Berlin. Viele Einzelhändler sind durch den Lockdown in einer ausweglosen Situation. Der Schaden könnte trotz Corona-Hilfspaketen immens sein.

Sachsen hat am Montag bereits einen Vorgeschmack auf das geboten, was ganz Deutschland ab Mittwoch erwartet: geschlossene Geschäfte, verwaiste Fußgängerzonen. Stille in einer Zeit, die sich sonst durch Trubel auf Weihnachtsmärkten, Gedränge in Kaufhäusern und Zimtduft in Cafés auszeichnet. Nach der Gastronomie muss auch der Einzelhandel zusperren.

Doch von der sächsischen Stille war an vielen anderen Orten Deutschlands, wo der Lockdown erst am Mittwoch beginnt, nichts zu spüren. Stattdessen bildeten sich teils lange Warteschlangen vor Buchläden, Modehändlern und Boutiquen. Und auch Händler waren emsig bemüht, ihre Waren loszuwerden. Denn die Lager sind noch bestens gefüllt.

Lockdown bringt Einzelhändler in ausweglose Situation

„Gerade im Bereich Mode sind die Lager noch übervoll“, berichtete Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), unserer Redaktion. Im Weihnachtsgeschäft gehen pro Tag im Schnitt mehr als 15 Millionen Hosen, Shirts, Schuhe, Gürtel und sonstige Kleidungsstücke über den Ladentisch.

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Viele stationäre Händler kommen durch den Lockdown in eine ausweglose Situation, warnte Genth. „Da die Schließung jetzt bereits vor dem 24. Dezember erfolgt, wird sich bis zum 10. Januar ein riesiger Berg von 300 Millionen Teilen unverkaufter Modeartikel auftürmen“, sagte Genth. Pro Tag brechen insgesamt im Einzelhandel bis zu eine Milliarde Euro Umsatz weg.

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Einzelhandel: Weihnachtsgeschäft bleibt aus, Umsatzrückgang immens

Allein im innerstädtischen Einzelhandel beziffert das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) im Dezember den Umsatzrückgang auf 10,2 bis 13,35 Milliarden Euro. „Im optimistischen Szenario gehen wir in der Zeit vor dem Lockdown von einem Umsatzrückgang von 18 Prozent aus, wie ihn der Handelsverband für die ersten beiden Dezemberwochen gemeldet hat“, sagte IW-Wettbewerbsökonom Christian Rusche unserer Redaktion.

Im pessimistischen Szenario geht Rusche davon aus, dass sich die reduzierte Anzahl der Passanten in den Einkaufsstraßen proportional auf den Umsatz an den noch geöffneten Tagen auswirkt. Dieser Rückgang der Kundenfrequenz betrage aktuell 47,4 Prozent. Für Januar erwartet das IW Köln einen Schaden von 5,7 Milliarden Euro für den Handel im optimistischen Szenario. Im pessimistischen Szenario sind es 8,7 Milliarden Euro.

Corona-Lockdown: Schaden könnte bis zu 22,05 Milliarden Euro betragen

Läuft es schlecht, werde der Einzelhandel im Dezember und Januar insgesamt 22,05 Milliarden Euro Umsatz einbüßen. Dies sei allerdings ein „relativ extremes Szenario“, sagte Rusche. Im optimistischen Szenario entstünde zusammengerechnet ein Schaden von 15,9 Milliarden Euro – ohne Umsatzsteuer.

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Als klaren Gewinner dieser Entwicklung sieht das IW den Online-Riesen Amazon. Dabei hätten auch 40 Prozent aller stationären Händler hierzulande einen Internetshop, so Genth. Manche Geschäfte bieten auch Abholmodelle oder Lieferservices an. „Die Händler haben im ersten Lockdown gelernt, wie sie den Kontakt zu ihren Kunden trotz Ladenschließung halten können“, sagt der HDE-Chef.

Rettung der Innenstädte: Abholen auch bei Einzelhändlern möglich?

Über Social Media, Online-Plattformen und Online-Marktplätze, aber auch über Belieferungen per Fahrrad oder den Verkauf von Gutscheinen versuchen viele Händler, zumindest nicht ganz in Vergessenheit zu geraten. Genth hofft, dass Bestell- und Abholmöglichkeiten in den Verordnungen der Bundesländer erlaubt bleiben. „Ansonsten haben viele Händler keine Möglichkeit mehr, zumindest noch ein wenig Umsatz zu erzielen.“

Auch die FDP spricht sich für Abholdienste aus. Die Regelungen sollten dabei „so unbürokratisch und einfach wie möglich gestaltet sein“, sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing unserer Redaktion. Er forderte, dass die versprochenen Hilfsprogramme schnell ausgezahlt werden sollten.

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Handelsverband: Corona-Überbrückungshilfen reichen nicht aus

Zuvor hatte die FDP bereits eine Öffnung der Geschäfte rund um die Uhr vorgeschlagen, um den Kundenansturm abzumildern. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) appellierte an die Bürger, vollständig auf den Einkauf von Weihnachtsgeschenken zu verzichten und sich stattdessen Gutscheine zu schenken.

Der HDE fordert bessere Hilfen, um einen Jobabbau von geschätzt 250.000 Mitarbeitern zu verhindern. Aber auch um Insolvenzen vorzubeugen. Die Bundesregierung flankiert die Wirtschaft zwar mit monatlich rund elf Milliarden Euro. Doch die vorgesehenen Überbrückungshilfen würden den Bedürfnissen vieler Händler nicht gerecht, kritisierte Genth.

Der HDE sei deshalb im ständigen Gespräch mit den Ministerien, wie die Gelder so verteilt werden könnten, dass sie auch dort ankämen, wo sie gebraucht würden, so Genth: „Für den Dezember muss es zudem schon aus Gleichbehandlungsgründen analog zur Gastronomie mit den Dezemberhilfen auch zu Hilfen für den Handel kommen.“

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