Berlin/Kairo. Der rätselhafte ägyptische Kindkönig Tutanchamun steht im Zentrum des größten archäologischen Museums der Welt. Das entsteht in Kairo.

Es wird eine der spektakulärsten Museumseröffnungen des Jahres: Zwar gibt es noch keinen offiziellen Termin, aber glaubt man den Gerüchten in den ägyptischen Medien, soll das Grand Egyptian Museum (GEM), das Große Ägyptische Museum, unweit der großen Pyramiden in Gizeh gut 20 Jahre nach der Grundsteinlegung nun zwischen September und November eingeweiht werden.

Es wird das größte archäologische Museum der Welt sein und das größte Ausstellungshaus, das sich ausschließlich einer Kultur widmet – nämlich der des alten Ägypten. Allein die Hauptfassade des Baus aus Alabaster, Glas und Beton ist 800 Meter lang. Im Atrium in der Mitte des Gebäudes könnte man Passagierflugzeuge stapeln. Die Ausstellungsfläche des GEM erstreckt sich über gut 480.000 Quadratmeter – also fast siebzig Fußballfelder. Rund 50.000 Objekte sollen gezeigt werden. Lesen Sie hier: Archäologen finden verlorene antike Stadt in Ägypten

800 Meter lang: die Hauptfassade des Museums, hier eine Animation. Die Ausstellungsfläche erstreckt sich über eine Größe von fast 70 Fußballfeldern.
800 Meter lang: die Hauptfassade des Museums, hier eine Animation. Die Ausstellungsfläche erstreckt sich über eine Größe von fast 70 Fußballfeldern. © picture alliance / abaca | Balkis Press/ABACA

Der komplette Schatz aus dem Grab des Pharaos

Star des Museums ist Tutanchamun, Pharao zwischen 1332 und 1323 vor Christus. Erstmals soll der komplette Schatz aus dem Grab des Königs gezeigt werden, von denen sich der größte Teil bislang im gut 120 Jahre alten und völlig überfüllten Ägyptischen Museum am Tahir-Platz im Zentrum von Kairo befand. Es handelt sich um rund 5600 Einzelstücke, viele aus massivem Gold – allen voran Tutanchamuns ikonenhafte Totenmaske.

„Das GEM wird ein Weltmuseum sein, ein Meilenstein der Museumskunst“, sagt die Museumsexpertin Shirin Frangoul-Brückner im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Geschäftsführerin des Stuttgarter Büros für Szenografie, des Ateliers Brückner, ist im GEM unter anderem verantwortlich für die „Tut-Ausstellung“, wie sie sie nennt. Frangoul-Brückner und ihr gut 50-köpfiges Projektteam haben die Präsentation der Funde konzipiert und die Räume des Museums ausgestaltet. Auch interessant: Legendäre Himmelsscheibe von Nebra jünger als gedacht?

Tutanchamuns Totenmaske herausgestellt

Die Tut-Ausstellung befindet sich in einem der oberen Stockwerke des GEM. Die Besucher gelangen dorthin, wenn sie aus dem Atrium des Museums eine 180 Meter lange Treppe hinaufsteigen, auf deren Stufen Skulpturen altägyptischer Pharaonen ausgestellt sind und die ebenfalls zu Brückners Museumskonzept gehört.

Im Zentrum der Tut-Ausstellung steht die Totenmaske des jungen Pharaos. „Die haben wir als einzelnes Artefakt herausgestellt“, sagt Frangoul-Brückner. „So konnten wir der Bedeutung der Maske gerecht werden.“ Sie werde unter Glas einzeln in einem abgedunkelten Raum von 20 einzelnen Lichtquellen angestrahlt – ähnlich der Nofretete-Büste im Ägyptischen Museum in Berlin.

Im Zentrum der Ausstellung: die Totenmaske.
Im Zentrum der Ausstellung: die Totenmaske. © imago images/ZUMA Wire | imago stock

Eine Konstruktion aus Messing- und Bronzefäden

Auch die weiteren Grabbeigaben sind meist in Vitrinen angeordnet: Figuren, Schreine, Sarkophage, Thronsessel, Streitwagen, Kompositbögen und Schwerter. Sandalen, Schuhe, Perücken, Unterhosen, Fächer und Bootsmodelle. Viele Objekte sind aus Gold gefertigt, andere vergoldet, verziert oder bemalt.

Die einzelnen Räume bilden insgesamt einen 370 Meter langen Parcours. Unter der Decke schimmert eine Konstruktion aus Messing- und Bronzefäden, die ebenfalls von mehreren Lichtquellen angestrahlt wird – der sogenannte Pfad der Sonne. Laut Frangoul-Brückner soll er den Weg vom Leben zum Leben nach dem Tod symbolisieren, der im Alltag wie in den Mythen der Ägypter eine wichtige Rolle spielte.

Und auf dem Boden zieht sich ein sieben Meter breites Band, konzipiert aus geschwärztem Stahl, durch die Ausstellung – der „Fluss des Lebens“, der die Bühne für das Leben Tutanchamuns darstellen soll. Mehr zum Thema: Nahe ältester Pyramide: 59 Sarkophage in Ägypten entdeckt

Auf den Spuren des Archäologen Howard Carter

Den Parcours können die Besucher in zwei Richtungen begehen: chronologisch vom Leben des jungen Pharaos über dessen Tod und Wiedergeburt im Jenseits, den zugehörigen Alltagsgegenständen, die als Grabbeigaben gefunden wurden, bis zur Entdeckung dessen Grabes – oder eben umgekehrt archäologisch von der Entdeckung des Grabes bis zum Wirken des jungen Herrschers.

