Berlin. Der Klimawandel wird das Leben in Deutschland verändern. Wie wird das Land im Jahr 2050 aussehen? Ein neues Buch gibt einen Ausblick.

Die ersten Auswirkungen des Klimawandels sind heute schon in Deutschland zu spüren, zum Beispiel durch die Unwetter und das damit einhergehende Hochwasser in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz in diesem Sommer. In Südeuropa wurden riesige Waldbrände durch eine Rekord-Hitzewelle verstärkt. Und das ist erst der Anfang.

Zur Mitte des Jahrhunderts wird der Planet deutlich wärmer sein, und auch in Deutschland werden die Folgen des Klimawandels stärker spürbar sein als jetzt. Was genau der Klimawandel im Alltag bedeutet, haben die Fachjournalisten Toralf Staud und Nick Reimer aufgeschrieben:

Für ihr Buch „Deutschland 2050 – wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ sind sie durchs Land gereist und haben mit Klimaforschern, Landwirtinnen, Tourismusexperten und vielen anderen gesprochen. Im Interview erzählt Staud, warum Krankenhäuser bald Klimaanlagen brauchen und zwei Grad Erwärmung das beste Szenario sind.

Herr Staud, Ihr Buch heißt „Deutschland 2050“. Wie wird das Land aussehen, in dem wir dann leben?

Wir werden vor allem in einem heißeren Land leben. Im Schnitt wird es in Deutschland so heiß wie in den Sommern von 2003, 2018 oder 2019. Was heutzutage ein extremer Hitzesommer ist, wird Mitte des Jahrhunderts normal sein. Es wird in vielen Regionen im Sommer auch ein trockeneres Land. Und vor allem wird es ein unsichereres Land. Wir werden mehr Wetterextreme bekommen: Starkregen, richtig krasse Wolkenbrüche im Sommer, die auf dem Land die Äcker wegspülen und die Städte überschwemmen.

Wie sicher sind Sie, dass es so kommen wird?

Ziemlich sicher. Die Modelle der Klimaforschung sind in den letzten 20 Jahren viel besser und präziser geworden. Man kann sie auch überprüfen, und das wird auch gemacht. Die beste Überprüfung ist es, die Vergangenheit nochmal nachzurechnen. Man hat ja die realen Temperaturdaten der Vergangenheit, und auch den früheren Treibhausgas-Gehalt der Atmosphäre. Man nimmt dann also die CO2-Konzentration der Vergangenheit, füttert damit das Modell und guckt, ob die ausgerechneten Temperaturen das damals real Gemessene treffen. Das tun sie. Wir wissen daher, dass die Modelle die Vergangenheit gut abbilden. Und wenn man dann nach vorne rechnet, dann kommt man auf die durchschnittlich zwei Grad Erwärmung, die wir in Deutschland 2050 haben werden.

Toralf Staud hat gemeinsam mit Nick Reimer das Buch verfasst:
Toralf Staud hat gemeinsam mit Nick Reimer das Buch verfasst: "Deutschland 2050: Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird."

Die zwei Grad sind auch der Anstieg, von dem Sie im Buch ausgehen.

Genau. Zwei Grad ist das, womit wir im Jahresschnitt rechnen müssen. Die Winter werden sich stärker erwärmen als die Sommer, die Frosttage werden in einigen Regionen in Deutschland zur Seltenheit werden. Was auch ich bei der Recherche zum Buch erst gelernt habe: Die Temperaturen Mitte des Jahrhunderts stehen schon so gut wie fest. Das Klimasystem der Erde ist ein ziemlich träges System, und die Treibhausgase sind langlebig, vor allem CO2. Die Gase, die Mitte des Jahrhunderts unser Klima bestimmen werden, haben wir zum größten Teil längst ausgestoßen. Zum Ende des Jahrhunderts, für 2100 ist es viel weniger sicher.

Anders ausgedrückt: Das Klima Ende des Jahrhunderts können wir durch Klimaschutz jetzt noch deutlich beeinflussen. Wir haben die Wahl, ob sich das Klima auf dem Niveau des Jahres 2050 einpendelt, wenn wir jetzt wir jetzt echten Klimaschutz machen. Oder wir machen weiter wenig Klimaschutz, und die Erhitzung wird bis Ende des Jahrhunderts noch viel, viel krasser. Die zwei Grad sind leider das optimistische Szenario.

Hitze, Dürre und höhere Meeresspiegel kennen viele Menschen als Klimafolgen. Was sind Auswirkungen, an die man nicht im ersten Moment denkt?

Was die Hitze konkret heißt, hat man häufig nicht auf dem Schirm. Wenn man sich eine Großstadt wie Berlin anschaut, gibt es da sehr unterschiedlich dicht besiedelte Bezirke. In Wedding, Moabit oder Neukölln mit ihren eng bebauten Hinterhöfen heizt sich die Stadt viel stärker auf als in den locker bebauten Gegenden im Westen wie Zehlendorf. Eine Hitzewelle, die im Einfamilienhaus noch gut auszuhalten sein mag, ist einem engen Quartier wie Moabit oder Neukölln schon richtig quälend. Wenn man dann noch im Dachgeschoss wohnt, werden in ungünstigen Gebäuden in den Innenstadtbezirken Temperaturen herrschen, die für ältere Menschen und vorerkrankte lebensbedrohlich sind.

