Berlin. Im TV-Talk geht es um die Interpretation der Kriminalitätsstatistik: Eine Wissenschaftlerin will das Thema Zuwanderung wegdiskutieren.

Seit der Veröffentlichung der jüngsten bundesweiten Kriminalitätsstatistik tobt ein Streit um die Deutung der Zahlen: 5,5 Prozent mehr registrierte Straftaten als im Vorjahr, so viele wie seit 2016 nicht mehr. Vor allem der Anstieg der Gewaltdelikte lässt aufschrecken. Und: Bei Raubdelikten, Straftaten gegen das Leben und gefährlicher sowie schwerer Körperverletzung ist der Ausländeranteil signifikant überproportional – bei steigender Tendenz. Der Anstieg, so heißt es im Bericht, steht ausdrücklich mit dem „aktuellen Migrationsgeschehen“ und der „umfangreichen Zuwanderung“ in Zusammenhang.

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Kein Wunder also, dass das Thema politisch so vermint ist: Im linksgrünen Spektrum wird auffallend versucht, das Thema kleinzureden. Und ganz rechts wird dramatisiert, um Stimmung zu machen.

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Die Kriminalstatistik als „Tätigkeitsbericht“ der Polizei

Bei Markus Lanz ist die Gefechtslage ähnlich: Der SPD-Politiker und Kriminalhauptkommissar Sebastian Fiedler versucht vor allem zu erklären, warum die Statistik so schwer zu interpretieren ist – weil man in ihr nämlich in erster Linie einen „Tätigkeitsbericht“ der Polizei zu verstehen habe. Und diese Arbeit verlagere sich unter bestimmten Vorzeichen: Wenn in Nordrhein-Westfalen Innenminister Herbert Reul (CDU) eine „Taktik der 1000 Nadelstiche“ gegen kriminelle Clans führe, dann tauche das Thema natürlich auch verstärkt in der Statistik auf. Aber – da ist Fiedler sehr deutlich: Deutschland sei in Sachen Drogenkriminalität, Gewalttaten und sexualisierter Gewalt unsicherer geworden. Nun müsse man schauen, wie man das in den Griff bekomme.

Die Kriminologin, die das Thema Zuwanderung als Ursache wegmoderiert

Die Kriminologin Nicole Bögelein von der Uni Bielefeld gehört zum Spektrum jener, die das Thema Zuwanderung vor allem wegmoderieren möchten: Die Statistik werde propagandistisch von rechten Kräften falsch interpretiert. Ausländer würden schlicht öfter angezeigt, weil sie eben Ausländer seien. Sie entstammten zudem häufig sozialen Milieus, die weniger Aufstiegschancen böten. Es kämen vor allem junge Männer, eine Bevölkerungsgruppe, die weltweit für die meisten Delikte verantwortlich sei.

Einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalitätsentwicklung will sie dagegen nicht erkennen. Deutschland müsse mehr tun, um die Integration zu verbessern. An dieser Stelle platzt Moderator Lanz der Kragen: „Wenn jemand in dieses Land kommt und kriminell wird, dann ist das doch dessen Entscheidung – das ist doch nicht die Verantwortung des Gastlandes!“

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Mansour: Das sind alles Ausreden, um Ursachen nicht zu benennen

Und auch der Psychologe Ahmad Mansour hält Erklärungen wie die von Bögelein für politisch motivierte Ausreden, um die tatsächlichen Probleme nicht beim Namen nennen zu müssen: „Wenn in den Tätergruppen bestimmte Menschen mit bestimmten Sozialisationen häufiger aufgetreten sind, dann müssen wir über die Ursache sprechen“, sagte er. Wenn man das nicht tue, weil es unangenehm erscheine oder politisch nicht opportun, wenn man also Offensichtlichkeiten nicht beim Namen nenne, dann bereite und überlasse man das Feld den rechtsradikalen Kräften, die das für sich nutzten.

Ahmad Mansour: Wer Offensichtlichkeiten nicht beim Namen nennt, leistet der radikalen Rechten Vorschub.
Ahmad Mansour: Wer Offensichtlichkeiten nicht beim Namen nennt, leistet der radikalen Rechten Vorschub. © Jörg Carstensen/dpa | Unbekannt

„Wir müssen versuchen, die Ursachen zu verstehen, die zu Gewalttaten führen.“ Eine solche Ursache sah Mansour in patriarchalen, häufig islamisch geprägten Strukturen und der Herkunft Zugewanderter aus „superautoritären“ Ländern mit einer „undemokratischen Polizei“. Hier machten sie dann die Erfahrung, „dass alles irgendwie durchgeht, dass sie kaum Konsequenzen spüren“. Das sei eine „Einladung weiterzumachen, weitere Straftaten zu begehen, Polizisten anzugreifen“.

Ohne Obergrenze keine ordentliche Integration der Zugewanderten

Und er geht noch weiter: Um diese Ursachen zu bekämpfen und eine ordentliche Integration der zugewanderten Menschen zu gewährleisten, braucht es Bildungsangebote, Sprachkurse, Begleitung. Und das alles klappe in den Kommunen derzeit nicht mehr, weil die Kapazitäten erschöpft seien. Deshalb sei eine Obergrenze an Zuwanderung auch unerlässlich. Ohne scheitere die Integration an der Überlastung der Systeme. (ftg)

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