Weimar. Der Weimarer Dirigent, Musikwissenschaftler und Hochschullehrer feiert runden Geburtstag

Obschon in Weimar innig verwurzelt, ist Peter Gülke, des erwartbaren Gratulantentrubels halber, seiner Vaterstadt für ein paar Tage entflohen, um im Kreis seiner Lieben – fernab, in Gefilden Fontanes – zu feiern: Denn der Doyen des thüringischen Musiklebens erblickte am 29. April 1934 erstmals das Licht dieser Welt.

Fürs Rampenlicht der Öffentlichkeit hingegen, so beteuert er verschmitzt, sei er nicht begabt. Dabei schaut er doch auf einen langen, erfolgreichen Weg im Dreiklang als Dirigent, Musikwissenschaftler und Hochschullehrer zurück – und teils noch voraus; nur von seiner Lehrprofession – etwa an der Hochschule in Freiburg und bis 2002 an der Uni Basel – ist der mit Preisen und Auszeichnungen Höchstdekorierte inzwischen emeritiert.

Wer mit Peter Gülke zu tun hat, erlebt ihn hellwach, substanziell in den Künsten versiert und dem Gegenüber stets zugetan. Nach gar nicht altmodischem Ideal bündelt dieser Citoyen, in direkter Linie mit Goethes Schwager Vulpius verwandt, humanistische Bildung und Haltung in seiner Person; Menschen wie ihn meinte ehedem Thomas Mann, als er über den „Adel des Geistes“ schrieb.

2014 erhielt er den Ernst von Siemens-Musikpreis

Das lateinische „Sapere aude!“ (Wage es, deinen Verstand zu gebrauchen) ist dem Spross einer aufklärerischen Denkungsart seit je Panier – und wenn es sein muss, mischt Gülke sich ein: etwa 2015, als hiesige Kulturpolitik das Weimarer Musiktheater und damit den Standort der Staatskapelle infrage stellte, adressierte er einen Brandbrief an den Ministerpräsidenten. Im Verein mit all den anderen protestierenden Bürgern zeitigte dies den Erfolg, dass es blieb, wie es gut ist.

Gewicht hatte seinerzeit nicht zuletzt, dass Gülke gerade mit dem Ernst von Siemens-Musikpreis, der in der klingenden Zunft wie ein Nobelpreis angesehen wird, geehrt worden war. Neben solchen Höhepunkten im Leben hat der nun 90-Jährige indes auch dessen Tiefen erfahren. Dass Kulturideologen der DDR ihn verfemten, weil er für Adornos Beethoven-Bild eintrat, hinterließ tiefe Narben.

Anno 1983 hatte sich Gülke als Dirigent vom Rudolstädter Kapellmeister über die Stationen Stendal, Potsdam, Stralsund und Dresden bis zum Generalmusikdirektor in Weimar hinaufgearbeitet und blieb, weil er die Betonköpfe des DDR-Regimes nicht mehr ertrug, nach einem Hamburger Gastdirigat „drüben“, im Westen. Ein ganzes Jahr dauerte es dann, bis man dem Ausreiseantrag der geliebten Familie entsprach. Falls Gülke heute in mündlicher Rede je ein Kraftausdruck entfährt, gilt er den fatalen Ideologen jener Zeit.

Als GMD von Weimar nach Wuppertal

Flugs wurde damals der Dissident in Berlin von Carl Dahlhaus im Akademischen habilitiert und übernahm im Praktischen von 1986 bis 1996 den GMD-Taktstock am Opernhaus Wuppertal, setzte sich fürs Zeitgenössische ein, dirigierte den „Ring“ und gastierte in aller Welt. Nur eine weitere, letzte Chefstelle trat er später, schon jenseits der 80, noch in Brandenburg/Havel an.

Als Gast ist der Dirigent Gülke noch immer gefragt. Und wer ihn als Hommes des lettres erleben will, dem sei – neben all seinen musikwissenschaftlichen Expertisen – sein Weimar-Buch als flamboyante Liebeserklärung eines zutiefst kundigen Flaneurs ans Herz und auf den Nachttisch gelegt.