Schnepfenthal. Michael C. Müller aus dem Kreis Gotha ist von Teheran nach Afghanistan zu einer Rundreise aufgebrochen. Nicht alles konnte er mit dem Fahrrad bewältigen.
- Michael Müller ist ist diesen Sommer durch Afghanistan gereist.
- Ursprünglich wollte er das Taliban-Land mit dem Rad durchqueren.
- Ihm stellten sich unwegsame Straßen, Staub und Hitze entgegen.
Michael Müller ist diesen Sommer durch Afghanistan gereist. Der 46-jährige Familienvater aus Schnepfenthal und leidenschaftliche Radfahrer berichtete darüber in der GutsMuths-Gedächtnishalle Schnepfenthal in einer Fotoshow – und hier im Gespräch.
Herr Müller, seit zwei Jahren sind die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht. Was hat Sie bewogen dorthin zu fahren?
Weil ich neugierig bin. Ich räume aber ein, dass ich im Vorfeld innerlich angespannt war. Ich habe mich deswegen vorher breit informiert, unter anderem mit Politikern, Menschen aus Afghanistan und Mitgliedern von Hilfsorganisationen über die Lage dort gesprochen, um mit relativ gutem Gefühl dorthin zu reisen.
Sie wussten, worauf Sie sich einlassen?
Ja. Ein Restrisiko bleibt immer, egal in welches Land man reist. Ich halte es für wichtig, sich das Risiko bewusst zu machen.
Aber warum gerade Afghanistan?
Ich habe schon bei meiner Reise nach Irak und Iran gespürt, dass es dort völlig anders ist, als mein Bild von den Ländern im Vorfeld war. Deswegen heißt der Titel des Vortrags am Sonntag in Schnepfenthal in der GutsMuths-Halle „Afghanistan – eine Reise jenseits der Schlagzeilen“. Mein Ziel war es, das Leben der Menschen dort kennenzulernen. Und meine Erfahrung besagt, dass Menschen, die in Krisengebieten leben, versuchen ihren Alltag so zu bestreiten, um ein normales Leben führen zu können, soweit das unter diesen Umständen möglich ist.
Wann waren Sie im Iran?
Ich bin 2019 mit dem Fahrrad von Schnepfenthal nach Iran gefahren.
Wie lange waren Sie damals unterwegs?
Zweieinhalb Monate. Das war viel zu schnell. Ich habe die 6500 Kilometer dorthin mit dem Rad zurückgelegt und bin von Teheran zurückgeflogen.
Warum zu schnell?
Weil man hetzt. Aber mir stand damals nur diese Zeit zur Verfügung. Es war dennoch eine sehr bewegende Reise. Ich habe damals bemerkt, dass Vorurteile, die es etwa gegen Serben, Rumänen oder Kurden gibt, auch unter dortigen benachbarten Völkern, falsch und blödsinnig sind. Sie sind Resultat von Unkenntnis und Berührungsängsten. Der Diamant all meiner Reisen war und ist zu sehen, wie menschlich die Menschen überall auf der Welt sind – trotz aller Unterschied in der Kultur, Hautfarbe, Sprache, Religion. Es ist immer wieder schön, die Menschlichkeit eines jeden Einzelnen beim Blick in die Augen zu spüren, selbst wenn man dessen Sprache nicht spricht.
Wie sah Ihre Planung für den Afghanistan-Trip aus?
Ich wollte die Reise von Teheran starten, von dort Richtung Osten die Reise fortsetzen und über den Pamir-Highway fahren. Deswegen bin ich nach Teheran geflogen. Es hat sich dann aber anders gefügt.
Inwiefern?
Ich bin aus Afghanistan wieder zurück in den Iran, dann nach Armenien, Georgien gefahren und von dort zurückgeflogen.
Alles mit dem Rad?
Nein. Ich bin mit meinem Rad nach Afghanistan gefahren. Aber dort waren die Umstände so schwierig, dass ich mich aus Sicherheitsgründen dagegen entschieden habe, das fortzusetzen. Es war zu heiß. Ständig lag Staub in der Luft. Die Straßen waren so extrem schlecht, dass es schier unmöglich war, sie mit meinem schweren Reise-Rad zu bewältigen. Viele Menschen in den dortigen Dörfern haben noch nie einen Radfahrer gesehen. Meine größte Angst war, Menschen zu begegnen, die nach 40 Jahren Krieg traumatisiert sind und sich ein Feindbild entlädt.
