Berlin. Im Pandemie-Jahr 2020 sind in Deutschland 28.000 Menschen mehr gestorben als üblich. Doch das hat nicht nur mit Covid-19 zu tun.

Jeden Tag Hunderte, manchmal mehr als 1000 Tote, die mit oder am Coronavirus sterben. Wer die Nachrichten verfolgt, weiß: Die Lage in Deutschland ist sehr ernst. Doch hat die Pandemie bislang auch zu außergewöhnlich vielen Todesfällen geführt? Oder behalten am Ende diejenigen recht, die zu Beginn des vergangenen Jahres prophezeiten: Es wird nicht schlimmer als in anderen Jahren?

Vorläufige Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Übersterblichkeit 2020 zeigen: Die Corona-Pandemie hat zu einem deutlichen Anstieg der Sterbezahlen in Deutschland geführt. Danach sind allein bis Mitte Dezember 921.989 Menschen gestorben – über 28.000 mehr als der Durchschnitt der Vorjahre. Die Übersterblichkeit, also überdurchschnittlich hohe Sterbefallzahlen, betreffen bisher fast ausschließlich Menschen im Rentenalter.

Interaktive Grafik: Wie tödlich das Coronavirus wirklich ist

Während 2018 eine besonders heftige Grippewelle dazu beigetragen hat, dass verglichen mit den Jahren 2016 bis 2019 fast 22.000 mehr Menschen gestorben sind, sind die Sterbefallzahlen während der Grippesaison 2020 niedriger als sonst geblieben. Erste Corona-Maßnahmen, wie Schulschließungen ab der 12. Kalenderwoche (KW), dürften laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) auch „erheblich“ zu einem früheren Ende der Grippesaison 2020 beigetragen haben.

Ein Trend, der sich fortgesetzt hat: Seit Beginn der neuen Influenza-Saison im Herbst sind laut RKI bundesweit weniger als 300 im Labor bestätigte Influenza-Fälle gemeldet worden. Vor einem Jahr waren es ungefähr zu dieser Zeit schon mehr als 5000 Fälle. Auch die Ausbreitung anderer ansteckender Krankheiten wurde durch die Kontaktbeschränkungen gebremst. Laut einer Analyse des RKI gingen besonders Atemwegs- und Magen-Darm-Erkrankungen zurück.

Hohe Sterbezahlen im Sommer wegen Hitze

Ein Zusammenhang zwischen überdurchschnittlich vielen Todesfällen im Jahr 2020 und der Corona-Pandemie ist „sehr, sehr naheliegend“, sagt Felix zur Nieden, Experte für Demografie und Sterbefallzahlen beim Statistischen Bundesamt. Deutliche Anzeichen dafür seien Anstiege zu untypischen Jahreszeiten, wie im April und Mai. Zudem passen die Zahlen zu den gemeldeten Corona-Todesfällen.

Die hohe Übersterblichkeit im Sommer hingegen hatte nichts mit Corona zu tun: Grund dafür war, wie auch schon in vergangenen Jahren, eine Hitzewelle, die besonders älteren Menschen zu schaffen gemacht hat. Laut einer aktuellen Studie, die Anfang Dezember im Fachblatt „The Lancet“ erschienen ist, ist das Risiko, in Deutschland aufgrund von hohen Temperaturen zu sterben, in den vergangenen Jahren gestiegen. Die Forscher ermittelten allein für 2018 rund 20.200 Todesfälle bei über 65-Jährigen im Zusammenhang mit Hitze.

Im internationalen Vergleich ist Deutschland in der Pandemie bis Mitte Dezember glimpflich davongekommen: Auf das Jahr verteilt sind hierzulande im Jahr 2020 drei Prozent mehr Menschen als in den Vorjahren gestorben. Doch im Gegensatz zu anderen Ländern steckt Deutschland noch mittendrin: Mitte Dezember, dem letzten Stand der Statistik, war die Übersterblichkeit hierzulande mit 23 Prozent auf ihrem höchsten bisherigen Stand. Seitdem hat sich die Zahl der Corona-Toten fast verdoppelt, und allein innerhalb eines Monats sind über 20.000 weitere Meldungen hinzugekommen.

In anderen Ländern sind im vergangenen Jahr zeitweise doppelt so viele Menschen wie in Vorjahren gestorben. Die erste Welle traf vor allem Spanien, das Vereinigte Königreich und Italien. Die zweite Welle allen voran die deutschen Nachbarn Polen und Tschechien. Belgien wurde von beiden Wellen gleichermaßen erwischt.

Mit über einer Million zusätzlichen Toten im Jahr 2020 liegen die USA weit über sämtlichen europäischen Ländern, obwohl auch in Spanien und dem südamerikanischen Chile das Jahr über insgesamt fast ein Fünftel mehr Menschen gestorben sind als normal.

So viele Tote wie zuletzt bei der Spanischen Grippe

In Europa gehört Großbritannien zu den am schwersten getroffenen Ländern. So sind in England und Wales im vergangenen Jahr so viele Menschen gestorben wie zuletzt im Jahr 1918, dem Jahr der Spanischen Grippe. Zwischen Januar und Dezember gab es in den Landesteilen 608.002 Todesfälle, wie aus vorläufigen Zahlen hervorgeht, die die britische Statistikbehörde am Dienstag veröffentlicht hat. Das sind mehr als in jedem Kalenderjahr seit 1918. Damals waren 611.861 Tote gezählt worden.

Allerdings sind die Zahlen über so lange Zeiträume schwierig zu vergleichen, da sich die Größe und die Altersstruktur der Bevölkerung verändert haben. Vergleicht man die Todeszahlen von 2020 für England und Wales mit dem Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019, so starben knapp 76.000 Menschen mehr.

Zum Ende des Jahres stand fast die Hälfte aller Todesfälle in den Krankenhäusern von England und Wales in Zusammenhang mit dem Coronavirus. In ganz Großbritannien sind seit Beginn der Pandemie bereits mehr als 80.000 Menschen an oder mit der Krankheit Covid-19 gestorben.