Berlin. Per Smartwatch wollen Münchner Forscher milde Corona-Fälle fernüberwachen. Könnte die Idee bald die Betten-Not in Kliniken stoppen?

Ein Blick aufs Handgelenk kann die Unsicherheit beruhigen. Auf dem Ziffernblatt der Armbanduhr zeigt es ein runder Bildschirm: alle Werte in Ordnung, kein Grund zur Sorge.

Kann solch eine smarte Uhr , die zuhause regelmäßig die wichtigsten Gesundheitswerte misst, Corona-Patienten überzeugen, bei nur leichten Symptomen nicht sofort ins Krankenhaus zu fahren – und dort vielleicht ohne Not Betten zu belegen?

Corona: Immer weniger freie Intensivbetten in Kliniken

Eine aktuelle Studie der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU) will mithilfe solch vernetzter Armbanduhren herausfinden, wie sich überflüssige Krankenhausaufenthalte vermeiden lassen. So sollen knappe Klinikbetten möglichst lange frei bleiben können. Bei Erfolg könnte ein solcher Ansatz die Krankenhäuser in der Corona-Pandemie stark entlasten.

Und das wird immer drängender. Die Zahl der Covid-19-Erkrankten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, hat sich seit Anfang Oktober auf rund 3900 verzehnfacht und steigt täglich weiter. In Berlin etwa sind bald nur noch zehn Prozent der Intensivbetten frei, meldet das DIVI-Intensivregister , das im Frühjahr gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut aufgebaut wurde. Auf den Intensivstationen läuft ein Kampf gegen die Zeit .

Zahl der Corona-Intensivbetten wurde bereits erhöht

Die Zahl der für Covid-Patienten geeigneten Intensivbetten wurde nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) bereits von 20.000 auf rund 30.000 Plätze gesteigert. Zusätzlich steht laut DKG eine Reserve von 12.700 Betten bereit. Diese Reserve könne demnach bei Bedarf innerhalb einer Woche aktiviert werden kann.

Sinkt die Zahl der freien Intensivbetten weiter wie zuletzt, besteht die Gefahr, dass das System der Intensivstationen an seine Grenzen stößt. Im Zentrum der Bemühungen steht es, eine sogenannte Triage-Situation zu verhindern, in der das Klinikpersonal auswählen müsste, wer noch optimal behandelt werden kann und wer nicht.

In der Schweiz sind bereits sämtliche Intensivbetten belegt, erklärte die Schweizer Gesellschaft für Intensivmedizin Mitte November.

Smartwatch soll unnötige Klinikbesuche bei Corona verringern

Das Forscherteam des Münchener LMU-Klinikums will im Rahmen ihrer Studie Patientinnen und Patienten, die einen positiven Coronatest erhalten haben, während ihrer häuslichen Quarantäne 30 Tage lang mit einer Hybrid-Smartwatch ausstatten – und sie auf diesem Weg praktisch fernsteuern.

„Mithilfe der Smartwatch wollen wir objektive Messdaten zum Corona-Patienten bringen und nicht mehr nur auf Basis des Gefühls beraten, ob eine Vorstellung beim Arzt notwendig ist“, sagt Kardiologe und Studienleiter Moritz Sinner unserer Redaktion. Finanziert wird die Studie, die seit September läuft, vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Lesen Sie auch: Stiftung Warentest: Das sind die besten Smartwaches

Forscher suchen Corona-Positive mit Vorerkrankung

Teilnehmen können Corona-Positive im Raum München, die zwischen 40 und 60 Jahre alt sind, ein Smartphone besitzen und einer Risikogruppe angehören: Etwa starke Raucher oder Menschen mit bekannten Vorerkrankungen im Herz- und Lungenbereich. Denn bei ihnen verläuft Covid-19 häufig schwerer, sagt Sinner. Und sie sind bei Symptomen oft unsicher, ob sie eine Klinik aufsuchen sollen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in zwei Zufallsgruppen geteilt: Eine erhält eine Hybrid-Smartwatch samt Einweisung mit nach Hause. Die Kontrollgruppe wird herkömmlich in Quarantäne geschickt, kann aber jederzeit die volle Behandlung durch das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen.

