NSU Prozess: Der Raubüberfall von Arnstadt

Kai Mudra
| Lesedauer: 8 Minuten
Mit diesem Foto einer Überwachungskamera vom 7. September 2011 suchte die Polizei nach den Tätern eines Raubüberfalls in einer Sparkassenfiliale in Arnstadt. Auf dem Bild soll im Vordergrund Uwe Mundlos in einer Maske mit "Vampirmotiv" zu sehen sein. Der zweite Täter ist nach Polizei-Angaben Uwe Böhnhardt. Er hält als Linkshänder die Pistole in der linken Hand. Foto: Polizei

Mit diesem Foto einer Überwachungskamera vom 7. September 2011 suchte die Polizei nach den Tätern eines Raubüberfalls in einer Sparkassenfiliale in Arnstadt. Auf dem Bild soll im Vordergrund Uwe Mundlos in einer Maske mit "Vampirmotiv" zu sehen sein. Der zweite Täter ist nach Polizei-Angaben Uwe Böhnhardt. Er hält als Linkshänder die Pistole in der linken Hand. Foto: Polizei

Foto: zgt

München. Das Oberlandesgericht München beschäftigt sich am Mittwoch erstmals ausführlich mit dem Raubüberfall vom September 2011 auf die Sparkasse in Arnstadt.

Es war der Anfang vom Ende der mutmaßlichen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Der Überfall auf die Sparkasse in der Arnstädter Goethestraße am 7. September 2011. Kurz vor neun Uhr haben zwei bewaffnete und maskierte Männer die Filiale betreten und forderten von den Angestellten die Tür zum Kassenbereich und den Tresor zu öffnen.

Die Täter ließen kaum Zweifel, dass sie ihr Vorhaben auch mit Gewalt durchsetzten würden. Bei ihnen soll es ich um die inzwischen verstorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aus Jena gehandelt haben. Sie seien lautstark, aggressiv und mit vorgehaltenen Waffen in die Filiale eingedrungen, vermerkte damals die Polizei. Um ihrem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, soll Böhnhardt einer der Angestellten ein Telefon so stark auf den Kopf geschlagen haben, dass die Frau blutete.

Die Ermittler gehen davon aus, dass Mundlos bei diesem Überfall die Gesichtsmaske mit einem Aufdruck trug. Er soll mit zwei Pistolen bewaffnet gewesen sein. Böhnhardt benutzte als Linkshänder einem silbernen Revolver und einer Handgranatenattrappe. Er soll im Kassenraum das vorhandene Bargeld in eine mitgebrachte Plastiktüre gestopft haben.

Trotz ihres martialischen Auftritts fiel die Beute eher gering aus. Nur etwa 15"000 Euro konnten die beiden Männer erbeuten. Der Tresor war mit einem Zeitschloss gesichert. Bis zu dessen Freigabe wollten die Kriminellen nicht warten und verschwanden aus der Sparkassenfiliale, bevor sie noch weitere Beute hätten einsacken können.

Die Polizei hielt sich damals mit Informationen zurück. Weder die Höhe des geraubten Geldes wurde bekannt gegeben, noch Details zum Überfall. Das Schweigen begründeten die Ermittler mit möglichem "Täterwissen". Für die Fahndung wurde aber ein Foto einer Überwachungskamera veröffentlicht.

Polizei war auf Überfall in Eisenach vorbereitet

Auf die Spur der Bankräuber führte die Polizei aber auch das Bild nicht. Allerdings brachte der Hinweis zweier Zeuginnen die Ermittler zu einer ebenfalls unaufgeklärten Bankraubserie in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Denn eine Schülerin und eine Mitarbeiterin eines Friseurladens neben der Sparkassenfiliale hatten zwei Männer auf Fahrrädern beobachtet.

Die Frau aus dem Friseursalon konnte der Polizei sogar sagen, dass die Räuber mit den Rädern gekommen und damit auch geflohen seien. Sie hatten damals ihre Mountainbikes unmittelbar neben dem Friseurgeschäft abgestellt.

Und genau diese Auffälligkeit, die Flucht zweier Täter mit Fahrrädern, war auch von den anderen unaufgeklärten Banküberfällen bekannt. Die zuständigen Ermittler in Gotha hatten sechs Tage nach dem Überfall eine Anfrage an das Bundeskriminalamt (BKA) und alle deutschen Polizeidienststellen mit dieser "Vorgehensweise" gerichtet. Das erzählte der leitende Polizeidirektor Michael Menzel Ende März 2014 dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss. Menzel war 2011 Leiter der damaligen Polizeidirektion in Gotha, in deren Zuständigkeitsbereich auch Arnstadt gehörte.

Daraufhin soll es eine "lebhafte Diskussion" in der Polizeidirektion über ein wirkungsvolles Fahndungskonzept gegeben haben. Neben der üblichen Ringfahndung sollte bei einem weiteren Überfall intensiv in der Öffentlichkeit nach Männern mit Fahrrädern und einem möglichen Fahrzeug dafür gesucht werden, so Menzel. Immerhin wussten die Thüringer Ermittler aus der bekannt gewordenen Raubserie, dass die Täter durchaus mehrmals an einem Ort Überfälle begangen hatten.

