Cannes. 21 Filme konkurrieren dieses Jahr um die Goldene Palme in Cannes, die am Samstagabend vergeben wird. Doch einen klaren Favoriten gab es nicht. Über welche Wettbewerbsbeiträge gesprochen wird.

Eine grelle Satire mit allerlei Fäkalien oder ein Drama über den Rassismus in den USA: Bei den Filmfestspielen in Cannes hat es bislang ein vielfältiges Programm, aber keinen klaren Favoriten gegeben.

Mit den Dardenne-Brüdern, Cristian Mungiu oder James Gray waren viele Stammgäste im Wettbewerb vertreten, die solides Kino, aber keine Überraschungen boten. Im Gegenteil setzte das Festival, das am Samstag endet, zwar auf viele bekannte Namen, aber wenige spannende Zugänge oder neue Talente. Ein paar Überlegungen dazu, wer den Hauptpreis der 75. Filmfestspiele mit nach Hause nehmen könnte.

Der Film, über den in den vergangenen Tagen am meisten gesprochen wurde, war wohl "Triangle of Sadness". Die Satire des Schweden Ruben Östlund (der bereits 2017 eine Goldene Palme gewann) spielt auf einer Luxusjacht und karikiert die Welt der Superreichen. Die Premiere dieses Films, der eine sehr überraschende Wendung hat, wurde von einigem Gelächter im Kinosaal begleitet. Im Gedächtnis bleibt Woody Harrelson als marxistischer, konstant betrunkener Kapitän und ein völlig eskalierendes Dinner, bei dem die Gäste ihre gerade verzehrten Austern in alle Richtungen ausspeien oder auf andere Weise wieder loswerden, was Östlund in vielen Details zeigt.

"Armageddon Time" ist ein starkes Drama

Manchen Kritikerinnen und Kritikern war das Ganze aber etwas zu derb oder platt. Anders sah es bei "Armageddon Time" aus, dem einige den Hauptpreis zutrauten. US-Regisseur James Gray verarbeitet darin seine eigene Kindheit. Der Film folgt dem Leben des jüdischen Jungen Paul und seines schwarzen Klassenkameraden Johnny im New York der 1980er Jahre. Ausgehend von den Erfahrungen Pauls erzählt der Film von Rassismus und gesellschaftlichen Ungleichheiten in den USA. Das Drama ist emotional und überzeugt mit starker Besetzung (unter anderem Anthony Hopkins und Anne Hathaway).

Zu den Star-Regisseuren im Wettbewerb zählt dieses Jahr der russische Filmemacher Kirill Serebrennikow, der in "Tchaikovsky's Wife" von der desolaten Ehe des Komponisten Peter Tschaikowsky und seiner Frau Antonina Miliukova erzählt. Das düstere Drama bleibt mit Bildern in Erinnerung, die oft wie kunstvolle alte Gemälde wirken. Serebrennikow wäre der erste russische Filmemacher, der den Hauptpreis der Filmfestspiele gewinnen würde. Angesichts des Angriffskriegs in der Ukraine bezweifelten zwar viele, dass ein Russe den Hauptpreis gewinnen könnte. Doch bei den Kritikern kam das Drama gut an.

Das gilt auch für "Broker" von Hirokazu Koreeda. Der japanische Regisseur hat bereits eine Goldene Palme zu Hause ("Shoplifters"). Neues Terrain betritt Koreeda nun nicht wirklich: Auch in seinem neuen Film geht es um eine junge Frau, die sich einer Gruppe von Kleinkriminellen anschließt. "Broker" erzählt von einer jungen Frau, die ihr Kind in einer Babyklappe abgibt, Männern, die Babys auf dem Schwarzmarkt verticken, und zwei Detektivinnen, die dem Ganzen auf die Spur kommen wollen. Der meisterhaft spielende Song Kang-ho ("Parasite") führt das Ensemble dieser am Ende berührenden und witzigen Kriminalgeschichte an.

Wo sind die Regisseurinnen in Cannes?

Wie sieht es mit den Beiträgen der anderen bekannten Namen aus? David Cronenberg kehrt in "Crimes of the Future" zu seinen Wurzeln des Body-Horror zurück - ohne dem Ganzen spannende neue Ideen hinzuzufügen. Die Dardenne-Brüder erzählen in "Tori and Lokita" die Geschichte von zwei jugendlichen Migranten - souverän und nüchtern, aber nicht wirklich überraschend. Palmen-Gewinner Cristian Mungiu immerhin liefert mit "R.M.N." ein atmosphärisch dichtes Werk über politische Konflikte im ländlichen Transsilvanien. Und Claire Denis überzeugt in "Stars at Noon" eigentlich nur mit einer hervorragenden Hauptdarstellerin (Margaret Qualley) in einer ansonsten mäßig auserzählten Geschichte.

Der Beitrag einer weiteren Frau im Wettbewerb blieb hingegen in Erinnerung. In "Showing Up" erzählt die US-amerikanische Regisseurin Kelly Reichardt von einer nicht sehr erfolgreichen Künstlerin namens Lizzy (Michelle Williams), die nebenher einen Bürojob an einer Kunstschule in Portland hat. Mit subtilem Witz beobachtet Reichardt das Milieu der Kunststudenten und Lizzys Versuche, darin einen Platz zu finden. Gewinnt der Film, wäre das erst das dritte Mal in der Geschichte der Filmfestspiele, dass eine Frau den Preis mit nach Hause nimmt.

© dpa-infocom, dpa:220527-99-450573/6