Berlin. Klare Regeln? Von wegen. Tritt in der Kita ein Corona-Fall auf, beginnt ein Informationsmarathon. Zwei betroffene Familien berichten.
Alles beginnt mit einer laufenden Nase, etwas Husten. Vermutlich wegen des Schleims. Bei Kindern im Herbst nichts Ungewöhnliches. Der Kinderarzt beruhigt am Telefon. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Kind einen anderen Infekt eingefangen habe, sei viel größer. Ein Corona-Test? Nicht nötig. Das ist an einem Montag.
Obwohl Ina Hauser ihren Sohn mit diesen Symptomen offiziell in den Kindergarten schicken dürfte, bleibt sie mit ihm und ihrer kleinen Tochter Hanna lieber daheim. Am nächsten Tag hat sie selbst leichtes Fieber. Sie ruft ihre Hausärztin an. Diese schimpft.
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Coronatest der Kinder: Stundenlanges Warten, Nerven liegen blank
Ina geht zum Corona-Testzentrum, nimmt ihre Kinder sicherheitshalber gleich mit. Ihr Mann Alex ist bei der Arbeit. Der Test geht schnell. Die Kinder tolerieren ihn. Vielen wird es einige Tage später anders gehen. Familien warten über mehrere Stunden im Auto darauf, dass ihre Kinder endlich getestet werden. Nerven liegen blank. Einige haben Glück und die Hausärztinnen streichen ihre Kinder ab. Es gibt Würgereize und Tränen.
Ina kommt aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf. Die Zahlen der Covid-19-Fälle steigen dort zu diesem Zeitpunkt sprunghaft an. Kurzzeitig liegt der Inzidenzwert der Region mit knapp 300 deutschlandweit am höchsten.
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Ina hat für sich und ihre Kinder einen QR-Code bekommen, mit dem sie die Testergebnisse selbst abrufen kann. Die nächsten beiden Tage prüfen Ina und Alex regelmäßig den Stand. „Für uns war der Test eigentlich reine Formsache“, erklärt Alex. Ina sagt: „Wir waren felsenfest überzeugt, dass wir alle negativ sind.“ Man kann ihre Fassungslosigkeit noch immer spüren.
Plötzlich taucht das Ergebnis von Sohn Henry auf: „positiv“
Am späten Donnerstagabend der Schock: „Plötzlich steht bei unserem Sohn Henry ‚positiv‘ und ein Ausrufezeichen oder so was daneben“, erzählt Alex. „Man zuckt richtig zusammen.“ Wenige Minuten später ist klar: Ina und die kleine Hanna sind negativ.
„Auch das kam dann überraschend“, so Ina. Warum sie sich nicht angesteckt haben? Ob die Infektion zum Zeitpunkt des Tests nur nicht nachweisbar war? Diese Fragen werden sich nicht klären lassen. Auch bei Henry ist die Virenlast zum Glück gering, der Krankheitsverlauf mild.
„Wir wussten ja, dass es Henry so weit gut geht. Nur Husten und immer mal ein bisschen Temperatur“, sagt Ina. „Der Gedanke, dass Henry irgendwelche Folgeschäden haben könnte, kam erst sehr viel später.“ Ihr erster Gedanke: „Krass, jetzt hat er dieses Virus, das gerade die ganze Welt lahmlegt.“ Ihr zweiter: „Mist. Wen muss ich alles informieren?“
Corona beim Kind: Wen muss ich alles informieren?
Die Liste der Kontakte hätte kurz sein können. Die Schwiegermutter, die sie draußen auf dem Spielplatz getroffen hatten, die daher auch nicht in Quarantäne muss. Die beste Freundin, die daraufhin auch positiv getestet wird. Doch dann war da noch der Kindergarten.
