Berlin. Der französische Dokumentarfilm „Stevie Wonder – Der Weg zur Legende“ feiert den unerschütterlichen Optimismus des Ausnahmekünstlers.

„Lasst nicht zu, dass jemand euch das Gefühl gibt, niemand zu sein. Fliegt. Wenn ihr nicht fliegen könnt, lauft, wenn ihr nicht laufen könnt, geht, wenn ihr nicht gehen könnt, kriecht – Hauptsache, ihr bleibt in Bewegung.“ Die flammenden Worte des 1968 ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King, denen in der Arte-Doku bedrückende Bilder der Rassen-Unruhen im Amerika der 1950er- und 1960er-Jahre unterlegt sind, ziehen sich wie ein Leitmotiv durch das Leben Stevie Wonders.

Ohne seine Hartnäckigkeit, ohne seinen unerschütterlichen Glauben an Brüderlichkeit, an die Rechtsgleichheit aller Menschen hätte es der 1950 als Steveland Hardaway geborene Komponist, Texter, Sänger, Multiinstrumentalist und Produzent kaum geschafft, zu einem der einflussreichsten amerikanischen Musiker aufzusteigen.

Unveröffentlichte Archivaufnahmen über Stevie Wonder

Über 100 Millionen Alben hat er verkauft, seit er als Neunjähriger seinen ersten Vertrag beim legendären Musiklabel Motown Records erhielt und dort bald im Ruf eines Wunderkindes (deshalb Stevie „Wonder“) stand. Seine unzähligen Hits – „I Just Called to Say I Love You“ etwa, „Superstition“ oder „You Are the Sunshine of My Life“ – verbinden nicht nur Soul, R&B und Pop, sondern auch Generationen und Völker.

Die Temptations, die Miracles, Stevie Wonder (M.), Martha and the Vandellas und die Supremes bei EMI Records im März 1964.
Die Temptations, die Miracles, Stevie Wonder (M.), Martha and the Vandellas und die Supremes bei EMI Records im März 1964. © © Hulton Archives / Getty Images | Handout

Weil die optimistische, zutiefst humanistische Botschaft universell ist. Mit vielen bislang unveröffentlichten Archivaufnahmen blickt die französische Produktion auf die gesamte Karriere des bekennenden Christen, der sein Ausnahmetalent als Gottesgeschenk betrachtet und selbst seine Erblindung (als Frühgeburt wurde ihm im Inkubator zu viel Sauerstoff zugeführt) als Fingerzeig des Herrn deutet. Als Blinder sieht er, wie der US-Rapper Coolio sagt, mehr als Sehende – er sieht in die Seele.

Seinen ersten Hit schrieb er noch als Schüler

„Der Weg zur Legende“ heißt es im deutschen Untertitel. Treffender wäre das französische Original „Visionär und Prophet“. Fasziniert verfolgt man, wie Wonder seit seinem ersten selbst geschriebenen Hit „Uptight“ (da war er noch Schüler) kontinuierlich seine Inspirationen und Erfahrungen zu Pop-Utopien im Geiste Martin Luther Kings verdichtet hat.

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Martin Luther King – Kampf für Rechte

