Weimar. „Rendez-vous mit der Geschichte“ thematisiert vom 3. bis 5. November in Weimar Zeit und Zeitwahrnehmung. Das wird beim Festival geboten:
Nach den Einschränkungen durch Corona und die Team-Umstellung mit neu verteilten Aufgaben im vergangenen Jahr findet die 15. Ausgabe des Festivals „Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte“ vom 3. bis 5. November wieder in gewohnter Größe statt. Wobei das untertrieben ist: Das Programm ist auch durch eine Förderung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien so opulent wie wahrscheinlich noch nie. Rund 65 Referenten sind an den 32 Veranstaltungen beteiligt.
Unter dem Motto „Tempo, Tempo! Zeit und Zeitwahrnehmungen in der Geschichte“ bieten das Festivalteam und seine Partner Podiumsdiskussionen, Vorträge, Führungen zu historischen Orten, Filme und Theater. Letzteres gehört zum „Präludium“ des Festivals, das am 2. November in Arnstadt und Gotha gastiert.
Thematisiert würden im Besonderen die gefühlte Schnelllebigkeit in der Gesellschaft und die damit oft einhergehende Überforderung des Einzelnen. Dieses Phänomen findet sich in vielen Umbruchsituationen seit der Antike wieder. „Auch heute spüren wir dies überall“, sagt der wissenschaftliche Leiter des Festivals, Andreas Braune: „Sei es in der Kommunikation, in der wir jederzeit erreichbar sind. Sei es in der Arbeitswelt, wo jede Minute zählt. Sei es in der Politik, wo das schnellste Statement den Ton einer Debatte setzt.“ Allerdings sei diese Wahrnehmung eng mit der Moderne verknüpft. Zuvor seien vor allem Zeitvorstellungen zentral gewesen, die stärker an den Rhythmen der Natur oder an religiösen Elementen orientiert waren.
In Weimar bespielt das „Rendez-vous“ vor allem das Stadtmuseum, die Notenbank und den Festsaal des historischen Rathauses. In der Notenbank befindet sich zudem das Festival-Zentrum mit Café-Angebot, der Möglichkeit, in Büchern der Referenten zu schmökern oder sich über das Programm zu informieren. Hier wird das Festival am 3. November um 18 Uhr mit dem früheren Bundesvorsitzenden der SPD und Bundesminister Rudolf Scharping als Festredner eröffnet. Auch er werde sich dem Thema Zeit widmen, dabei auch der aktuellen Zeit mit einer Fülle von Krisen.
Gespräch mit letztem DDR-Außenminister zur Demokratiegeschichte
In den darauffolgenden Tagen dreht sich das Programm etwa um die radikale Frauenbewegung in Europa um 1900, um Langeweile und Warten als Phänomene der Moderne oder auch um die auf viele einströmenden Nachrichtenfluten.
Einen Schwerpunkt bildet die Demokratiegeschichte in den Jahren 1989/1990. So spricht der letzte DDR-Außenminister und langjährige Bundestagsabgeordnete Markus Meckel (SPD) am 4. November ab 20 Uhr mit der TLZ-Chefredakteurin Gerlinde Sommer unter dem Titel „Deutschland in guter Verfassung? Demokratie unter Druck“. Weitere Gespräche zum Thema befassen sich mit dem Zeitbegriff in den beiden deutschen Diktaturen, die Umstellung auf neue politische Systeme um 1989/1990 auch außerhalb von Deutschland sowie Runde Tische oder Räte als Phänomene in revolutionären Zeiten.
Interessierte sind eingeladen, am 5. November ab 15 Uhr im Rathaus-Festsaal eigene Erinnerungen an die Wendezeit, den ersten Kauf mit Westgeld oder Fotos aus jener Zeit mitzubringen und sich darüber in einem Erzählcafé auszutauschen. Diese ist mit „Die Rasanz der Transformation: Bangen, Freuen, Lernen, Beeilen und Warten im Systemwechsel“ überschrieben.
Auch an den 2021 ins Leben gerufenen „Tag der Geschichte“ wird das Festival anknüpfen. Seine Kooperationspartner öffnen ihre Pforten und zeigen vielfältige Geschichten. So können sich die Besucher im Nietzsche-Archiv der Beschleunigung zu Zeiten des Philosophen widmen oder ein Erzählcafé der Bauhaus-Universität besuchen, bei dem die Hochschulgeschichte Ost thematisiert wird. Ein Stadtrundgang wird an Orte der Zwangsarbeit in Weimar führen und ein Vortrag die Verbindungen von Bauhäuslern und dem NS-System untersuchen. Ein besonderer Höhepunkt wird ein Vortrag zur Tätigkeit von Waldemar Freienstein sein, der als Amtsarzt der Stadt mitverantwortlich für die Eugenikverbrechen in Weimar war.
Alle Veranstaltungen können kostenlos besucht werden. Programm, Organisation und Öffentlichkeitsarbeit verantworten alle Beteiligten nebenberuflich. Die Projektleitung hat Julia Heinrich inne. „Ich kümmere mich nur noch ums Geld“, sagte lachend Frank Günther. Sie hatte die Idee für das Festival einst aus der französischen Partnerstadt Blois nach Weimar geholt.
Näheres unter: www.weimarer-rendezvous.de