Berlin. Für queere Sichtbarkeit kämpfte Rosa von Praunheim lange bevor Regenbogenflaggen am Parlament wehten und Serien wie „Queer Eye“ liefen. Nun wird er 80 Jahre alt. Ein Gespräch über seine Kreativität, das Altwerden und das Sexleben im Jenseits.

Warst du mal in New York? Lebst du mit jemandem zusammen? Hast du eine Pflanze? Was ist der Sinn des Lebens? Wenn man dem Filmemacher Rosa von Praunheim begegnet, weiß man im ersten Moment nicht, wer eigentlich wen interviewt. An einem Herbstnachmittag steht er in einer Berliner Galerie und hängt seine neue Ausstellung auf. Sie heißt „Nackte Männer - Nackte Tiere“.

Mit türkisfarbenem Hut steht er also da, drumherum werkeln junge Männer, und die Galeristin bringt grünen Tee. Für die Ausstellung hat er männliche Aktbilder bunt übermalt. Von Praunheim gehört zu den Menschen, die keine Scheu haben, anderen längere Zeit in die Augen zu sehen. Diesen Freitag (25. November) wird er nun 80 Jahre alt.

Zu Beginn des Interviews sagt er: „Und jetzt: Intelligente Fragen, ne? "Herr von Praunheim, warum sehen Sie so gut aus in Ihrem Alter?““

„Herr von Praunheim, warum sehen Sie so gut aus?“

„Kosmetische Operationen“, sagt er. Und lacht.

Will man erklären, was von Praunheim schon alles gemacht hat, muss man weit ausholen. Viele kennen ihn als Regisseur, beispielsweise wegen seiner Filme „Die Bettwurst“ oder „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Manche erinnern sich an seine glitzernden und plüschigen Kostüme. Oder an seine streitlustigen Auftritte in TV-Talkshows.

Promis in Talkshow geoutet

Bei „Talk im Turm“ zum Beispiel sagte er vor Jahren Dinge, die heute selbstverständlich klingen. „Homosexuell zu sein ist eine genauso gleichberechtigte Form der Sexualität.“ Mit Jeanshemd saß er da, die Zahnlücke war beim Lächeln zu sehen, ein gut aussehender Mann.

Diskutiert wurde damals über von Praunheims wohl umstrittenste Aktion. Er hatte 1991 den TV-Koch Alfred Biolek und den Komiker Hape Kerkeling im Fernsehen geoutet. Bei „Talk im Turm“ wollte der Moderator wissen, was ihn bewogen habe, andere der Homosexualität zu bezichtigen. Von Praunheim fragte zurück, was das Wort heißen solle, das klinge so eigenartig. „Bezichtige ich Sie der Heterosexualität?“

Schon damals ließ sich beobachten, dass von Praunheim geschickt Fragen stellen kann. In der Sendung erklärte er, es gehe ihm um Verantwortung. Gerade Leute, die in den Medien präsent seien, hätten eine Verantwortung zu zeigen, dass Homosexualität eine gleichberechtigte Lebensform sei. „Wir müssen sichtbar sein.“ Andere kritisierten seine Aktion als übergriffig.

Die Frage, ob er die Aktion bereue, wurde ihm schon oft gestellt. „Bereuen nicht, weil sie das auch selbst nicht bereut haben“, antwortet von Praunheim. Kerkeling und Biolek hätten selbst ein paar Jahre später gesagt, dass sie sich sehr befreit gefühlt und eine große Solidarität erlebt hätten. „Ich war der Buhmann.“

Auf dem Tisch neben von Praunheim liegt sein neuer Roman, er heißt „Hasenpupsiloch“, und ein Buch mit seinen Theaterstücken. Im Kino läuft sein Film über Rex Gildo. Bis heute hat er nach eigenen Angaben rund 150 Filme gedreht. Das sei dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Filmförderungen zu verdanken. Früher hat von Praunheim auch in der Aids-Krise viel Aufklärung betrieben und den Film „Ein Virus kennt keine Moral“ gedreht.

Homosexualität sei keine Privatsache, hat er früher mal gesagt. Gilt das noch? „Ja klar, natürlich. Überhaupt: Sexualität ist keine Privatsache. Man liest ja zum Beispiel immer wieder Geschichten über junge Mädchen, die nie aufgeklärt worden sind. Die nicht wissen, was eine Periode ist. Natürlich ist das keine Privatsache. Das ist auch eine Sache von Eltern, Lehrern, Ärzten.“

Eine Wahrsagerin sagte ihm sein Sterbedatum voraus

Er komme aus einer Zeit, als noch Höllenstrafen für sexuelles Fehlverhalten verhängt worden seien. „Deswegen ist das keine Privatsache“, sagt von Praunheim. Sondern es sei wichtig, dass Menschen aufgeklärt würden. „Auch Heteromänner. Die wissen auch nicht, was ein Penis ist - außer dass er steif wird und ficken kann.“

An dem Nachmittag wirkt von Praunheim heiter und etwas blass. Fragt man ihn, wie es ihm geht, dann erzählt er, dass gesundheitlich nicht alles im Lot ist. Aber bei wem ist es das in dem Alter wohl schon? In der Vergangenheit hat von Praunheim mit der Aussage kokettiert, eine Wahrsagerin habe ihm sein Sterbedatum vorhergesagt.

„Ich sterbe ja erst in einem Jahr. Am 16. Oktober 2023“, sagt er nun. Sie hätten sich schon ein Grab zu dritt gekauft - von Praunheim lebt nach eigenen Angaben mit seinem Partner und seinem Ex-Freund zusammen. Er habe auch schon eine große Malerei für das Grab entworfen. „Aber ich denke, die Astrologin hat sich um ein Jahr verrechnet.“ Aber dann wäre die Zeit schon rum? Na ja, es könne jeden Tag passieren, sagt er. „Die Aufregung über die Ausstellung und den Geburtstag, das überleben ja nicht viele.“

Intelligentes Wasser nach dem Tod

Ist das ein schönes Gefühl, dass das Leben jederzeit vorbei sein kann - oder ein weniger schönes?

„Ein wunderbares Gefühl. Ich finde, der Tod ist etwas Herrliches. Ewig schlafen. Ruhe. Und man wird intelligentes Wasser - falls du das noch nicht weißt.“ Gibt es denn nackte Männer und nackte Tiere dort, wo man hingeht, wenn man stirbt? „Ja, natürlich. Sex nach dem Tode - glaube ich sehr stark dran. Ich habe ja auch ein Buch geschrieben mit dem Titel und einen Film gemacht.“

Religiös ist er aber nicht?

„Ich bin allesgläubig. Ich glaube alles, was man sich vorstellen kann. Ich glaube an das Spaghettimonster genauso wie an Wiedergeburt.“

Während des Gesprächs setzt sich irgendwann die Fotografin und Galeristin Frieda Vogel mit an den Tisch. Sie erinnert unter anderem daran, dass von Praunheim bei Andy Warhol ein- und ausgegangen sei. Und dass er schon lange für seine Sache kämpfe. „Dieser Mut, in der Zeit provokativ zu sein und das konsequent bis heute durchzuziehen“, sagt sie, „das hat meine größte Bewunderung“.