China

Verteidigungsminister verschwunden: Wo steckt Li Shangfu?

Fabian Kretschmer
| Lesedauer: 4 Minuten
Li Shangfu, der chinesische Verteidigungsminister, gilt seit zwei Wochen als vermisst. Zuletzt wurde er Ende August bei einem Sicherheitsforum in Peking gesehen.

Li Shangfu, der chinesische Verteidigungsminister, gilt seit zwei Wochen als vermisst. Zuletzt wurde er Ende August bei einem Sicherheitsforum in Peking gesehen.

Foto: ALEXANDER NEMENOV / AFP

Peking.  Li Shangfu verschwindet von der Bildfläche, zwei Generäle werden entlassen. In China erreicht Xi Jinpings Säuberungswelle das Militär.

Noch Ende August warnte Li Shangfu bei einem Sicherheitsforum in Peking vor den „beispiellosen Herausforderungen“, vor denen die Menschheit derzeit stehe. Seit der damaligen Ansprache ist es allerdings still um Chinas Verteidigungsminister geworden: Seit mehr als zwei Wochen ist der 65-jährige Politiker von der öffentlichen Bildfläche verschwunden.

Das ist durchaus ungewöhnlich. Auch wenn Li Shangfu allein seines Amtes wegen nicht unbedingt täglich im Blitzlichtgewitter der Fernsehkameras auftaucht. Doch aufgrund der derzeit hochgradig paranoiden Atmosphäre der Pekinger Parteiführung hat seine Abstinenz bereits wilde Spekulationen ausgelöst.

Den Stein ins Rollen brachte ausgerechnet der US-Botschafter in Tokio. Entgegen den diplomatischen Gepflogenheiten lieferte Rahm Emanuel auf den sozialen Medien einen regelrechten Affront gegen Peking. So verglich der Botschafter die Personalpolitik von Präsident Xi Jinping mit Agatha Christies Roman „And Then There Were None“. Auf Deutsch heißt das so viel wie: „Und dann waren keine mehr da“.

Der ehemalige Außenminister Qin Gang ist immer noch spurlos verschwunden

„Zuerst wird Außenminister Qin Gang vermisst, dann werden die Kommandeure der Raketenstreitkräfte vermisst, und jetzt wurde Verteidigungsminister Li Shangfu seit zwei Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen“, schrieb Rahm auf seinem X-Account (ehemals Twitter). Schließlich fügte er in Anspielung auf die derzeit rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit in China zynisch hinzu: „Wer wird diesen Arbeitslosenwettlauf gewinnen? Chinas Jugend oder Xis Kabinett?“

Ein Blick auf die Fakten: Bis heute ist der ehemalige Außenminister Qin Gang spurlos verschwunden. Er wurde, ebenfalls nach einer langen und unkommentierten Abwesenheit, Ende Juli seines Amtes enthoben. Die genauen Hintergründe sind nach wie vor Anlass für Spekulationen. Zudem hatte Xi zu Beginn des Jahres zwei führende Militärs aus ihren Ämtern enthoben.

Mehr zum Thema: Außenminister abgesetzt – Gerüchte über dekadente Liebschaft

Dabei handelte es sich um die Führungsriege der Raketenstreitkräfte, der vielleicht wichtigsten Einheit der Volksbefreiungsarmee. Sie hat schließlich die Kontrolle über das Atomwaffenarsenal des Landes. Auch hier sind die Hintergründe bislang vollkommen unklar. Eine Erklärung bietet möglicherweise die Korruptionsuntersuchung, welche Xi im Juli gegen die Armee einleiten ließ. Dabei geht es um Bestechung bei der Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen.

Chinesische Regierung hält sich bedeckt

Angesichts der zunehmenden Intransparenz des chinesischen Machtapparats ist es nahezu unmöglich, definitive Rückschlüsse zu ziehen. Doch die Säuberungswelle ist ein deutlicher Indikator dafür, dass Xi fürchtet, die strikte Kontrolle über die eigene Armee zu verlieren.

Ob Li Shangfu nun ebenfalls dasselbe Schicksal wie Qin Gang ereilt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Von offizieller Seite gibt es bislang weder Dementis noch Bestätigungen. Als die Sprecherin des Außenministeriums bei der täglichen Pressekonferenz nach der Causa befragt wurde, antwortete sie trocken, ihr sei die Angelegenheit „nicht bewusst“.

Lesen Sie auch: Evergrande am Abgrund: China kämpft gegen den Kollaps

Doch die Gerüchte über Li Shangfus Fernbleiben haben längst Eingang in das streng abgeschirmte chinesische Internet gefunden. Die meisten Postings haben die Zensoren bereits wieder gelöscht. Doch ein paar Kommentare lassen sich noch finden. Ein User auf der Online-Plattform Weibo postete etwa kommentarlos einen Screenshot, auf dem die letzten, über zwei Wochen zurückliegenden, Termine des Verteidigungsministers aufgelistet sind.

Reaktionen aus der EU

Reinhard Bütikofer, Grünen-Politiker im Europäischen Parlament, legte mit einem hochprovokanten Tweet nach: „Vielleicht sollte jemand prüfen, ob Li Shangfu möglicherweise auf mysteriöse Weise bei einem Flugzeugabsturz in der Mongolei ums Leben gekommen ist“, schrieb er.

Seine Stellungnahme spielt auf den hochrangigen Politiker Lin Biao an, der 1971 nach einem gescheiterten Staatsstreich auf der Flucht in die Mongolei starb. Ob es sich bei seinem Tod um ein Flugzeugunglück oder einen gezielten Auftragsmord von Staatsgründer Mao Zedong handelte, ist bis heute nicht geklärt.