Der Baptistenprediger Martin Luther King gilt als Inbegriff der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Am 4. April 1968 wurde King bei einem Attentat ermordet.
Der Baptistenprediger Martin Luther King gilt als Inbegriff der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Am 4. April 1968 wurde King bei einem Attentat ermordet. © dpa | -
Martin Luther King Jr. kam am 15. Januar 1929 in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia zur Welt. Seine Mutter war Lehrerin, der Vater Prediger. Als junger Mann studierte er.
Martin Luther King Jr. kam am 15. Januar 1929 in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia zur Welt. Seine Mutter war Lehrerin, der Vater Prediger. Als junger Mann studierte er. © dpa | UPI
King wurde Pfarrer in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama und heiratete seine langjährige Freundin Coretta Scott Williams. Sie bekamen vier Kinder.
King wurde Pfarrer in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama und heiratete seine langjährige Freundin Coretta Scott Williams. Sie bekamen vier Kinder. © dpa | Handout
Sein Aufstieg zur Ikone der Bürgerrechtsbewegung begann 1955, als sich die Schwarze Rosa Parks in Montgomery weigerte, ihren Platz im Bus für einen Weißen freizumachen. Sie wurde festgenommen. Es kam zu Protesten, King führte die Aktion an. Sie endete ein Jahr später mit einem Erfolg: Der Oberste Gerichtshof erklärte die Trennung der Sitzzonen im Bus nach Hautfarbe in der Stadt für verfassungswidrig.
Sein Aufstieg zur Ikone der Bürgerrechtsbewegung begann 1955, als sich die Schwarze Rosa Parks in Montgomery weigerte, ihren Platz im Bus für einen Weißen freizumachen. Sie wurde festgenommen. Es kam zu Protesten, King führte die Aktion an. Sie endete ein Jahr später mit einem Erfolg: Der Oberste Gerichtshof erklärte die Trennung der Sitzzonen im Bus nach Hautfarbe in der Stadt für verfassungswidrig. © dpa | -
King wurde zu einem landesweit bekannten Mann. Seine Redekunst half ihm, die Proteste durch die ganzen USA zu tragen. Höhepunkt war im August 1963 der Marsch auf Washington mit rund 250.000 Teilnehmern.
King wurde zu einem landesweit bekannten Mann. Seine Redekunst half ihm, die Proteste durch die ganzen USA zu tragen. Höhepunkt war im August 1963 der Marsch auf Washington mit rund 250.000 Teilnehmern. © dpa | Uncredited
„I Have a Dream“, rief King der Menge in seiner Rede zu, in der er die Vision der Gleichheit von Schwarz und Weiß entwarf.
„I Have a Dream“, rief King der Menge in seiner Rede zu, in der er die Vision der Gleichheit von Schwarz und Weiß entwarf. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Martin Luther King Jr. am 28. August 1963 auf der National Mall in Washington.
Martin Luther King Jr. am 28. August 1963 auf der National Mall in Washington. © imago | imago
Bereits im Juni 1963 hatte Präsident John F. Kennedy einen Gesetzentwurf zur Gleichberechtigung vorgelegt (im Bild: ein Treffen von Justizminister Robert F. Kennedy mit Bürgerrechtlern). Kennedy kam aber nicht voran in seinen Bemühungen. Er wurde im November 1963 ermordet, doch sein Nachfolger Lyndon B. Johnson führte den Plan zu Ende. Am 2. Juli 1964 wurde der Civil Rights Act verabschiedet.
Bereits im Juni 1963 hatte Präsident John F. Kennedy einen Gesetzentwurf zur Gleichberechtigung vorgelegt (im Bild: ein Treffen von Justizminister Robert F. Kennedy mit Bürgerrechtlern). Kennedy kam aber nicht voran in seinen Bemühungen. Er wurde im November 1963 ermordet, doch sein Nachfolger Lyndon B. Johnson führte den Plan zu Ende. Am 2. Juli 1964 wurde der Civil Rights Act verabschiedet. © REUTERS | HANDOUT
Im September 1964 war Martin Luther King in West-Berlin zu Gast und wollte auch in die DDR. Seine Einreise nach Ost-Berlin löste fast eine diplomatische Krise aus. Er war im Westteil (hier mit Bischof Otto Dibelius und dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, r.)und entschied sich zu einem Besuch auf der anderen Seite der Mauer. Die Vertretung des US-Außenministeriums versuchte noch, dies zu verhindern. Vergeblich. King überbrachte seinen Ost-Berliner Zuhörern Grüße aus West-Berlin und Amerika und prangerte die Mauer als Symbol der Teilung an.
Im September 1964 war Martin Luther King in West-Berlin zu Gast und wollte auch in die DDR. Seine Einreise nach Ost-Berlin löste fast eine diplomatische Krise aus. Er war im Westteil (hier mit Bischof Otto Dibelius und dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, r.)und entschied sich zu einem Besuch auf der anderen Seite der Mauer. Die Vertretung des US-Außenministeriums versuchte noch, dies zu verhindern. Vergeblich. King überbrachte seinen Ost-Berliner Zuhörern Grüße aus West-Berlin und Amerika und prangerte die Mauer als Symbol der Teilung an. © dpa | dpa
Ende des Jahres nahm King in Oslo den Friedensnobelpreis entgegen.
Ende des Jahres nahm King in Oslo den Friedensnobelpreis entgegen. © imago | imago
Sein Kampf war damit aber längst nicht abgeschlossen. Die Gleichheit der Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben existierte nur auf dem Papier.
