Berlin. Einige Corona-Mutationen bereiten Experten Sorgen. Sie könnten es infektiöser und laut vorläufigen Daten auch tödlicher machen.

Es ist längst nicht mehr das Urvirus, das in Deutschland und der Welt kursiert. Zahlreiche Mutationen, kleinere und größere Veränderungen im Erbgut, hat Sars-CoV-2 seit Beginn der Pandemie durchgemacht.

Ein natürlicher Vorgang, der Wissenschaftlern und Politikern derzeit aber große Sorge bereitet und sogar die Diskussion um Grenzkontrollen in Europa erneut entfacht hat.

Denn einige der Mutanten breiten sich rasch aus, lassen Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen. Nun gibt es auch „einige Hinweise“ auf eine erhöhte Sterblichkeit durch die Virus-Variante, die zuerst in Großbritannien aufgetreten ist, wie der britische Premierminister Boris Johnson am Freitag erklärte.

Britische Wissenschaftler zeigen sich deutlich zurückhaltender und verweisen auf die geringe Datenmenge und noch ausstehende Analysen.

Was über die Mutationen bekannt ist:

Über welche Mutationen wird derzeit gesprochen?

Es sind vor allem zwei Varianten des Coronavirus Sars-CoV-2, auf die Politik und Wissenschaft derzeit schauen:

die Variante B.1.1.7, die sich seit September vor allem vom Süden und Südosten Großbritanniens aus verbreitet (auch VOC-202012/01 genannt) und die Variante B.1.351 (auch 501Y.V2 genannt).

Sie wurde in Südafrika entdeckt, weist eine gewisse Ähnlichkeit mit der britischen Mutante auf, gehört laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) aber nicht zur gleichen Viruslinie. B.1.351 ist inzwischen auch in Kuba und Panama nachgewiesen worden.

Außerdem ist eine weitere Mutante in Brasilien aufgetaucht, die Ähnlichkeit hat mit B.1.351 aus Südafrika. Sie wurde inzwischen auch in Japan gefunden.

Eine am Klinikum Garmisch-Partenkirchen in Bayern nachgewiesene Variante des Coronavirus ist nach ersten Erkenntnissen harmlos. Derzeit werden Proben an der Berliner Charité untersucht.

Virologe Christian Drosten gab Anfang der Woche auf Twitter vorläufig Entwarnung:

„Nur zur Klarstellung: Wir haben keinerlei Hinweis auf eine besondere Mutation. UK-Mutante nicht gefunden, jetzt zur Vollständigkeit noch Sequenzierung. Ich erwarte da im Moment keine Überraschungen.“

Sind die Virusvarianten bereits in Deutschland nachgewiesen worden?

Sowohl die Großbritannien- als auch die Südafrika- und die Brasilien-Mutante sind hierzulande nachgewiesen worden. Laut RKI wurde die Variante B.1.1.7 (Stand: 22. Januar) in 33 Fällen in sieben Bundesländern nachgewiesen, teilte das Institut auf Anfrage mit.

Bei der Mehrheit der Fälle habe die Infektion im Ausland stattgefunden oder es gebe einen Link ins Ausland. Außerdem habe man Kenntnis von 18 Fällen, in denen die Variante aus Südafrika nachgewiesen wurde. Auch hier bestehe bei fast allen Fällen eine Verbindung ins Ausland.

Darüber hinaus gebe es im familiären Umfeld der Infizierten Folge- oder Verdachtsfälle, die nicht sequenziert worden seien.

Seit Freitag gibt es zudem einen ersten Fall der Brasilien-Mutante in Deutschland. Sie ist laut der Virologin Sandra Ciesek bei einer Person festgestellt worden, die am Donnerstag aus Brasilien in Frankfurt angekommen war.

Wie verbreitet die mutierten Varianten hierzulande wirklich sind, lässt sich jedoch nicht genau sagen, da in Deutschland – anders als etwa in Großbritannien oder Dänemark – Virusgenome bislang nicht systematisch sequenziert werden.

Um ein klareres Bild zu erhalten, sollen Genomsequenzen nun nachträglich ausgewertet werden, teilte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vergangene Woche mit.

Warum beschäftigen die Mutanten Politik und Wissenschaft?

Die größte Sorge lag bislang in einer erhöhten Infektiosität der mutierten Varianten. Die Großbritannien-Mutante ist britischen Experten zufolge 30 bis 70 Prozent leichter übertragbar, als die bislang vorherrschende Virus-Variante. Auch B.1.351 aus Südafrika ist nach ersten Erkenntnissen ansteckender.

Für Deutschland könnte eine Verbreitung der neuen Virusvarianten also bedeuten: mehr Infektionen, mehr schwere Verläufe, mehr Tote. Das möchte die Politik durch verschärfte Maßnahmen verhindern.

Nun gibt es außerdem erste Hinweise darauf, dass der mutierte Erreger aus Großbritannien nicht nur ansteckender, sondern möglicherweise auch tödlicher ist.

