Berlin. Woran erkennt man Schwimmer in Not? Und wie kann ich helfen, ohne mich selbst zu gefährden? Experten geben überlebenswichtige Tipps.

Vergangenes Wochenende wird eine 14-Jährige Deutsche vor der niederländischen Insel Ameland tot aufgefunden. Das Mädchen ist wohl beim Schwimmen von der Strömung hinausgetrieben worden. Eine Woche zuvor kommt für ein vierjähriges Mädchen im Kratzmühlsee nahe Nürnberg und für einen Mann bei Wörth in Rheinland-Pfalz nach dem Sprung in einen Arm des Rheins jede Hilfe zu spät. Das sind nur drei Schicksale unter zahlreichen weiteren Badeunfällen, die sich in diesem Sommer bereits ereignet haben – oder aller Erfahrung nach noch folgen werden.

Konkrete Zahlen kann die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Mitte Juli noch nicht nennen. Ein erstes Zwischenfazit zieht DLRG-Sprecher Achim Wiese dennoch: „Gefühlt hatten wir einen unheimlich großen zusätzlichen Einsatz“, sagt Wiese unserer Zeitung. Seit März, als bundesweit die meisten Schwimmbäder aufgrund der Coronavirus-Pandemie schließen mussten, habe die DLRG keinen Schwimmunterricht mehr durchführen können. Vorsichtig geschätzt, sagt Wiese, konnten so allein durch die DLRG 20.000 Kinder nicht ausgebildet werden. Zudem seien die Menschen an Gewässern unvorsichtiger. Viele hätten die schlichten Baderegeln nicht mehr im Kopf, meint Wiese. „Zum Glück können wir aber noch keine Spitze in der Zahl der dramatischen und tödlichen Unfällen feststellen.“

Dafür, dass Badeunfälle seltener tödlich ausgehen, könnten gerade an unbewachten Gewässern aufmerksame Angehörige oder andere Badegäste sorgen. Doch Laien wissen oft nicht, wie sie Ertrinkende überhaupt erkennen oder reagieren in Notfällen völlig falsch – und bringen sich so selbst in Gefahr.

Badeunfälle: Wie erkennt man Ertrinkende?

Eigentlich sind die Regeln simpel: Wer im Wasser in Not gerät, überkreuzt sichtbar seine Arme und ruft um Hilfe. Eigentlich. Denn man müsse sich von dem Bild verabschieden, dass jeder Ertrinkende wild winkend um Hilfe ruft, sagt Wiese. „Wer wirklich ertrinkt, den höre ich nicht, weil er nicht schreit. Und ich sehe ihn nicht, weil er seine Arme nicht mehr über Wasser bekommt.“ Vielmehr stehe so jemand praktisch aufrecht im Wasser und versuche, den Kopf gerade noch an der Luft zu halten. „Wenn ich einen Kopf so im Wasser sehe, ist das Alarmstufe Dunkelrot“, sagt Wiese.

Alexander Gallitz kann das bestätigen. „Gerade Kinder gehen meistens lautlos unter“, sagt der Präsident des Deutschen Schwimmlehrerverbands (DSLV). Sie hätten selten die Kraft zu kämpfen. Aufmerksam sollte man ebenfalls werden, wenn ein Badender mit dem Gesicht mehr als eine halbe Minute unter Wasser treibt. Dann handelt es sich selten um einen Spaß.

Wann rette ich richtig?

Als erstes sollten Augenzeugen dann unter 112 den Notruf alarmieren, raten die Experten, damit die Rettungskette in Gang kommt. Im Zweifel kann man auch Umstehende mit Handy darum bitten. Anschließend sollte man dem Ertrinkenden vom Ufer aus einen Rettungsring, eine Boje oder andere Gegenstände zuwerfen, die im Wasser oben treiben.

Sind weder Rettungskräfte noch Hilfsmittel in Sicht, muss man schnellstmöglich abwägen, die Rettung selbst zu übernehmen. „Dann muss ich mir ehrlich die Frage stellen: Bin ich in der Lage, diesen Menschen aus der Gefahr zu retten und ihn im Wasser abzuschleppen?“, sagt Wiese. „Zweifle ich auch nur ansatzweise, dann lasse ich das“, betont er. Denn bei zu viel Übermut hätten Helfer im schlimmsten Fall gleich zwei Menschenleben zu retten. Dann ist es zumindest wichtig, direkt an der Unfallstelle zu bleiben, um den Rettungsdienst sofort einweisen zu können.

