Berlin. Niedrige Zinsen, hohe Preise für Gold und Immobilien. Ein Gespräch über Vermögensaufbau in Krisenzeiten, ETFs und kleine Psychotricks.

Die Zinsen sind im Keller, die Börsen fahren Achterbahn, Gold- und Immobilienpreise steigen – die Corona-Krise sorgt bei Sparern für Verunsicherung. Laut einer Bankenumfrage parken viele ihr Geld in sicheren Häfen wie Sparbuch oder Girokonto, um abzuwarten. „Das hat mit Psychologie zu tun“, sagt Dirk Rathjen (51), Vorstand des Instituts für Vermögensaufbau in München. Der promovierte Volkswirt rät, beim Sparen die Gefühle außen vor zu lassen.

Dirk Rathjen, Vorstand des Instituts für Vermögensaufbau.
Dirk Rathjen, Vorstand des Instituts für Vermögensaufbau. © IVA | IVA

Herr Rathjen, viele Menschen haben Angst um ihr Erspartes. Was raten Sie ihnen?

Dirk Rathjen: Das Gefühl, dass mit meinem Geld auf Girokonto, Sparbuch oder im Bankschließfach nichts passieren kann, ist menschlich und nachvollziehbar. Viele sagen dann: Ich verdiene nicht viel, aber ich verliere auch nichts. Und damit sind sehr viele Menschen zufrieden. Am Ende ist es aber auch so: Nur die Zahlen bleiben gleich. 1000 Euro auf dem Konto sind voraussichtlich auch in zehn Jahren noch 1000 Euro. Deutsche Konten sind durch die Einlagensicherung gut geschützt. Aber das, was ich für die 1000 Euro kaufen kann, wird weniger sein. Wenn Menschen begreifen, dass sie durch die Inflation auf Girokonto oder Sparbuch doch Geld verlieren, sind sie bereit, andere Dinge auszuprobieren.

Was kann ich tun, um meine Angst auszutricksen?

Rathjen: Es gibt da ein wertvolles Werkzeug: Wir holen uns Berater und erzählen ihnen, warum wir Dinge tun, die wir tun. Oder wir schreiben unsere Gedanken auf. Häufig ist es die Selbstreflektion, die uns darüber klar werden lässt, warum wir etwas tun oder lassen. Wir erklären die Dinge und merken dann, ob wir jetzt rein emotional reagieren oder ob es andere Gründe für unser Verhalten gibt.

Was würden Sie jetzt empfehlen?

Rathjen: Ich würde einen Teil meines Geldes in Aktien investieren. Dort gibt es die reale Chance auf eine bessere Rendite.

Was gilt denn generell für die Börse?

Rathjen: Zunächst einmal muss ich wissen, dass ich bei Aktien einen langen Anlagehorizont brauche. Ich muss aushalten können, dass Aktienkurse schwanken. Wenn das gegeben ist, gehe ich trotzdem nicht mit dem gesamten Ersparten da rein. Mittel für Notfälle investiert man nicht in Aktien.

Alle Welt empfiehlt gerade Indexfonds, sogenannte ETFs. Die bilden bestimmte Indizes nach und sind günstig.

Rathjen: Wer ETFs für die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau hält, wird enttäuscht. Und sie funktionieren nicht in allen Anlageklassen. Aber sie sind generell gut, bei weltweiten Aktien etwa. Da wird der Markt mit den Fonds abgebildet, und man bekommt das zu sehr geringen Kosten. Für Einsteiger sind die breit aufgestellten ETFs, etwa auf den MSCI World, in dem rund 1600 Unternehmen weltweit vertreten sind, eine gute Sache. Es gibt aber auch ETFs für Hochzinsanleihen oder regionale Nebenwerte, also kleinere Unternehmen. Die bergen ein hohes Risiko, weil es weniger Käufer gibt und die Aktien nicht so liquide sind. Wenn da Panik entsteht und viele Menschen gleichzeitig verkaufen wollen, dann gibt es womöglich Verluste. ETF ist also nicht gleich ETF.

