Berlin. Noch vor wenigen Jahren wurde der deutschen Musikindustrie eine Katastrophe vorhergesagt. Die Jahreszahlen 2019 sprechen eine andere Sprache - wegen enormer Zuwächse beim Audiostreaming. Die Branche schwankt “zwischen digitaler Euphorie und digitaler Demut“.

Musik kommt inzwischen auch in Deutschland vorwiegend aus dem Internet - und immer weniger von CD oder Vinylschallplatte. Für Sound-Puristen ist das ein Jammer, für die Branche ein wahrer Segen.

Nach den noch leicht rückläufigen Jahren 2017 und 2018 hat die Musikindustrie 2019 vor allem dank rasant zulegender Erlöse beim Audiostreaming ein Umsatzplus von 8,2 Prozent auf gut 1,6 Milliarden Euro erzielt.

"Der positive Trend im viertgrößten Markt der Welt hat sich fortgesetzt, mit einem konsolidierten Rückgang im CD-Bereich und weiterem Zuwachs beim Streaming", sagte der Vorstandschef des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), Florian Drücke, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Das sei auch kein Zufall: Die Branche habe "Streaming frühzeitig als Mainstream-Thema gesehen und daran geglaubt. Die Strategie, überall dort zu sein, wo der Kunde ist, war richtig."

Nach den am Donnerstag veröffentlichten Jahreszahlen 2019 des BVMI kommt Audiostreaming über Musikplattformen wie Spotify, Amazon, Apple Music, Tidal oder Deezer mittlerweile auf 55,1 Prozent Anteil am Gesamtumsatz. Wie eine Auswertung des Marktforschers GfK kürzlich ergab, lag die Zahl der in Deutschland getätigten Musikstreams im Vorjahr bei 107 Milliarden - 2018 waren es etwa 79,5 Milliarden Abrufe, 2017 rund 56,4 Milliarden.

Insgesamt wurden voriges Jahr laut BVMI fast zwei Drittel (64,4 Prozent) der Einnahmen im Digitalsektor erzielt. Die klassischen Tonträger fallen in der Wertschätzung der Musikkunden weiter zurück. Die CD hatte 2019 noch 29 Prozent Marktanteil - allerdings sei dieser Bereich mit 10,5 Prozent Minus "nur halb so stark geschrumpft wie in 2018", sagte Verbandschef Drücke. Vinyl erreichte 4,9 Prozent Anteil - das Plus von 13,3 Prozent bei den zumeist schwarzen Scheiben führte noch nicht an den digitalen Downloads (6,2 Prozent) vorbei.

Drücke bilanzierte im dpa-Gespräch für die Musikindustrie: "Wir befinden uns derzeit ungefähr auf dem Umsatzniveau von 2007. Der Beinahe-Crash einer ganzen Branche vor knapp zwei Jahrzehnten bleibt uns im Hinterkopf. Wir befinden uns insofern derzeit stimmungsmäßig zwischen digitaler Euphorie und digitaler Demut."

Trotz aller Dynamik des Audiostreamings mit einem Zuwachs um 27 Prozent im Vergleich zu 2018: Physische Tonträger bleiben für den BVMI - Interessenvertreter von rund 200 Produzenten und Unternehmen, die gut 80 Prozent des deutschen Musikmarkts repräsentieren - "ein wichtiges und nicht zu unterschätzendes Marktsegment". Drücke: "Schon vor 20 Jahren haben einige Akteure gesagt: Die CD ist tot. Nein, die CD lebt. Vinyl ist wieder da, wenn vielleicht auch nicht ganz so groß wie von manchen ersehnt. Das haptische Produkt wird wertgeschätzt."

Ein Blick auf die Anteile bestimmter Musikrichtungen am Umsatz zeigt: Pop blieb 2019 mit 25,8 Prozent das beliebteste Genre - dahinter schob sich Hip-Hop/Rap mit 19,7 Prozent vor Rock (19,6) auf Platz 2.