Die in der LMU-Studie verwendete Scanwatch eines französischen Herstellers zeigt hier gerade die Pulswerte. Die Hybrid-Uhr verwendet nur einen kleinen Bildschirm und verfügt daher über eine längere Akkulaufzeit als herkömmliche Smartwatches.
Die in der LMU-Studie verwendete Scanwatch eines französischen Herstellers zeigt hier gerade die Pulswerte. Die Hybrid-Uhr verwendet nur einen kleinen Bildschirm und verfügt daher über eine längere Akkulaufzeit als herkömmliche Smartwatches. © Withings | Withings

Als internetfähige Uhr verwenden die Forscherinnen und Forscher im Rahmen einer Kooperation ein Modell namens Scanwatch des französischen Herstellers Withings. Die Hybrid-Uhr ist so auch im Handel erhältlich und erfüllt mehrere Anforderungen, erklärt Studienleiter Sinner. Sie ist leicht bedienbar, sieht aus wie eine klassische Armbanduhr und werde daher von den Teilnehmenden gut angenommen.

Zudem hält ihr Akku bis zu 30 Tage durch. Denn anders als herkömmliche Smartwatches, die das gesamte Display als Anzeige nutzen und so öfter an den Strom müssen, spart der Mini-Bildschirm der Hybrid-Uhr Energie. Obendrein sei die Genauigkeit der Uhr recht hoch.

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Smart-Uhr misst EKG und Blutsauerstoff „medizinisch genau“

Die Teilnehmenden der Studie werden gebeten, zuhause zwei Mal täglich drei Messungen am Handgelenk vorzunehmen: Puls, EKG und Blutsauerstoffsättigung (SpO2). Die Scanwatch ist laut Hersteller in der Lage, sowohl EKG als auch SpO2 „medizinisch genau“ messen zu können.

Das EKG ersetze zwar nicht das beim Arzt, betont Sinner. Doch die Messungen bisher seien „erwartet gut“ und passten stets zum geschilderten Befinden.

Die Messwerte der Scanwatch laden die Patienten über ihr verbundenes Smartphone in die Gesundheits-App des Herstellers. Auf dem Bildschirm können sie alle Werte übersichtlich verfolgen. Zeigt das EKG Unregelmäßigkeiten, kann dies auf ein gefährliches Vorhofflimmern oder andere Herzrhytmus-Störungen hinweisen.

Klinikbesuch wegen Corona oder nicht: Experte bewertet Messergebnisse

Sinkt der Blutsauerstoff unter einen Grenzwert, wird womöglich nicht genug sauerstoffreiches Blut aus der Lunge zum Herzen transportiert – eine bekannte Folge von Covid-19. Auffälligkeiten meldet die App dem Nutzer.

Erhalten die Studienteilnehmer kritische Gesundheitswerte oder haben einfach Beschwerden, können sie eine 24-Stunden-Hotline anrufen. Am Telefon klärt ein Corona-erfahrener Experte mit ihnen die Symptome ab und kann bei Bedarf Einblick in die Messwerte der App nehmen, erklärt Sinner. Erst dann folgt die Empfehlung, ob ein Besuch in der Klinik angeraten ist.

LMU-Studie mit Smartwatch: Ergebnisse nicht vor Frühjahr

Ob die Studie am Ende bei dieser und bei kommenden Pandemien dabei helfen kann, Kliniken bundesweit zu entlasten, lässt sich noch nicht absehen, betont Studienleiter Sinner. Seit September hätten sich erst 30 Freiwillige der benötigten Alters- und Risikogruppe gefunden. Das Ziel sind 600 Teilnehmende.

„Verbesserungsbedarf“ sieht Sinner beim schleppenden Informationsfluss: Bis sie durch die Gesundheitsbehörden vom positiven Coronatest und dann von der Studie erfahren, sei bei vielen interessierten Patienten die Quarantäne längst vorüber – und sie wieder gesund. „Aber die Teilnehmer bisher nehmen die Studie sehr dankbar an und sind mit der Uhr zufrieden“, berichtet der Kardiologe.

Nun hofft das Team um Sinner, im Zuge der zweiten Corona-Welle genügend Teilnehmende zu gewinnen. „Auch wenn wir sie uns die Welle alle nicht wünschen“, sagt Sinner. Erst im Frühjahr wird somit klarer sein, ob sich im Rennen um knappe Klinikbetten mit smarten Uhren Zeit gewinnen lässt.