Hat sich das bestätigt?
Es hat mich niemand bedroht. Auch von den Taliban ist keine Gefahr ausgegangen. Sie sorgen dort für Sicherheit. Das Auswärtige Amt gibt sicherlich berechtigte Reisewarnung für Afghanistan aus. Die nehme ich auch ernst. Aber: Als Individualreisender treffe ich meine Entscheidung unter Berücksichtigung dieser Gefahr.
Wovon ging die größte Gefahr aus?
Von Hirtenhunden. In Armenien war das mitunter brutal gefährlich. Die Hunde bei den hütenden Herden sind trainiert, Wölfe und Bären abzuwehren.
Sie sind aber heil nach Hause gekommen.
Ja, aber ich muss mir dafür eine bessere Strategie überlegen. In Afghanistan habe ich mich nicht bedroht gefühlt, auch nicht von Hunden.
Womit sind Sie durch Afghanistan gefahren?
Mit dem Auto. Ich wollte mich dort mit einem Freund aus Waltershausen treffen, der seine Familie in Afghanistan besuchen wollte. Aber dessen Pläne hatten sich auch geändert. Ich bin von Iran eingereist, er von Tadschikistan. Mit seiner Familie habe ich ihn dann dort abgeholt. Mit dem von der Familie gemieteten Jeep sind wir anschließend durchs Land gefahren, die große Ring-Road insgesamt 3000 Kilometer. Das war sehr anstrengend.
Warum?
Die ganzen Gegebenheiten: die extrem schlechten Straßen, Hitze, Stromausfall in Städten, keine Klimaanlage, fehlende Kühlung der Lebensmittel. Die ganze Infrastruktur. Es gibt mitunter keine Straßen, dass selbst der Jeep nicht durchkommt. Man sucht sich dann einen Weg. Radfahrer in Herat, an der Westgrenze zum Iran, hatten mir mit auf den Weg gegeben: Das ist hartes Offroad. Ich konnte mir darunter erst nichts vorstellen, dachte so wie der Lauchagrund. Die Realität sah anders aus, viel, viel unwegsamer. Für mich war es meine bisher anstrengendste Reise. Ich wollte mein 30-Tage-Visum ausreizen. Doch die Situation im Land hat mich so belastet, dass ich eher ausgereist bin, auch wegen Magenproblemen. Das Ganze war wie eine große Zeitreise. Schon beim 500-Meter-Übergang von Iran nach Afghanistan glaubt man, 70, 100 Jahre zurückzugehen. Dieser Schock vom ersten Tag blieb auch die restliche Zeit haften.
Wie ging es dann weiter?
In Iran, in Maschhad, habe ich mich bei Freunden erholt. Dann ging es von dort weiter.
Mit welchem Gefährt waren Sie im Iran, in Armenien und Georgien unterwegs?
Mit meinem 26 Jahren alten Mountainbike. Das Gute: Ich bekomme es überall repariert. Bis auf einen Platten hat es gut durchgehalten.
Haben Sie auch schöne Erinnerung an Afghanistan?
Die Landschaft ist faszinierend. Ebenso die Gastfreundschaft. Die Herzlichkeit der armen Menschen, von denen es sehr viele gibt, zu spüren, hat mich zutiefst beeindruckt.
Hegen Sie neue Reisepläne?
Erst mal nicht. Wobei, ich würde mit Radfahrfreunden aus Herat einmal quer durchs Land fahren, nicht wie jetzt rundherum. Es gibt eine Querverbindung durch Afghanistan, Straße wäre zu viel gesagt, ein Weg, der im Frühjahr und Herbst befahrbar ist. Mit den jetzigen Erfahrungen könnte ich mir vorstellen, dies dann ein Stück weit gelassener anzugehen. Den Schock des ersten Tages würde es dann wohl nicht geben.