Menschen genießen den sonnigen Tag am Badesee.
Menschen genießen den sonnigen Tag am Badesee. © dpa | Christoph Schmidt

Wer sich als sicherer Schwimmer eine Rettung zutraut, kann – bei mindestens 18 Grad Wassertemperatur – den Sprung ins Wasser wagen. Wichtig laut Experten: Bei Flüssen mit erkennbarer Strömung lassen sich Retter immer mit dieser zum Ertrinkenden treiben und schwimmen nicht dagegen an. Im Meer gilt: Höhere Wellen untertauchen und sich mit dem Sog am Boden hinaustreiben lassen. Beides spart enorm Kraft.

Der zu Rettende wird stets von vorne angeschwommen. So kann der Retter ihn im Auge behalten und gut zureden. Dabei sollte man einen Mindestabstand von zwei Metern einhalten. Denn Ertrinkende reagieren oft panisch und klammern sich im Todeskampf an den nahenden Retter. „Im Zweifel muss ich den Ertrinkenden dann erstmal wieder wegstoßen“, sagt Wiese.

Der zu Rettende wird von hinten am Kopf gepackt. „Die vier Finger unter das Kinn, die Daumen hinter die Ohren“, beschreibt der DLRG-Sprecher den Kopfschleppgriff. Anschließend kann man den Menschen mit Kopf über Wasser in Rückenlage abschleppen. Alternativ kann man auch mit beiden Armen unter die Achseln des Opfers greifen. Ist der Verunfallte nicht panisch, kann sich dieser auch an den Schultern des Retters festhalten.

Zurück am Ufer können die gerufenen Rettungskräfte übernehmen. Ist man auf sich allein gestellt, sollte man dringend Erste-Hilfe-Maßnahmen einleiten: Ist der Gerettete ansprechbar? Atmet er? Hat er Puls? Ist am Brustkorb keine Atmung zu sehen, muss eine Druck-Massage auf den Brustkorb erfolgen. „Eine Atemspende wird von Rettern aufgrund der Corona-Ansteckungsgefahr bei Erwachsenen nicht gemacht“, betont DLRG-Sprecher Wiese.

„Ist die Person ansprechbar, dann sollte man sie in die stabile Seitenlage bringen“, erklärt Gallitz. Damit kann sie sich nach geschlucktem Wasser erbrechen. Wichtig: Wer Wasser geschluckt hat, sollte sich unbedingt nach dem Badeunfall ärztlich untersuchen lassen. Denn hat sich zu viel Wasser in der Lunge gesammelt, droht das Risiko, noch Tage später daran zu ersticken, warnt Gallitz. Das Phänomen nennen Mediziner „trockenes Ertrinken“.

Und wenn ich selbst im Wasser in Not gerate?

Komme ich in Gewässern selbst einmal in Not, heißt es: Ruhe bewahren und nicht in Hektik verfallen. Sofern noch möglich, sollte man sich bei anderen Badenden oder Strandgästen laut und deutlich bemerkbar machen. Daher die wichtige Baderegel: Nie allein ins Wasser gehen – besonders nicht an leer gefegten Stränden. Die beste Maßnahme in Not ist dann, sich auf einfach flach auf den Rücken zu legen und sich treiben zu lassen. So geht man zumindest nicht unter. „Und man kann so auch seine Panik in Ruhe abatmen“, erklärt Schwimmlehrer Gallitz. Eine mögliche Strömung treibt einen oft wie von selbst in Ufernähe.

Andere Badende herbeizurufen, fällt oft schwerer als man denkt. „Viele haben eine falsche Scham, dass sie einer Notsituation nicht gewachsen sind und rufen nicht um Hilfe“, sagt Wiese. Diese Hemmung müsse man überwinden, appelliert der Experte von der DLRG. „Denn da geht es um Leben und Tod.“