Hamburg. Dicke Kinder werden meist dicke Erwachsene und sterben früher, sagt Ernährungsdoc Dr. Matthias Riedl. Er stellt Forderungen an die Politik.

Die Weichen werden früh gestellt: Ein dickes Kind werde nämlich ziemlich sicher ein dicker Erwachsener, sagt der Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl: „Man kriegt so ein Kind wirklich nur mit großer Mühe, wenn es älter als zehn ist, noch weg von diesem schweren Übergewicht. Und diese Kinder werden eher sterben.“

Der NDR-Ernährungs-Doc spricht in der neuen Folge des Podcasts „Dr. Matthias Riedl. So geht gesunde Ernährung“ von einer „Katastrophe auf unseren Tellern“. Er hat ein neues Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Unser Essen – Killer und Heiler. Warum wir etwas gegen die Katastrophe auf unseren Tellern machen müssen.“ Das Cover zeigt ein Gummibärchen mit einem Messer im Rücken.

Jeder vierte Ältere hat Diabetes oder eine Vorstufe

Das verstörende Bild sei bewusst gewählt, sagt der ärztliche Leiter des Medicum Hamburg, Europas größte, Facharztzentrum für Diabetologie, Ernährungsmedizin und angrenzende Fachgebiete, denn er wolle aufrütteln. Es gehe nicht nur darum, Krankheiten zu heilen, sondern diese zu verhindern. „Da laufen wir, und das ist den meisten Menschen nicht bewusst, auf eine Katastrophe zu. Und eigentlich ist die Katastrophe schon da. Und es ist tatsächlich so, dass wir uns mit dem, was wir essen, ein Messer in den Rücken treiben.“

Dieser Vergleich sei nicht übertrieben: „Weltweit sind schon 20 Prozent aller Todesfälle durch falsche Ernährung bedingt und in Deutschland, davon gehen wir aus, ist es noch viel schlimmer. Da sind 80 Prozent der Erkrankungen verhaltens- und davon 70 bis 80 Prozent durch falsches Essen bedingt. Mit anderen Worten: Die Leute, die im Wartezimmer sitzen, die sind fast nur essensbedingt dort.“

Jeder Vierte in Deutschland ist seinen Angaben zufolge adipös, also massiv übergewichtig und im höheren Alter, so mit 60, 70 Jahren, sei jeder vierte in der Bevölkerung Diabetiker oder habe eine Vorstufe davon. „Insgesamt muss man sagen, über 50 Prozent der Frauen und fast 60 Prozent der Männer sind übergewichtig. Bei den Kindern ist es schon jedes zehnte und sechs Prozent davon sind richtig adipös.“

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Dr. Riedl: Das sind die drei großen Killer

Sobald Kinder der Marketingmaschinerie der Nahrungsmittelindustrie ausgesetzt seien, würden sie treue Konsumenten von Fast Food, Limonaden und Süßigkeiten und liefen Gefahr, wirklich krank zu werden. Der Ernährungsmediziner spricht von „den drei großen Killern, die nachweislich in den Studien unsere Lebenserwartung verkürzen. Das sind Limonaden, Süß- und Backwaren und auch Wurstwaren. Und wenn man die schön kombiniert und dann auch noch vieles anderes falsch macht, dann haben wir ganz schnell mal bei Männern eine 15 bis 20 Jahre kürzere Lebenserwartung. Also dann reden wir vom Tod mit knapp über 60.“

Das sei vielen nicht bewusst und das sei fatal, „weil wir eine gesunde Bevölkerung brauchen. Eine kranke Bevölkerung verschlingt Milliarden völlig umsonst. Das ist Geld, was für die junge Generation später nicht mehr zur Verfügung steht. Wir haben dann nicht mehr das Geld, unsere Jugend später so zu versorgen, wie wir jetzt versorgt sind. Es wird zu Einsparungen kommen“, meint der Bestsellerautor von mehr als 30 Büchern zum Thema Ernährung. Deutschland verschwende Ressourcen, aber eine kranke Jugend sei am Ende nicht leistungsfähig ist. „Und wir brauchen leistungsfähige junge Menschen, die in den Wirtschaftsprozess mit einfließen.“

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Kritik: Zusätze in Lebensmittel zu wenig untersucht

Besonders kritisch sieht Riedl die Vielzahl an Fertigprodukten: „Wir haben um die 3000 Additive in unseren Fertiglebensmitteln, die nicht richtig untersucht sind.“ Viele seien kaum untersucht in ihrer Wirkung auf den Menschen. „Also man schmeißt sozusagen diese Substanzen in eine Blackbox und weiß eigentlich gar nicht genau, was im Körper dabei passiert. Wir kommen bei immer mehr Additiven dahinter, zum Beispiel bei den Süßungsmitteln, dass sie die Darmflora schädigen. Wir werden also durch diese synthetische, diese künstliche Astronautenkost, die auf Geschmack und Verkauf optimiert wurde, auf der einen Seite schlechter versorgt und auf der anderen Seite kriegen wir Substanzen, also Chemie zugefüttert, die unserem Körper nicht gut tun.“

Diese Gemengelage habe zum Buchtitel geführt, sagt der Ernährungsmediziner. Fertignahrungsmittel enthalten seinen Angaben zufolge aber kaum Eiweiß. „Eiweiß würde uns satt machen. Die Fertignahrungsmitteln haben einen sehr, sehr geringen Eiweißanteil, deshalb überfrisst man sich daran leicht, wird übergewichtig und krank.“

Selbst zu kochen sei deshalb total wichtig. 500 Gramm Gemüse am Tag seien notwendig, und „dann reden wir nicht von irgendwelchen vorbereiteten Gemüseschalen, sondern das muss ich mir selber schnipseln und selber kochen“, so der Ernährungsmediziner.

Forderung: Ein Ministerium für Ernährungs und Gesundheit

Die Ministerien für Landwirtschaft und für Gesundheit müssten zusammengeführt werden, fordert Riedl. „Wir haben jetzt das Problem, dass die Bevölkerung großflächig krank wird und früher stirbt oder kränker stirbt. Und das ist dann ein Problem vom Bundesgesundheitsminister, der das übrigens noch gar nicht so richtig akzeptiert hat.“ Und es brauche nicht nur dringend eine Mehrwertsteuerbefreiung von gesunden Lebensmitteln wie Nüssen, Gemüse, Vollkornprodukten, Milch und Käse, „bei der Inflation müssten wir es fast subventionieren. Wir müssen der Bevölkerung erlauben, sich gesund zu ernähren. Es muss billiger werden.“ Riedl fordert außerdem eine Zuckersteuer.

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Und es dürfte keine Werbung für Junk Food mehr geben, die sich an Kinder richtet, findet Riedl: „Da werden nämlich junge Konsumenten dressiert als spätere Verbraucher – ganz im Sinne der Lebensmittelindustrie. Und das unter den Augen der Bundesregierung. Das darf so nicht weiter sein. Ganz nebenbei brauchen wir auch Ernährungsunterricht in der Schule.“

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