Doch die bekannt gewordenen und nicht aufgeklärten Raubüberfälle in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern lagen bereits Jahre zurück. Der bis dahin letzte Raubzug dieser Serie mit ähnlichem Vorgehen geschah im Januar 2007 in Stralsund, also mehr als vier Jahre vor dem Überfall auf die Filiale in Arnstadt.

Doch die Überlegungen der Ermittler in Gotha sollten belohnt werden. Auch diesmal schlugen die mutmaßlichen Bankräuber ein zweites Mal nicht weit vom ersten Tagort zu. Am 4. November 2011 raubten Mundlos und Böhnhardt mit fast der gleichen Vorgehenseise wie in Arnstadt eine Sparkasse in Eisenach aus.

Auch diese Region gehörte damals zur Polizeidirektion in Gotha, so dass nach Bekanntwerden Überfalls und der gleichen Art des Vorgehens der Täter nicht nur eine Ringfahndung veranlasst, sondern intensiv auch nach zwei Radfahrern und ihrem Fahrzeug gesucht wurde. Mit Erfolg: Nach einem präzisen Zeugenhinweis, der mit einem "V" auch den Anfangsbuchstaben eines Nummernschilds enthielt, fiel zwei Polizisten gegen Mittag im Stadtteil Eisenach-Stregda ein verdächtiges Wohnmobil auf.

Als sie sich dem Fahrzeug zu Fuß näherten, soll auf sie ein Schuss abgegeben worden sein. Die Beamten gingen in Deckung. Kurz darauf stand das Fahrzeug offenbar in Flammen. Nach dem Löschen entdeckten Feuerwehrleute und Ermittler die Leichen von Mundlos und Böhnhardt im Caravan.

Noch am selben Tag sollen auch die Dienstwaffen der in Heilbronn ermordeten Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter und ihres schwer verletzten Kollegen in dem Fahrzeug gefunden und identifiziert worden sein. Das war der Anfang der Enttarnung der mutmaßlichen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund.

In dem Wohnmobil stellten die Ermittler auch Geld aus dem Raubüberfall in Arnstadt sicher. Die Scheine trugen noch die Banderolen der dortigen Spakassenfiliale.

Nur drei Stunden nach dem Entdecken des Fahrzeugs von Mundlos und Böhnhardt in Eisenach explodiert ihre gemeinsam mit Beate Zschäpe genutzte Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße. Der Hauptangeklagten im NSU-Prozess wird vorgeworfen, das Quartier in Brand gesteckt zu haben, um Beweise zu vernichten.

Auch Wohnmobil für Arnstadt gemietet

Trotzdem findet die Polizei einen Hinweis darauf, dass die mutmaßlichen Täter auch zum Überfall auf die Sparkasse in Arnstadt mit einem Wohnmobil angereist sein könnten. Im Brandschutt stellen Ermittler einen Mietvertrag für einen weiteren Caravan sicher.

Dieser soll zwischen dem 5. und 9. September 2011 von einem Holger G. gemietet worden sein. Das ist genau die Zeit, in der auch die Sparkasse in Gotha überfallen wurde. Und den Namen Holger G. fanden die Ermittler auch auf dem Mietvertrag für das in Eisenach genutzte Fahrzeug. Dem Angeklagte Holger G. wird im NSU-Prozess Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Er soll dem Trio seine Identität überlassen haben.

Die mutmaßlichen Mitglieder des NSU könnten mit ihren Raubüberfällen zwischen 1998 und 2011 gut eine halbe Million Euro erbeutet haben. Die Anklage geht davon aus, dass Beate Zschäpe im Untergrund gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt als terroristische Vereinigung aktiv war. Die Überfälle sollen den Lebensunterhalt sichern.

Allerdings scheiterten vor allem die Ermittler in Sachsen - wo laut Anklage zwischen 2001 und 2005 allein in Chemnitz sieben Raubüberfälle auf Postfilialen und Sparkassen von Mundlos und Böhnhardt verübt worden sein sollen - beim Auffinden der Täter.

Nun muss der Staatsschutzsenat in München klären, ob Mundlos und Böhnhardt wirklich die ihnen in der Anklage zur Last gelegten Überfälle begangen haben. Einiges spricht durchaus dafür, aber es muss bewiesen werden. Denn nur dann könnte auch davon ausgegangen werden, dass sie das Geld für ihr Leben in der Illegalität genutzt haben und vielleicht auch Beate Zschäpe mit davon profitierte.

Die drei waren Ende Januar 1998 nach einer Polizeirazzia aus Jena verschwunden. Die Ermittler hatten damals in einer von ihnen genutzten Garage Teile von Rohrbomben und Sprengstoff gefunden. Trotz intensiver Suche war es den Sicherheitsbehörden auch wegen zahlreicher Fahndungspannen nicht gelungen, bis zum 4. November 2011 die damals verschwunden Neonazis aufzuspüren.

Die Anklage im NSU-Prozess macht die rechtsextreme Terrorzelle unter anderem für zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle verantwortlich.