Wann sollte ich bei Aktien einsteigen?

Rathjen: Das perfekte Timing gibt es nicht. Es gibt Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das kann ich bei den Online-Banken erfahren. Ansonsten muss ich mich fragen, ob die Preise gerade hoch sind oder niedrig. Um die Angst auszugleichen, den falschen Tag für den Einstieg zu erwischen, kann ich auch über einen monatlichen Sparplan investieren. Oder ich teile die Investition in mehrere Teile auf und investiere über zum Beispiel ein Jahr hinweg. Dann habe ich einen besseren Durchschnittswert.

Was konnte man im Angesicht der Corona-Krise lernen?

Rathjen: Das beste Signal zum Kauf von Aktien ist, wenn die Investoren panisch reagieren. Wenn die Kurse runtergehen. Die meisten Menschen aber halten das nicht aus. Im anderen Fall sollte ich immer dann aus den Märkten aussteigen, wenn ein Hype entsteht. Ich sage es mal mit einem Bild: Wenn die Zeitschrift „Stricken und Nähen“ anfängt, über die besten Aktien zu schreiben, ist das ein gutes Barometer. Dann sollte ich vielleicht mal aussteigen.

Was halten Sie von Immobilien als Teil des Vermögensaufbaus?

Rathjen: Viele glauben, mit dem sogenannten Betongold ist viel Geld zu verdienen. Bei den Preisen gibt es dann nur eine Wahrnehmung. Sie steigen. Das ist ein gefährliches Spiel. Denn die Preise können auch mal um ein Drittel oder mehr fallen. Das haben wir in Berlin erlebt, aber auch in Skandinavien oder in Spanien. Der Wert von Immobilien schwankt. Wenn ich eine Immobilie auf Jahrzehnte kaufe, eine vernünftige Finanzierung mache und sie selbst 30 Jahre lang nutze, sind Immobilien okay. Mit Immobilien zu sehr hohen Preisen wie jetzt kann man aber auch viel verlieren. Aus empirischer Sicht kann ich sagen: Immobilen haben sich in den letzten 40 Jahren in vielen Ländern als heikles Investment erwiesen.

Was halten Sie von Gold? Der Wert ist bis auf Rekordhöhe gestiegen.

Rathjen: In den 1980er-Jahren hatte ich einen Freund, der hat von seinem Opa eine Goldmünze bekommen. Die war damals 800 Dollar wert, das war sehr viel Geld. Einige Jahre später war das Ding noch 280 Dollar wert. Gold hat keinen intrinsischen, also fairen Wert. Gold ist nur so viel wert, wie Menschen bereit sind, dafür zu bezahlen. Ich finde es okay zu sagen, ist stecke da mal fünf Prozent meines Ersparten rein, um mich sicherer zu fühlen. Als Baustein meines Portfolios ist das nicht verkehrt. Aber man muss wissen, dass der Goldpreis schwankt. Ich bekomme da nicht automatisch eine Monsterrendite. Man muss mitunter Zeit haben, um überhaupt eine positive Rendite zu bekommen.

Die Zinsen sind niedrig und werden wohl niedrig bleiben. Was können Anleger machen, die auf hohe Renditen Wert legen?

Rathjen: Das hängt natürlich vom individuellen Anleger ab. Für viele passt ein ETF, der auf dividendenorientierte Unternehmen auf der ganzen Welt setzt. Es gibt viele Unternehmen, die Jahr für Jahr gutes Geld verdienen und einen Teil davon an ihre Aktionäre weitergeben. Da hab ich eine reale Chance auf laufende Erträge von 1,5 bis drei Prozent pro Jahr und am Ende der Anlagezeit auf ein Plus bei den Kursen. Garantien gibt es da nicht, aber sehr viele dieser Unternehmen sind attraktiv und sehr gesund.

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