„Neben der schnelleren Ausbreitung scheint es nun auch Hinweise darauf zu geben, dass die neue Variante mit einer höheren Sterblichkeit verbunden sein könnte“, sagte der britische Premierminister Boris Johnson am Freitagabend in London.

Experten rieten jedoch zur Vorsicht. Ob und wie viel tödlicher die neue Variante ist, sei noch sehr unsicher, warnte der wissenschaftliche Berater der Regierung Patrick Vallance bei der Pressekonferenz im Regierungssitz Downing Street.

Auch die medizinische Direktorin der Gesundheitsbehörde Public Health England, Yvonne Doyle, zeigte sich angesichts der Aussagen Johnsons zurückhaltend.

Dem Sender BBC Radio 4 sagte sie: „Es ist zu früh, das zu sagen.“ Es gebe zwar Hinweise. Aber: „Es handelt sich nur um eine kleine Zahl von Fällen, und es ist viel zu früh, um zu sagen, was tatsächlich herauskommen wird“, sagte Doyle.

Der Wissenschaftler Mike Tildesley, Mitglied des Expertengremiums, das die Regierung berät, sagte ebenfalls der BBC, es sei zu früh für klare Aussagen. „Ich würde gerne noch ein oder zwei Wochen warten und ein bisschen analysieren, bevor wir wirklich starke Schlussfolgerungen ziehen.“

Die Zahl der Todesfälle sei zwar leicht gestiegen, von 10 auf 13 je 1000 Patienten. „Aber das basiert auf einer ziemlich kleinen Datenmenge“, sagte Tildesley.

Er sei sehr überrascht gewesen, dass Johnson die Information auf einer Pressekonferenz verkündet habe. „Ich mache mir Sorgen, dass wir Dinge voreilig melden, wenn die Daten noch nicht wirklich besonders aussagekräftig sind“, sagte Tildesley.

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Können die Mutationen die Wirkung der Impfung beeinträchtigen?

Bislang gebe es darauf keinen Hinweis, sagte Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, unserer Redaktion.

Zwar betreffen die Mutationen vor allem das Spike-Protein – also jenen Teil des Virus, gegen den der Körper bei einer Impfung Antikörper entwickeln soll. „Aber man muss bedenken, dass das Spike-Protein aus 1200 Bausteinen besteht, zehn davon sind bei der Großbritannien-Variante verändert, nicht einmal ein Prozent“, so der Immunologe.

Eine aktuelle Untersuchung von ­Biontech/Pfizer zur Wirksamkeit ihres Impfstoffes bei Corona-Mutanten bestätigt Watzls Einschätzung.

In einem Zellmodell konnten Forscher zeigen, dass Seren von Probanden, die zuvor geimpft worden waren, in der Lage waren, ein Pseudovirus mit dem Spike-Protein der Großbritannien-Variante zu neutralisieren.

Die durch die Impfung erzeugten Antikörper wirken also auch gegen das veränderte Virus. Die Studie ist noch nicht unabhängig wissenschaftlich begutachtet worden.

Auch die Experten in Großbritannien gehen nicht davon aus, dass die Schutzwirkung der bisher verwendeten Impfstoffe durch die heimische Virus-Variante beeinträchtigt wird.

Für die in Südafrika und Brasilien entdeckten Mutanten sei dies noch unklar, sagte der britische Regierungsberater Patrick Vallance.

Wirkt die Immunität nach einer überstandenen Corona-Infektion auch gegen mutierte Varianten?

Viele Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 infizieren, entwickeln eine Immunität. Für eine gewisse Zeit – wie lange, ist unklar – sind sie gegen eine erneute Infektion geschützt. Nun gibt es Zweifel, ob diese Immunität auch bei den mutierten Varianten wirkt.

Sorge bereiten Experten Beobachtungen aus der nordbrasilianischen Stadt Manaus. Dort breitet sich derzeit eine Mutante aus, die Infektionszahlen steigen – und das, obwohl sich laut einer Studie bis Oktober 76 Prozent der Stadtbevölkerung bereits mit dem Coronavirus angesteckt hatten.

Auch eine Studie aus Südafrika, die noch nicht unabhängig begutachtet worden ist, legt nahe, dass einerseits einige sogenannte monoklonale Antikörper die Virusvariante B.1.351 nicht erkennen und unschädlich machen können.

Diese im Labor hergestellten Antikörper werden etwa in den USA zur Therapie von Covid-19-Patienten eingesetzt. Andererseits blieben auch neutralisierende Antikörper ehemaliger Covid-Patienten ganz oder teilweise wirkungslos.

Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass es künftig vermehrt zu Reinfektionen mit dem mutierten Virus kommen könnte.

Sie betonen jedoch, dass sich die Studie allein auf die Wirkung von Antikörpern bezieht. Nicht berücksichtigt worden sei die T-Zell-Immunität, die ebenfalls zur Bekämpfung des Virus beitrage.