Erfurt. Den eigenen Drang nach Rechthaberei lieber beim Flunkyball ausleben, statt im Alltag Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Die Rolle des Trinkspiels im Leben Jugendlicher.
Nordpark, Petersberg, Klein Venedig – wenn sich in Erfurter Grünanlagen zwei Gruppen mit Bierflaschen in der Hand gegenüberstehen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit Flunkyball gespielt. Unter Studierenden und anderen jungen Leuten ist das Trinkspiel schon lange Tradition und wird so ernsthaft betrieben, dass kaum eine Partie ohne intensive Regel-Diskussion endet. Viele Anwohner hingegen empfinden das Spiel als Lärmbelästigung.
Wir sprachen mit dem Informatik-Studenten und Fachhochschul-Flunkyballmeister Dirk (24) darüber, warum das Spiel junge Menschen begeistert, wo die plötzliche Regeln-sind-Regeln-Mentalität herkommt und ob die Spieler eigentlich auch an Anwohner denken.
Flunkyball, Flankyball, Bierball oder Bierkrieg – schon der Name ist ein Politikum. Welcher ist denn in Erfurt Konsens?
Die meisten Menschen in Erfurt sagen wie ich Flunkyball, aber das Spiel hat sich in unserer Generation so sehr etabliert – alle wissen, worum es geht, egal, wie man es nennt.
Warum ist das Spiel nun schon seit über einem Jahrzehnt ein so selbstverständlicher Teil der Jugendkultur?
Jeder kennt es, jeder mag es oder lässt sich zumindest zu einer Runde überzeugen. Wenn man freitags an jeglichen Grünflächen vorbeiläuft, sieht man immer jemanden spielen. Jüngere lernen es, indem sie bei älteren Freunden oder Geschwistern mitspielen, und so wird es immer an die nächste Generation weitergegeben. Und sobald ein Spiel anfängt und alle erstmal in zwei Teams aufgeteilt sind, lernt man sehr schnell die Leute links und rechts von sich kennen, dann die ein paar Meter weiter, und schon pöbelt man, wie es sich gehört, zusammen ein bisschen gegen das andere Team.
Was zeichnet einen guten Flunkyball-Spieler aus?
Ein guter Spieler muss drei Skills perfektioniert haben. Erstens: Treffsicherheit. Man muss gut werfen können, um so oft wie möglich die Flasche in der Mitte zu Fall zu bringen. Zweitens: Schnell trinken, also schnell schlucken. Da gibt es auch wieder bestimmte Techniken, zum Beispiel den „Tornado“, andere sagen „Strudel“. Da dreht man die Flasche so an, dass innen ein Sog entsteht und das Bier schneller raus fließt. Wirklich gute Spieler haben gar keinen Schluckreflex mehr, da läuft das Bier einfach runter. Und der dritte Skill ist Rennen. Jede Extra-Sekunde, die man braucht, um die Flasche wieder aufzustellen, kann das gegnerische Team länger trinken.
Und Menschen, die kein Bier trinken, sind vom Spiel ausgeschlossen?
Nein, man kann auch mit Spezi, mit Mate oder mit einer Apfelschorle spielen. Wichtig ist nur, dass die Menge gleich ist und dass es ein kohlensäurehaltiges Getränk ist, damit die Person keinen Vorteil hat.
Beim Flunkyballspielen müssen Regeln aufgestellt, Begriffe geklärt und bei Fehltritten Strafen vollzogen werden. Warum sind die Regeln den jungen Leuten so wichtig?
Das Problem ist, mit welchen Regeln man spielt. Die Feinheiten sind nämlich überall etwas anders. Das fängt an mit der Frage: Womit wirft man, Flasche oder Ball? Wie groß soll der Abstand zur Flasche sein und darf man nur von oben oder auch von unten werfen?
Muss man sich hinhocken oder dürfen die Knie durchgestreckt sein? Wichtig ist auch, was es für Strafen gibt, wenn jemand trotz Trinkstopps die Flasche nicht sofort absetzt. Muss die Person aussetzen oder ein ganz neues Bier holen? Wie geht man mit Bierschaum um? Und ab wann zählt ein Bier überhaupt als ausgetrunken? Wenn höchstens drei Tropfen rauskommen oder kein einziger mehr? Es ist sehr komplex. Manche wollen dann unbedingt ihre eigenen Regeln durchsetzen und machen eine Religion daraus.
Warum?
Jeder hat seine eigene Vorstellung, wie die Regeln auszusehen haben, und viele haben das Spiel schon immer mit diesem bestimmten Regel-Set gespielt. Für sie sind das die einzig wahren Regeln, und sie identifizieren sich mit ihnen. Also möchten sie von ihrem eigenen Kurs und damit von ihrer Identität nicht abweichen. Meiner Meinung nach ist es aber auch besser, diese Verbissenheit und Rechthaberei hin und wieder mal bei einem harmlosen Spiel rauszulassen, als irgendwo außerhalb des Spiels nicht so coole Werte zu vertreten.
Denkt ihr beim Spielen auch an die Anwohnerinnen und Anwohner, die ihr stört?
Es gibt schon immer mindestens eine Person, die sich Gedanken macht und sagt: „Hey, vielleicht sollten wir nicht so laut sein“, und ja, manchmal beschweren sich Leute. Dann respektieren wir das und ziehen weiter. Aber durch Flunkyball kommen auch junge Menschen und mit ihnen ein bisschen Leben in die Parks. Ich sehe auch keinen Unterschied darin, ob jetzt 19 Uhr irgendwo Fußball gespielt wird oder ein, zwei Runden Flunkyball.
Findet die eigene Flunkyball-Ära mit dem Studien- oder Ausbildungsabschluss ihr Ende?
Ich war neulich auf der Hochzeit eines Paars, die 30 waren, und dort wurden mehrere Runden Flunkyball gespielt, sodass Familie, Studien- und Kindheitsfreunde sich total schnell kennengelernt haben. Auch auf dem Geburtstag meines Vaters haben wir gespielt und nach anfänglicher Skepsis hatten alle Spaß. Ich möchte auf jeden Fall noch eine Weile dabei sein und vielleicht wird unsere Generation, wenn wir mal älter sind, dann später mit Freunden nicht Rommé spielen, sondern Flunkyball.
Es gibt zwei Teams, die sich auf dem Spielfeld gegenüber stehen.
Jeder Spieler hat ein Bier, und zwischen beiden Teams in der Mitte steht eine Flasche, die mit einem Wurfgeschoss umgeworfen werden muss.
Die Teams wechseln sich beim Werfen ab, und wenn ein Team die Flasche trifft, kann es solange trinken, wie das gegnerische Team braucht, um die Flasche in der Mitte wieder aufzustellen.
Das Team, dessen Spieler als erstes alle ihre Biere ausgetrunken haben, gewinnt.
Junge Menschen veranstalten Flunkyball-Turniere, halten Powerpoint-Präsentationen über die besten Techniken ab und trainieren Woche um Woche bis hin zur Perfektion.
Universitätsfakultäten veröffentlichen der Vereinheitlichung dienende Regelwerke.
Gespielt wird Flunkyball überall und zu allen Anlässen: Geburtstagsfeiern, Festivals, Ende der Klausurenphase – oder einfach zwecks Freitag.