bis Odysseus dort anlandet, um den Drückeberger fürs griechische Heer zu rekrutieren. Zwar hat Achill sich inzwischen in die skyrische Königstochter Deidamia verliebt, kommt aber wegen seiner angeblich weiblichen Identität bei ihr schwerlich zum Zuge, indessen fast alle anderen – Deidamias ursprünglicher Bräutigam Teagene inklusive – der Pirra Avancen machen.

Am Theater Altenburg-Gera wird der ostthüringische Barockkomponist Johann Friedrich Agricola wiederentdeckt. Seine Oper
Am Theater Altenburg-Gera wird der ostthüringische Barockkomponist Johann Friedrich Agricola wiederentdeckt. Seine Oper "Achille in Sciro" wird nun dort zum ersten Mal seit 1765 wieder aufgeführt. Szenenfoto mit Giuseppe Claudio Insalaco (links) als Il destino und Maximiliano Danta als Teagene © Theater Altenburg-Gera | Ronny Ristok

Was ziemlich kompliziert klingt, ist mindestens ebenso unterhaltsam. Weil Gastdirigent Gerd Amelung, ein Alte-Musik-Experte von hohen Graden, dem auf der Bühne platzierten Philharmonischen Orchester straffe Barock-Sounds abverlangt, weil drei Countertenöre den heutigen Mangel an Kastraten vergessen lassen und weil mit Laurence Dale ein erfahrener Haudegen der Zunft, die Regie führt. Lustvoll verleiht der Brite dem scheinbaren Komödiengeplänkel eine burleske Grundnote.

Es sei alles bloß Rollenspiel, erklärt Dale, da Odysseus doch die Crossdressing-Tarnung Achills sofort durchschaut. Und Friedrich II. entpuppt sich in seinen Augen als grandioser Ironiker, indem er das – letztlich zwei Dutzend Mal vertonte – Libretto auswählte, das ausgerechnet seiner Erzfeindin Maria Theresia schon 1736 in Wien, mit Musik von Antonio Caldara, zum nämlichen Anlasse diente. Dale weiß nur zu gut, dass in Barockzeiten die Gender-Problematik viel freizügiger behandelt wurde als in den Jahrhunderten danach, und er spielt – zur hohen Virtuosität seiner hochgestimmten Helden – die Travestie-Trümpfe ebenso aus.

Nur auf der Bühne nimmt dieses Spiel ein „lieto fine“, ein glückliches Ende: Skyrer-König Licomede entscheidet, dass Achill die Deidamia ehelichen dürfe – sobald er aus dem Kampf um Troja zurückgekehrt sei. Für den hormonstrotzenden Helden, der sich genauso kriegs- wie liebeslüstern geriert, erscheint die Aussicht, beides, Pflicht und Neigung, erfüllen zu dürfen, geradezu ideal. Am preußischen Hofe hingegen begann mit Agricolas Oper ein massiver Skandal.

Denn Friedrichs II. Fingerzeig bei der Libretto-Wahl hatte sein Neffe und Thronfolger wohl nicht verstanden, 1769 wurde die Ehe geschieden, die Gattin wegen Untreue bis ans Lebensende inhaftiert. In seinen Memoiren resümierte der König: „Der Gatte, jung und sittenlos, einem ausschweifendem Leben hingegeben, übte täglich Untreue an seiner Gemahlin; die Prinzessin sah sich gröblich beleidigt (...). Bald ergab sie sich Ausschweifungen (...); die Katastrophe brach aus und wurde publik.“

Die Zeiten haben sich geändert, und Amors Pfeil – nun ja! – trifft, wen er will.

Premiere in Altenburg: Sonntag, 7. April, 18 Uhr; Premiere in Gera: Freitag, 24. Mai. www.theater-altenburg-gera.de