Russlands Präsident will den Westen durch eine Politik der gemischten Signale spalten, kommentiert unser Autor Michael Backfisch.

Als Russland am Dienstag den Teilrückzug seiner Truppen von der ukrainischen Grenze ankündigt hatte, ließ sich die Welt von einer Wolke der Hoffnung forttragen. Die Eskalation schien gestoppt, der befürchtete Kriegsbeginn wurde abgesagt: Die Stoßseufzer zwischen Washington, Brüssel und Berlin waren deutlich vernehmbar.

Am Mittwochabend zeigte das russische Staatsfernsehen zudem filmreife Bilder. Über eine rosafarben angestrahlte Brücke zwischen der Krim und dem russischen Festland fuhren Eisenbahnwaggons mit militärischem Gerät. Die Botschaft: Der Abzug findet statt.

Die Inszenierung hielt der Wirklichkeit nicht stand. Die amerikanische Regierung und die Nato werfen Russland vielmehr einen Aufbau der eigenen Truppen vor. Wer immer im Westen dieser Tage verlangt, sich mit Russlands Präsident Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu setzen und alles wird gut, sei vor Leichtgläubigkeit gewarnt.

Putin hat das Geschäft von Tarnen und Täuschen von der Pike auf gelernt

Der Kremlchef ist kein Politiker westlichen Typs, für den „Dialog“ und „Kompromiss“ zum Standard-Repertoire gehören. Putin hat als ehemals in der DDR stationierter KGB-Offizier das Geschäft von Tarnen, Täuschen und Nebelkerzenwerfen von der Pike auf gelernt.

Die DDR-Zeit darf man getrost als Kernerfahrung Putins begreifen. Für den Geist der „Wir-sind-das-Volk“-Bewegung hatte der Russe keine Antennen. Er nahm den Kollaps der UdSSR samt der Auflösung des Warschauer Pakts als Verlust und Trauma wahr.

Der 2005 geäußerte Satz ist so etwas wie das politische Glaubensbekenntnis von Präsident Putin: „Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.“

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Der Kremlchef will unter der Flagge eines neo-imperialistischen Russlands alte Einflusssphären wieder herstellen. Dafür sind ihm alle Mittel recht. Die Verwirrung des Westens steht für den früheren Geheimdienstmann ganz oben. Er lässt seinen Sprecher Dmitri Peskow einerseits den baldigen Komplett-Rückzug russischer Soldaten aus Belarus verkünden. Andererseits darf der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko, Putins Handlanger, mit der Stationierung russischer Atomwaffen drohen.

Es ist eine Politik der gemischten Signale

Moskau will durch einen Krieg der Bilder Europäer und Amerikaner verunsichern und spalten. Die nach Westen strebende Ukraine soll durch den Aufbau einer massiven Drohkulisse eingeschüchtert und zermürbt werden. Ein Wunsch-Szenario Putins wäre ein pro-russisches Regime in Kiew, das die Moskauer Direktiven treu verwaltet.

Der Kremlchef betreibt militärische Muskelspiele, um politische Ziele zu erreichen. Er erhebt Maximalforderungen, um seine „Sicherheitsbedenken“ gegenüber dem Westen durchzudrücken. Die Nato soll auf den Stand von 1997 geschrumpft werden. Die Osterweiterung des Bündnisses, die 1999 nach dem den freien Wunsch etlicher Länder begonnen hatte und danach sukzessiv fortgesetzt wurde, wäre damit de facto obsolet. Die zweite Bedingung Putins – der Abbau der militärischen Infrastruktur aus Ostmitteleuropa – hat nur einen Zweck: Die Amerikaner sollen vom Kontinent weitgehend verschwinden.

Wenn es Putin ernsthaft um „Sicherheitsbedenken“ ginge, wäre Abrüstung der richtige Weg. Die USA und die Nato haben die Reduzierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen angeboten. Warum nicht Gespräche darüber anfangen, amerikanische Cruise Missiles vom Typ Tomahawk in Polen und Rumänien und im Gegenzug russische Iskander-Raketen in Kaliningrad abzubauen?

Im Lichte der verwirrenden Signale aus Moskau hat Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, eine Sozialdemokratin, vor „Naivität“ im Umgang mit Russland gewarnt. Sie hat Recht.

Dieser Text erschien zuerst auf www.waz.de