Berlin. US-Präsident Biden droht mit dem Aus der Gas-Pipeline Nord Stream 2, wenn Russland in der Ukraine einmarschiert. Das wären die Folgen.

Die Warnung von US-Präsident Joe Biden ist deutlich. Fallen russische Soldaten in der Ukraine ein, wäre dies das Aus für die Gas-Pipeline Nord Stream 2 in der Ostsee. „Wir werden dem ein Ende setzen“, macht Biden beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Weißen Haus klar.

Die Pipeline soll ab diesem Jahr große Mengen russisches Erdgas nach Deutschland bringen. Was würde ein Aus bedeuten? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie viel Gas benötigt Deutschland und woher kommt es?

Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lag der Erdgasverbrauch 2021 in Deutschland bei 1003 Terawattstunden (rund 100 Milliarden Kubikmeter). Industrie und Haushalte stehen für jeweils rund ein Drittel des Verbrauchs, Gaskraftwerke für rund 15 Prozent.

Ohne Importe geht es nicht: Die inländischen Gasvorkommen, die sich vor allem in Niedersachsen befinden, decken weniger als fünf Prozent des Bedarfs. Mehr als die Hälfte kommt aus Russland, der Rest aus Norwegen und mit sinkender Tendenz aus den Niederlanden.

Was ist Nord Stream 2?

Die 1200 Kilometer lange Pipeline soll mehr russisches Erdgas quer durch die Ostsee nach Westeuropa bringen. Durch die fertig verlegte Doppelrohr-Leitung zwischen Ust-Luga in Russland und Lubmin bei Greifswald sollen jährlich künftig 55 Milliarden Kubikmeter Gas fließen.

Das ist die gleiche Kapazität wie bei der 2011 in Betrieb genommenen Doppelröhre Nord Stream 1. Die Pipeline lief in den vergangenen beiden Jahren nach Betreiberangaben nahezu unter Volllast. Für etwa die Hälfte des russischen Gases ist Deutschland lediglich Transitland.

Das zusätzliche Erdgas soll vor allem die zunehmend erschöpften westeuropäischen Gasvorkommen ersetzen. Zudem belastet Strom aus Erdgas das Klima weniger als aus der Verbrennung von Kohle. Daher kommt Gaskraftwerken in den nächsten Jahrzehnten eine besondere Bedeutung zu.

Die neue Pipeline gehört dem russischen Staatskonzern Gazprom und mehreren europäischen Partnern: Uniper und Wintershall aus Deutschland, OMV aus Österreich, Engie aus Frankreich sowie der britisch-niederländische Konzern Shell haben jeweils 950 Millionen Euro investiert. Meinung zum Thema: Nord Stream 2 – Warum das Gedruckse von Scholz unklug ist

Welche Bedeutung hat Nord Stream 2 für Deutschland?

Sollte die Inbetriebnahme verhindert werden, hätte dies zunächst wohl keine Auswirkungen. „Deutschland braucht eine sichere Energieversorgung. Die hängt aber nicht an einer einzelnen Pipeline, auch nicht an Nord Stream 2“, sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm im Interview mit unserer Redaktion.

Leonhard Birnbaum, Chef von Deutschlands größtem Energieversorger Eon, sieht es so: „Energiewirtschaftlich ist Nord Stream 2 hilfreich. Politisch kann die Bewertung anders ausfallen.“ Deutschland benötige jedoch weiterhin russisches Erdgas; „Wir glauben, wir brauchen russisches Gas. Punkt. Insbesondere, wenn wir jetzt auch noch mehr auf Gas setzen, weil wir die Kohle abschalten wollen“, sagt er.

Was passiert, wenn Russland den Gashahn zudreht?

Im Krisenfall geht das Gas nicht sofort aus. In Deutschland gibt es 47 Untertagespeicher. Mit einer Kapazität von 255 Terawattstunden Erdgas stehen sie für rund ein Viertel der Kapazität aller Gasspeicher in der EU. Der Füllstand ist mit aktuell 35 Prozent jedoch vergleichsweise niedrig. Als Ende März 2019 die Heizperiode vorüber war, kamen die Speicher noch auf 54 Prozent Füllstand.

Was sind die Gründe für die aktuell besonders geringen Reserven?

Dafür gibt es laut Branchenverband INES mehrere Gründe: So wurde im ungewöhnlich kalten April 2021 zu Beginn der Auffüllsaison viel Gas entnommen. Im Sommer sei wegen steigender Energiepreise weniger Gas als üblich eingespeichert worden.

Hinzu komme der russische Gasproduzent Gazprom. „Die Gasflüsse über die deutschen Grenzen sind unüblich niedrig für diese Jahreszeit – mit Ausnahme von Nord Stream 1, die sind konstant hoch“, sagt Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool. Grund für den Energiemarktexperten: die Ukraine-Krise.

Welche Alternativen gibt es?

Die meisten Gasfelder in Deutschland sind in wenigen Jahren erschöpft, auch in den Niederlanden ist die Förderung seit zehn Jahren stark rückläufig. Eine Alternative wäre der Import von verflüssigtem Erdgas, kurz LNG. Mit Spezialschiffen. Die könnten aus Katar kommen – oder den USA.

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Ende Januar haben EU-Kommission und Washington einen Ausbau der Zusammenarbeit vereinbart, um im Kriegsfall „Versorgungsschocks“ zu vermeiden. Die deutschen Häfen verfügen aber nicht über die passende Infrastruktur. Die nächsten LNG-Terminals mit Anschluss an das europäische Gasfernleitungsnetz befinden sich in den Niederlanden, Polen und Italien.

Wie teuer wird das?

Genau beziffern lässt sich dies noch nicht. Aber: „Der Verzicht auf Energieimporte aus Russland hätte einen deutlichen Effekt auf die Energiepreise, da die Substitution durch Flüssiggas mit höheren Beschaffungskosten einhergeht“, sagt Veronika Grimm, die als eine der Wirtschaftsweisen die Bundesregierung berät, unserer Redaktion.

Zudem scheine es unrealistisch, die russischen Gaslieferungen durch Flüssiggasimporte vollständig zu kompensieren. „Es könnte also zu Einschränkungen der Produktion und einem weiteren Anstieg der Energiepreise kommen“, sagt sie. Mehr zum Thema Strompreise:Habeck dringt auf schnelle Hilfe für Familien

Eon-Chef Birnbaum sagt, dass Pipelinegas grundsätzlich günstiger sei als LNG: „Wenn wir auf LNG angewiesen sind, werden die Gaspreise in Europa deutlich höher sein als in der Vergangenheit. Wenn die Preise sinken sollen, dann muss dazu mehr Pipelinegas nach Europa kommen.“ Und er stellt klar: „Das erfordert auch natürlich Importe aus Russland, ganz klar.“