„So kann man entweder das Leben von Tutanchamun von Anfang bis Ende erkunden oder auf den Spuren seines Entdeckers wandeln, dem britischen Archäologen Howard Carter“, sagt Brückner.

Sarg von Tutanchamun wird restauriert

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    Möglicherweise ein Sohn des Pharaos Echnaton

    Eine solche Ausstellung inhaltlich zu gestalten, ist eine Herausforderung. Denn das Leben Tutanchamuns ist alles andere als klar. Sein Leben war kurz. Er bestieg wohl im Alter von neun Jahren den Thron und starb wahrscheinlich schon mit 18 – möglicherweise bei einer Schlacht, was eine von vielen schwer belegbaren Theorien ist.

    Einige Forscher meinen, dass Tutanchamun ein Sohn des Pharaos Echnaton gewesen sei. Dieser hatte die alten Götter abgeschafft und wird deshalb Ketzerkönig genannt. Dass beide miteinander verwandt waren und dass Tut Sohn eines Königs war, gilt als sicher. Aber wessen? War Tutanchamuns Vater vielleicht nur ein älterer Sohn Echnatons? Und war Königin Nofretete – Echnatons Frau – seine Mutter?

    Genanalysen der königlichen Mumien, die man aus der Zeit gefunden hat, gaben bislang keine eindeutige Antwort. Aus dem Archiv: Liegt Nofretete neben Tutanchamun?

    Zeiten schwerer gesellschaftlicher Umwälzungen

    Die Berliner Ägyptologin Marianne Eaton-Krauss beschäftigt sich seit Ende der 1970er-Jahre mit dem sogenannten Kindskönig, veröffentlichte Aufsätze und Bücher über den Pharao und dessen Grabschatz und hält Vorträge in Europa, Nordamerika und Ägypten. Die Geschichte über die Entdeckung des Grabes sei bis heute immer wieder erzählt worden, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. „Sie gibt aber genauso wie das Grab selber und die Beigaben darin nicht viel Aufschluss über das Leben von Tutanchamun.“

    Was die üppigen Funde in Tutanchamuns Grab zumindest zeigen, ist, dass der junge Pharao in Zeiten schwerer gesellschaftlicher Umwälzungen gewirkt haben muss. Eaton-Krauss verweist auf einen vergoldeten Thron, der auch in der Ausstellung zu sehen sein wird. Die Inschriften auf dem reich verzierten Holzmöbel geben den Namen des Pharaos in zwei Versionen wieder.

    Zum einen wird er Tutanchaton genannt und zum anderen Tutanchamun. „Die Endung ‚-aton‘ bezieht sich auf den Sonnengott mit dem entsprechenden Namen“, sagt Eaton-Krauss. Dieser sei von dem Pharao Echnaton rund zwei Jahrzehnte vorher als einziger Gott verehrt worden.

    Steht in der Halle des Großen Ägyptischen Museums: eine riesige Statue des ägyptischen Pharaos Ramses II.
    Steht in der Halle des Großen Ägyptischen Museums: eine riesige Statue des ägyptischen Pharaos Ramses II. © dpa | HASSAN MOHAMED

    Der erste Monotheismus der Geschichte

    Echnaton hatte Aton zum wichtigsten und quasi einzigen Gott Ägyptens gemacht – so entstand der erste sogenannte Monotheismus der Geschichte, also die erste Religion, in der es nur einen Gott gab. Darüber hinaus verlegte Echnaton die Hauptstadt Ägyptens weg von Memphis und Theben mit den wichtigen Tempeln des Reiches in die zwischen den bisherigen Metropolen in Mittelägypten liegende Gegend – an einen Ort, der heute als Amarna bekannt ist.

    Was danach genau geschah, ist nicht sicher. „Ägyptologen streiten darüber, was unmittelbar nach sowie vor der Thronbesteigung des Kindkönigs geschah“, sagt Eaton-Krauss. Aber als Tutanchamun nun unter dem Namen Tutanchaton König wurde, stand er in der Tradition Echnatons.

    Tutanchamun auf die politische Elite angewiesen

    Was er als Gottkönig tat, bezog sich vorerst auf Aton. Der gesamte sakrale Überbau, von dem das Reich auch politisch durchdrungen war, war zunächst von der Beziehung zu diesem Gott bestimmt. Die baldige Namensänderung des jungen Pharaos von „-aton“ zu „-amun“ beweist, dass er Echnatons Glauben vernachlässigte und der Glaube an die alten Götter wiederhergestellt wurde.

    Doch wie konnte das einem Kind beziehungsweise Jugendlichem gelingen? „Ganz offensichtlich war Tutanchamun auf die politische Elite des Landes angewiesen, die ihn umgab und die mitunter schon zu Echnatons Zeit aktiv gewesen war“, sagt Eaton-Krauss. Nach wie vor sei es aber nicht möglich, viele dieser Fragen zu beantworten. Dafür seien weitere Funde nötig – „und auch eine vollständige Bearbeitung des ‚Schatzes von Tutanchamun‘, was bis heute noch nicht geleistet ist“.

    Platz genug für neue Funde gäbe es im GEM. 99,8 Prozent des Innenbereiches seien fertig, hieß es zuletzt laut Ägyptens Antiken-Ministerium. Aber zu einem Eröffnungstermin hält es sich bedeckt. Der 4. November wäre ein geeigneter Termin. Dann jährt sich die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun zum 100. Mal. Eaton-Krauss: „Es wäre der bestmögliche Anlass.“

    Dieser Artikel erschien zuerst auf abendblatt.de.