Sein Kampf war damit aber längst nicht abgeschlossen. Die Gleichheit der Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben existierte nur auf dem Papier. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Im März 1965 kam es in Selma (US-Bundesstaat Alabama) zu Protestmärschen. King organisierte eine große Demonstration, die bis ins nicht weit entfernte Montgomery führen sollte. Bei den ersten beiden Versuchen hielten Polizisten den Zug auf. Beim dritten Anlauf kamen die Demonstranten ans Ziel.
Im März 1965 kam es in Selma (US-Bundesstaat Alabama) zu Protestmärschen. King organisierte eine große Demonstration, die bis ins nicht weit entfernte Montgomery führen sollte. Bei den ersten beiden Versuchen hielten Polizisten den Zug auf. Beim dritten Anlauf kamen die Demonstranten ans Ziel. © imago/United Archives International | imago stock&people
Im selben Jahr wurde der Voting Rights Act verabschiedet, nach dem Minderheiten bei Wahlen nicht mehr benachteiligt werden dürfen. King erhielt während der Jahre regelmäßig Todesdrohungen.
Im selben Jahr wurde der Voting Rights Act verabschiedet, nach dem Minderheiten bei Wahlen nicht mehr benachteiligt werden dürfen. King erhielt während der Jahre regelmäßig Todesdrohungen. © imago/Cinema Publishers Collection | White House/Yoichi Robert Okamot
Am Abend des 4. April 1968 wurde er auf dem Balkon eines Motels in Memphis erschossen. Das Lorraine, benannt angeblich nach Nat King Coles Liebeslied „Sweet Lorraine“, war eine bekannte Übernachtungsstätte schwarzer Künstler. Der Hergang des Attentats ist oft erzählt: Es war kurz nach 18 Uhr. King stand auf dem Balkon, scherzte mit Freunden und Bekannten. Man wollte zum Abendessen gehen. Die Todeskugel traf ihn an Hals und Kinn.
Am Abend des 4. April 1968 wurde er auf dem Balkon eines Motels in Memphis erschossen. Das Lorraine, benannt angeblich nach Nat King Coles Liebeslied „Sweet Lorraine“, war eine bekannte Übernachtungsstätte schwarzer Künstler. Der Hergang des Attentats ist oft erzählt: Es war kurz nach 18 Uhr. King stand auf dem Balkon, scherzte mit Freunden und Bekannten. Man wollte zum Abendessen gehen. Die Todeskugel traf ihn an Hals und Kinn. © dpa | Michael Donhauser
Nicht einmal 100 Meter entfernt fand die Polizei die mutmaßliche Mordwaffe, ein Remington-Gewehr, mit einem Fingerabdruck, der zum Täter führen sollte. Zwei Monate später wurde James Earl Ray als Tatverdächtiger festgenommen, ein Gewohnheitskrimineller. Er wurde zu 99 Jahren Haft verurteilt. Viele meinen, er habe nicht allein gehandelt. Ein Kongressausschuss kam 1979 zu der Vermutung, Ray habe Helfer gehabt. Wer das gewesen sein könnte, bleibt unbeantwortet.
Nicht einmal 100 Meter entfernt fand die Polizei die mutmaßliche Mordwaffe, ein Remington-Gewehr, mit einem Fingerabdruck, der zum Täter führen sollte. Zwei Monate später wurde James Earl Ray als Tatverdächtiger festgenommen, ein Gewohnheitskrimineller. Er wurde zu 99 Jahren Haft verurteilt. Viele meinen, er habe nicht allein gehandelt. Ein Kongressausschuss kam 1979 zu der Vermutung, Ray habe Helfer gehabt. Wer das gewesen sein könnte, bleibt unbeantwortet. © imago/United Archives International | Personalities
King starb mit nur 39 Jahren.
King starb mit nur 39 Jahren. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Beigesetzt sind Martin Luther King Jr. und seine Frau Coretta Scott King in Atlanta.
Beigesetzt sind Martin Luther King Jr. und seine Frau Coretta Scott King in Atlanta. © dpa | Erik S. Lesser
Touristen am Ort des Attentats, dem „Lorraine Motel“ in Memphis.
Touristen am Ort des Attentats, dem „Lorraine Motel“ in Memphis. © dpa | Christina Horsten
Das Vermächtnis Martin Luther Kings spielt für Afro-Amerikaner weiter eine nicht zu überschätzende Rolle.
Das Vermächtnis Martin Luther Kings spielt für Afro-Amerikaner weiter eine nicht zu überschätzende Rolle. © dpa | Mike Brown
In Memphis wird der Ikone nicht nur bei der jährlichen Parade zum Martin Luther King Day gedacht.
In Memphis wird der Ikone nicht nur bei der jährlichen Parade zum Martin Luther King Day gedacht. © dpa | Mike Brown
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Es sind Lieder für all jene, die schwere Zeiten durchmachen und an eine bessere Zukunft glauben. Dass sein Kampf gegen jede Form von Ungerechtigkeit mit den Jahren immer stärker und universeller wurde, das belegt der Film nicht nur mit der „Oscar“-Verleihung 1985.

„Happy Birthday“ – ein Song für Martin Luther King

Wonder, der für „I Just Called to Say I Love You“ (aus dem Film „Die Frau in Rot“) geehrt wurde, widmete die Trophäe Nelson Mandela und der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika. 13 Jahre später spielte er vor dem frisch vereidigten Präsidenten Mandela.

Von der politischen Dimension des Visionärs und Propheten kündet auch der begeisternde Song „Happy Birthday“: Präsident Ronald Reagan war es, der nach einer mehrjährigen Kampagne Wonders 1983 den Geburtstag Martin Luther Kings (20. Januar) zum nationalen Gedenktag erhob. Heute, im gespaltenen Amerika der Trump-Ära, hat Stevie Wonders Botschaft unveränderte Kraft.

  • „Stevie Wonder – Der Weg zur Legende“, Freitag, 29. November, Arte, 21.50 Uhr