Frankfurt/Main. Das Jüdische Museum in Frankfurt, das bundesweit älteste dieser Art, öffnet wieder für Besucher - nach fünf Jahren Bauzeit und zwei Terminverschiebungen. Das Haus will ein Museum für alle sein und ist gerade in heutigen Zeiten besonders wichtig.

Als erstes fällt der Blick auf die große Baumskulptur. Sie steht zentral auf dem Museumsvorplatz zwischen dem modernen Lichtbau und dem historischen Rothschild-Palais.

Ein in Aluminium gegossener Baum hält mit seiner Krone die Krone eines zweiten Baumes, dessen Wurzeln in den Himmel ragen. Die eigens angefertigte Arbeit des israelischen Künstlers Ariel Schlesinger ist ein neues Wahrzeichen des Jüdischen Museums Frankfurt.

Die Skulptur symbolisiert das Spannungsfeld zwischen Verwurzelung und Entwurzelung. Das Museum versteht sich aber auch als ein tragendes Element. "Wir strecken unsere Äste aus, hin zu dem, was international noch da ist an jüdischer Frankfurter Kultur", erklärt Museumsdirektorin Mirjam Wenzel.

Wieviel noch da ist, in Frankfurt, in Europa und der ganzen Welt, zeigt das Museum auf beeindruckende Weise. 1988 als bundesweit erstes kommunales Jüdisches Museum eröffnet, wurde das Haus jetzt rundum erneuert und erweitert. Nach fünf Jahren Bauzeit und zwei Terminverschiebungen eröffnet der neue Museumskomplex an diesem Mittwoch - auf doppelter Fläche.

Da ist zum einen der spektakuläre Neubau. Von außen wirkt er eher wie ein verschlossener Block, doch wer erst einmal das Innere betreten hat, dem eröffnen sich unerwartete Perspektiven. Das hohe Atrium, der Kontrast zwischen kühlem Sichtbeton und warmen Eschenholz, die riesigen Fenster und die überraschenden Durchbrüche und Lichteinfälle. Der verantwortliche Berliner Architekt Volker Staab spricht von "geschützter Offenheit". Es sei darum gegangen, diese Offenheit zu verbinden mit der Sicherheit, "die dieses Museum leider verlangt".

Das helle, warme und einladende Innere spiegelt auch das Konzept des Hauses wider: "Wir verstehen uns als ein Museum ohne Mauern, was hineinstrahlen will und wirken will in die Gesellschaft", sagt Wenzel. Es soll ein Haus für alle sein und auch Menschen ansprechen, die nicht unbedingt museumsaffin sind. Es sei in erster Linie ein sozialer Ort. So sind die großzügige Bibliothek und das koschere Deli auch für Nicht-Museumsgäste zugängig.

Und da ist zum anderen das behutsam sanierte Palais, das frühere Wohnhaus der Familie Rothschild, in dem auf drei Stockwerken die neue Dauerausstellung untergebracht ist. Das größte Exponat ist das klassizistische Gebäude selbst, dessen Historie erzählt wird. Zudem geht es um Themenkomplexe wie "Geschichte und Gegenwart", "Tradition und Ritual" oder "Familie und Alltag". Anhand von Kulturgütern, persönlichen Alltagsgegenständen und digitalen Medien wird die Geschichte der Juden und Jüdinnen in Frankfurt von der Aufklärung und Emanzipation um 1800 bis zur Gegenwart präsentiert.

In einem Saal werden Kunstwerke von Moritz Daniel Oppenheim (1800 - 1882) gezeigt, dem ersten jüdischen Maler, der eine akademische Ausbildung erhielt. Der letzte Raum ist der Familie Frank gewidmet, die über Generationen in Frankfurt ansässig war. Besonders in Erinnerung bleibt etwa das kleine Kinderstühlchen von Anne Frank, die 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet wurde.

"Wir erzählen Geschichte in Geschichten", sagt Wenzel. Und tatsächlich: Der sehr verdichteten Dauerausstellung gelingt es, bleibende Eindrücke zu schaffen und Emotionen zu wecken. Die Schrecken der Schoah werden nicht ausgespart, aber da ist zugleich ein starkes Zeichen von jüdischem Selbstbewusstsein und Selbstverständnis. Der Holocaust sei für ein Jüdisches Museum das zentrale Vorzeichen, sagt Wenzel. "Diese Zäsur, dieser Bruch, dieser Verlust bildet das Vorzeichen unserer Arbeit. Aber wir halten dem die Vitalität und Kraft von jüdischer Kultur entgegen."

Bevor Wenzel 2016 nach Frankfurt kam, war sie jahrelang am Jüdischen Museum in Berlin tätig, das seit diesem Sommer ebenfalls eine neue Dauerausstellung anbietet. Was die Häuser unterscheidet? Frankfurt habe als erstes Museum dieser Art enorme Pionierarbeit geleistet. Und während es in Berlin eher um das jüdische Leben in Deutschland gehe, verfolge man am Main die Frankfurter und die europäische Perspektive.

Egal ob auf regionaler, nationaler oder europäischer Ebene: Gerade in heutigen Zeiten ist das Sichtbarmachen von jüdischem Leben enorm wichtig, ein Jahr nach der Attacke auf die Synagoge in Halle und wenige Wochen nach dem offenkundig antisemitischen Angriff auf einen jüdischen Studenten in Hamburg. Die Wiedereröffnung des Jüdischen Museums sei ein "wichtiger Meilenstein", sagte auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). "Antisemitismus und Rassismus, Hass und Hetze dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben."

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