Gleich am nächsten Morgen bei Öffnung ruft Ina dort an, es ist Freitag. Bis die Erzieherin am Telefon begreift, was Ina ihr erzählt, dauert es ein paar Minuten. Corona ist da. Die Kolleginnen werden informiert. Rücksprache mit dem Gesundheitsamt wird gehalten.
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Gegen Mittag klingelt bei 18 Familien das Telefon
Noch wissen die restlichen Eltern nichts, geben ihre Kinder ab. Ein paar bekommen am Rande etwas mit. Gerüchte kursieren. Gegen Mittag klingelt bei 18 Familien das Telefon – erst ein Anruf vom Kindergarten, wenig später vom Gesundheitsamt.
Auch Steffi Schogs erreicht der Anruf. Ihr Sohn geht mit Henry in dieselbe Kitagruppe. Sie sitzt gerade im Auto auf dem Weg zu ihrem Mann. Ihre Woche war ohnehin schon hart. Die nächste Hiobsbotschaft: Ihr Sohn Matti muss in Quarantäne und nach dem Wochenende zum Corona-Test – so wie alle anderen Kinder und Erzieherinnen aus Henrys Kindergartengruppe.
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Für Geschwister bis zwölf Jahre gilt ein Betretungsverbot für Schule und Kita. Steffi schaltet auf Autopilot: Sie informiert Chefin und Schule, holt ihren Mann Andreas ab, Matti und seine Zwillingsschwester Milli werden am Kindergarten, die große Schwester an der Schule aufgegabelt. „Ich hatte ab dem ersten Anruf Halsschmerzen“, meint Steffi. Ob eingebildet oder nicht, sie weiß es nicht.
„Seid ihr die Positiven?“ – Es klang wie ein Schlag ins Gesicht
Währenddessen bekommt Ina Hauser eine Nachricht einer anderen Mutter: „Gruppe dicht! Seid ihr die Positiven?“ Für Ina wie ein Schlag ins Gesicht: „Das klang so vorwurfsvoll.“ Dabei war sie vorbildlich, immer vorsichtig gewesen. Es hätte jeden treffen können. „Wir sind einfach nur diejenigen, die zuerst getestet wurden und bei denen es zuerst positiv war“, ergänzt Alex.
Am Montag, genau eine Woche nach Henrys erstem Husten, werden schließlich alle Kinder der Kindergartengruppe getestet. Dienstag ist klar, es gibt vier weitere Fälle. Einer davon ist Matti, Steffis Sohn. Sie erfährt als Erstes vom positiven Corona-Test. Sie ist es, die den anderen Eltern in der mittlerweile ins Leben gerufenen Whatsapp-Gruppe mitteilen muss, dass sich dadurch die Quarantäne für alle um sieben Tage verlängert.
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Abstand halten bei einem Kind, das Nähe braucht?
Steffis größte Angst war, sagt sie, „jemanden angesteckt zu haben, der dann im schlechtesten Fall gesundheitlich große Probleme bekommt“. Das Gesundheitsamt meldet sich wegen Überlastung erst Tage später bei den Eltern.
Heute sind alle in dieser Infektionskette Betroffenen wieder fit. Die Anspannung merkt man Steffi noch deutlich an. „Matti zu Hause in der Quarantäne auf Abstand halten zu müssen, damit er uns nicht ansteckt, war sehr belastend.“ Schließlich brauche ein krankes Kind Nähe. Das sehen offizielle Stellen wie das Robert Koch-Institut in ihren Empfehlungen aber nicht vor. Ein Alltag mit Abstand, Lüften und Maske.
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Hintergrund: Wer wird getestet?
Um die Kapazitäten nicht zu überlasten, sieht die nationale Teststrategie vor, nur Menschen zu testen, die typische Symptome für Covid-19 zeigen oder direkten Kontakt zu einem Infizierten oder einer Infizierten hatten. In manchen Landkreisen werden jedoch auch diese sogenannten ersten Kontaktpersonen nicht zwangsläufig alle getestet, wenn diese asymptomatisch sind.