Jena. Aus der Ukraine geflohen, schafft Valeria Sviatun in Jena und auch thüringenweit mit Tanzabenden ein Stück Heimat.

Auf dem Jenaer Holzmarkt herrscht reges Treiben. Ich bin verabredet mit Valeria Sviatun, einer Ukrainerin, die schon seit über zwei Jahren in Jena lebt. Wir sitzen auf der Terrasse eines Cafés am Marktplatz. Die 33-Jährige stammt gebürtig aus Kiew, ist großgewachsen, ihr dunkelrotes Haar gelockt. Von Freunden wird sie meist Lera genannt.

Meinungsspektrum der Ukrainer klafft weit auseinander

Über eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge sind in Deutschland registriert, 32.000 davon in Thüringen. Am 24. Februar 2022 erwachte sie, wie so viele ihrer Landsleute, durch Explosionen und Lärm, die russische Armee überfiel die Ukraine. Gemeinsam mit ihrer damals zehnjährigen Tochter verließ sie umgehend die Stadt. Valeria wollte zunächst zu in Deutschland lebenden Verwandten, die bereits vor über zehn Jahren dorthin gezogen waren. Die sagten aber nur, es gäbe keinen Anlass zur Sorge, Putin habe alles im Griff, in drei Tagen sei Kiew befreit von der Verbrecherregierung Selenski. Die 33-Jährige wundere sich manchmal, wie viele prorussische Ukrainer es gäbe, das Meinungsspektrum ihrer Landsleute klaffe mitunter weit auseinander. Doch glücklicherweise hatte noch andere Kontakte in Deutschland: Eine Freundin lebte seit Anfang der 2000er in Jena. Sie fuhr zu ihr, am 04. März 2022 traf sie in Thüringen ein. Und blieb. Denn Putins Krieg war nicht nach drei Tagen vorbei …

Kurz nach ihrer Ankunft fiel Valeria mental in ein Loch. Ungewisse Zukunft, Verlorenheit in der Fremde, zu viel freie Zeit. Kein Vergleich zu ihrem früheren Leben. „Arbeit in der Ukraine, das war nicht wie hier in Deutschland, dass man nur einen einzigen Arbeitsplatz hat. Viele sind in mehreren Bereichen tätigt, sonst reicht das Geld nicht.“ In Kiew gehörten ihr damals drei Onlineshops, auf der die studierte Betriebswirtschaftlerin mit Wachstumspräparaten und Baumaterialien handelte. Zusätzlich verdingte sie sich als Logistikerin und organisierte große Tanzevents. Zu ihren Bachata- und Salsa-Abenden kamen oft über tausend Menschen.

Manchmal liegt nicht nur Musik, sondern auch Liebe in der Luft

Im Juni 2022 begann Valeria Sviatun, in Thüringen ebenfalls Tanzabende zu organisieren. Die Gesellschaft für Migration und Integration (MIG) und das Jenaer Veranstaltungshaus Kubus halfen ihr dabei. Zu den ersten Treffen kamen vor allem ukrainische Geflüchtete, doch es dauerte nicht lange, und immer mehr Deutsche wollten mittanzen. Regelmäßig organisiert Lera jetzt Bachatapartys, oft kommen an die hundert Leute. Außerdem bündelt sie Informationen über Tanzveranstaltungen thüringenweit und fordert ihre Landsleute zur Teilnahme auf. Viele Deutsche hätten sich auf ihren Abenden sogar schon verliebt. Sie selbst lernte ihren deutschen Freund durch einen ihrer Tanzabende kennen.

Valeria möchte bleiben in Deutschland, im Gegensatz zu vielen anderen Ukrainern. Diese fühlten sich entwurzelt, würden am liebsten zurück nach Hause. „Ohne meine Tochter wäre ich damals in Kiew geblieben“, sagt die Hobbytänzerin. Sie hat viel unternommen gegen die anfängliche Einsamkeit in der Fremde. „Wenn jemand nach Deutschland flüchtet und hier keinen kennt, dann kommt er nicht nach Jena. Er wird nach Berlin, Köln oder wenigstens nach Erfurt gehen.“ Doch sie habe ihre Freunde aus der Heimat ermuntert, in die Stadt an der Saale zu kommen. Mittlerweile seien schon zehn enge Freundinnen nachgereist, sie habe sich um Wohnung und Papierkram gekümmert.

Eine weiße Krähe allein unter Deutschen

Manchmal betätigt Valeria sich auch als Freiwillige. So bespricht sie zum Beispiel mit anderen Ukrainern, wie Deutschland funktioniert, wie man eine Bewerbung schreibt oder mit deutschen Arbeitskollegen zurechtkommt. Das sei nicht immer einfach, allein unter Deutschen fühle sie sich mitunter wie eine „weiße Krähe“, ein russisches Sprachbild, das im Deutschen einen bunten Hund bezeichnet.

Das Leben sei geruhsamer hier in Deutschland. Weniger Stress, besseres Essen, saubere Luft. „Die Ukrainer leben sehr schnell und gestresst, sterben viel früher. Mich beeindruckt, wie vital Rentner hier aussehen und noch am öffentlichen Leben teilnehmen.“ Ein bisschen mehr Dampf könne aber punktuell auch den Deutschen nicht schaden. Die kulturellen Unterschiede seien groß, das sei ihr gleich aufgefallen. Die Bürokratie arbeite sehr langsam, alles passiere auf dem Papier. „In der Ukraine gibt es fast keine Briefkästen mehr. Rechnungen, Dokumente, Ladungen … das kriegst du alles per App“

Ihre Tochter vermisst die Heimat

Lera sieht ihre Zukunft mittlerweile in Deutschland. Im Gegensatz zu ihrer Tochter. Das Mädchen vermisst die Heimat und kann sich nur schwer einleben. Zu allem Überfluss wird sie doppelt beschult. Wenn sie am frühen Nachmittag aus dem Gymnasium heimkommt, wartet oft noch ukrainischer Unterricht über Zoom. Am meisten gefällt Valeria, dass den Deutschen der Sonntag so heilig ist. „Das gibt es in der Ukraine nicht, da arbeitet man jeden Tag.“ Hier hingegen ist der Sonntag für die Familie reserviert.

Valeria schaut auf ihr Handy. Es sei Zeit, zu gehen. Sie greift mit ihren rot lackierten Fingern nach der Porzellantasse und trinkt ihren Cappuccino aus. Den könne man in diesem Café mit Genuss trinken, meint Lera grinsend. „Der Kaffee hier ist etwas Besonderes. Meistens kriegst du in Deutschland ja nur diesen hellbraunen Filterkaffee mit Büchsenmilch drin. Daran kann ich mich bis heute nicht gewöhnen.“

Die Zeit drängt, in einer Stunde geht‘s nach Erfurt in den Presseklub. Dort ist am Abend mal wieder Bachataparty.

Kommende Tanzveranstaltungen in der Region

18.04.2024
Bachataparty in Jena
19:30 - 20:30: Anfängerkurs // 20:30 - 23:00: Party
Ort: Kubus, Theobald-Renner-Straße 1a, 07747 Jena

Jeden Donnerstag
Salsa Party in Weimar
ab 21:00 Uhr
Ort: Schützengasse 2, Weimar

17.04.2024
Salsa-Mittwoch in Erfurt
ab 19:00 Uhr
Ort: Presseklub, Dalbergsweg 1, 99084 Erfurt