Unsere Bausubstanz ist auf das Klima der Vergangenheit ausgerichtet, nicht auf ein Klima wie in Spanien oder Italien. Berlin wird ungefähr das Klima bekommen, das Toulouse heute hat, zeigen Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes. Hamburg wird so ähnlich wie heute Pamplona sein.

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Wie können wir uns darauf vorbereiten?

Deutschland ist ein Land der Ingenieure. Zu einer Reihe von Problemen werden wir Lösungen finden. Die Frage ist, was das kostet – und nach allem, was wir wissen, wird es irre teuer! Wegen der Hitzewellen werden alle Altenheime, Krankenhäuser oder auch Kindergärten Klimaanlagen brauchen. Das bedeutet schon mal einen sehr viel höheren Stromverbrauch. Es ist aber auch praktisch enorm kompliziert und teuer, in einem laufenden Krankenhaus zusätzliche Schächte für Lüftungen einzubauen.

An vielen kleinen Punkten viele kleine Änderungen zu machen, wird unterm Strich sehr viel teurer, als jetzt Klimaschutz zu betreiben. Klimaschutz bedeutet jedenfalls nicht Umstellung, sondern Stabilität. Wenn wir weiter ein halbwegs sicheres und stabiles Leben in Deutschland führen wollen, müssen wir jetzt starken Klimaschutz machen.

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Sie berichten seit langem über den Klimawandel. Sind Sie bei der Recherche selbst noch erschrocken?

Ja, an einer ganzen Reihe von Punkten. Wir haben für das Buch zum Beispiel mit einem Risikoberater von einer Wirtschaftsberatung gesprochen, der sich viel mit Lieferketten beschäftigt. Viele Zulieferungen aus dem Ausland werden unsicherer und teurer, weil in anderen Regionen der Welt der Klimawandel noch viel stärker zuschlägt. Auch in Deutschland werden Lieferketten unterbrochen. Der Rhein als wichtigste Binnenwasserstraße Europas wird ab Mitte des Jahrhunderts viel häufiger Niedrigwasser führen. 2018, 2019 hatten wir einen Vorgeschmack darauf. Da war das Wasser über viele Wochen so niedrig, dass beispielsweise Raffinerien in Köln und das BASF-Stammwerk in Ludwigshafen die Produktion drosseln mussten, weil Schiffe sie nicht mehr erreicht haben. Wasserstraßen und andere Verkehrswege werden wegen des Klimawandels häufiger unterbrochen sein, und das wird der Wirtschaft große Schwierigkeiten machen.

Welche Auswirkungen auf die Wirtschaft gibt es noch?

Das am meisten unterschätzte Risiko, sagte dieser Berater, ist die Hitze: Die üblichen Werkhallen von mittelständischen Betrieben, die zu hunderttausenden in Gewerbegebieten stehen, sind aus Metall und praktisch nicht gedämmt. Bis jetzt geht das gut. Im Winter heizen die Maschinen, im Sommer lässt man die Tore offen, und der Wind streicht durch. Aber das geht in 30 Jahren nicht mehr, weil wir da langanhaltende Hitzewellen haben werden. Da wird es in diesen Hallen so heiß, dass man da nicht mehr arbeiten kann. Klar, man kann eine Klimaanlage einbauen oder sie dämmen. Aber das ist teuer und aufwendig, und von diesen Hallen gibt es sehr, sehr viele.

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Sie haben eine bessere Vorstellung davon, was da auf uns zu kommt, als die meisten anderen Menschen. Wie gehen Sie mit diesem Wissen um?

Ich gehe jetzt anders durch die Welt. Mir fällt zum Beispiel, auf wie nah manche Gebäude an Wäldern stehen. Wir werden bei zunehmender Trockenheit eine viel höhere Waldbrandgefahr haben. In Regionen wie Kalifornien oder in Südeuropa, wo es schon immer mehr Waldbrände gibt, gibt es Vorschriften für jetzt Mindestabstände. Sowas werden wir vermutlich auch brauchen.

Oder ich bemerke, wie nah an Gebirgsbächen gebaut wird, die in Zukunft bei Starkregen innerhalb weniger Stunden zu reißenden Strömen werden können. Wir haben viele häufig mittelalterliche Siedlungen, die an den Flüssen gebaut wurden. Das war ja auch in den letzten 500 Jahren eine Super-Location, etwa für Wassermühlen. Aber in der Zukunft wird das ein risikoreicher Siedlungsort.

Sind Sie optimistisch, dass wir die Erwärmung auf zwei Grad begrenzen können?

Ja, bin ich. Klimaschutz ist jetzt breiter akzeptiert. Seit dem Urteil aus Karlsruhe, ist der Gedanke, dass Klimaschutz die Zukunft und die Freiheit unserer Kinder sichert, bei vielen Leuten angekommen. Mir scheint auch, dass die Erfahrung der Hitze- und Dürrejahre 2018 und 2019 etwas verändert hat. Es muss noch deutlich mehr beim Klimaschutz passieren – aber insgesamt stimmt seit kurzem zumindest die ungefähre Richtung.