Berlin. Im Cum-Ex-Skandal ist der Prozess gegen die Schlüsselfigur Hanno Berger gestartet. Der Steuer-Skandal hängt aber auch anderen nach.

Das graue Haar ist leicht zerzaust, das Gesicht über der gepunkteten Krawatte ist im Vergleich zu den raren früheren Auftritten gealtert. Kein Wunder. Denn der Mann, der als Meister seines Fachs galt, hat jahrelang versucht, diesem Termin aus dem Weg zu gehen, setzte keinen Fuß mehr nach Deutschland.

Statt mit der Limousine kommt Hanno Berger im Gefangenentransporter am Bonner Landgericht an. Der schicke schwarze Anzug kann die Handschellen nicht verbergen, mit denen Berger in den Saal tritt. „Mister Cum-Ex“ – diesen Spitznamen hat Berger in den vergangenen Jahren verpasst bekommen. Niemand ist so berühmt-berüchtigt wie der 71-Jährige im Skandal um den wohl größten Steuerraub der Geschichte: dem Cum-Ex-Skandal.

Cum-Ex: Steuerzahler wurden um Milliarden gebracht

Der Fiskus wurde bei den jahrelangen Machenschaften von Bankern, Anwälten, Händlern und Investoren um Milliarden geprellt. Der Trick: ein Verwirrspiel rund um den Handel mit Aktien mit („cum“) und ohne („ex) Dividendenansprüchen, also den Gewinnbeteiligungen der Unternehmen. Auf Dividendenzahlungen wird die Kapitalertragsteuer fällig, die sich Großanleger wie etwa Banken zurückerstatten lassen können.

Nun tauschte ein kleiner Kreis eingeweihter Parteien diese Aktien mit und ohne Gewinnbeteiligung hin und her. Die Finanzämter verloren den Überblick. Am Ende forderte nicht nur derjenige die Kapitalertragsteuer zurück, der sie tatsächlich gezahlt hatte. Auch die anderen Akteure, die sich an dem Verwirrspiel beteiligten, pochten auf eine Steuererstattung.

Und die Finanzämter lieferten. Um mehr als zehn Milliarden Euro soll der Fiskus so geprellt worden sein, bei den ähnlich gelagerten Cum-Cum-Geschäften sollen fast weitere 30 Milliarden an Steuergeld abgeflossen sein. „Eine zusammenarbeitende Finanzelite hat sich Steuern auszahlen lassen, die ihr nicht zustehen. Der Staat wurde beklaut“, fasst Konrad Duffy, Referent für Finanzkriminalität bei der Bürgerbewegung Finanzwende, im Gespräch mit unserer Redaktion zusammen.

Cum-Ex: „Mastermind“ Hanno Berger steht vor Gericht

Es ist der größte Steuerskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zehn Jahre lang wurde das Geschäftsmodell betrieben, das „Rendite ohne Risiko“ versprach, ehe 2012 das Steuerloch für Cum-Ex-Geschäfte geschlossen wurde.

Obwohl seitdem weitere zehn Jahre ins Land gegangen sind, wurden erst 5 von 1300 beschuldigten Personen angeklagt. Darunter aber das vermeintliche „Mastermind“: Hanno Berger gilt als einer der führenden Köpfe hinter den Machenschaften in Deutschland. Der gebürtige Frankfurter zählte zu den Top-Anwälten des Landes, Spezialgebiet: Steuerfragen.

Und sein Rat war gefragt. So soll Berger die Hamburger Privatbank M.M. Warburg dazu gebracht haben, das Modell zu nutzen. Dessen früherer Sprecher der Gesellschafter und Aufsichtsratsvorsitzende Christian Olearius, unterhielt offenbar enge Kontakte zu Berger – ein Umstand, der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bis heute verfolgt.

Auch Kanzler Scholz geriet bei Cum-Ex unter Druck

Denn die Finanzbehörde der Hansestadt verzichtete im Jahr 2017 auf die Rückforderung von 47 Millionen Euro, die die Warburg Bank durch Cum-Ex-Geschäfte erwirtschaftet hatte. In der Hamburger Bürgerschaft prüft nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, ob es eine politische Einflussnahme gegeben hat.

Bürgermeister der Hansestadt war damals Olaf Scholz. Der heutige Kanzler traf sich mehrfach mit Bankier Olearius. Nur habe er an diese Treffen „keine konkrete Erinnerung“, wie Scholz dem Ausschuss sagte. Eine Einflussnahme aber wies er zurück.

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Opposition hält Druck auf Scholz hoch

Der Opposition reicht das nicht. „Während die strafrechtliche Aufarbeitung von Cum-Ex in vollem Gange ist, steht Olaf Scholz bei der politischen Aufarbeitung noch immer auf der Bremse“, sagte der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Finanzausschuss, Matthias Hauer, unserer Redaktion.

Er wirft Scholz vor, dass dessen Erinnerungslücken „unglaubwürdig“ seien. „Der Kampf gegen Steuerhinterziehung muss von höchster Stelle glaubhaft geführt werden. Umso schwerer wiegt das Schweigen des Bundeskanzlers – er muss endlich reinen Tisch machen“, forderte der CDU-Politiker.

Hanno Berger schweigt zum Prozessauftakt

Klaren Tisch machen könnte auch Hanno Berger. Ein Schaden von 278 Millionen Euro sei dem Fiskus entstanden, weil Berger gutgläubige Investoren eingeworben habe, wirft ihm die Anklage in Bonn vor (Az. 62 KLs 2/20). Damit nicht genug. Am kommenden Dienstag, 12. April, wird Berger schon wieder auf der Anklagebank Platz nehmen, dann in Wiesbaden. Dort will das Landgericht einen Prozess wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eröffnen.

Zum Auftakt in Bonn schwieg der frühere Star-Anwalt, dessen Karriere einst seine Anfänge als Finanzbeamter im Land Hessen im Kampf gegen Steuerkriminalität genommen hatte. In seinen wenigen öffentlichen Auftritten zeigte Berger bisher keine Spur von Reue. Steuern sparen sei kein Verbrechen, sagte er 2017 dem „Handelsblatt“. Er habe „nichts Unrechtes getan“ und werde „vorverurteilt“, erklärte er zwei Jahre später Reportern von „Capital“.

Dass Cum-Ex aber kein raffiniertes Ausnutzen eines Gesetzesschlupflochs gewesen ist, sondern eine Straftat, stellte der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr fest. Drei Verfahren endeten bereits in Schuldsprüchen. Als jüngst im Februar ein ehemaliger Warburg-Banker zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, gab er sich einsichtig: Es sei der „größte Fehler“ seines Berufslebens gewesen, sagte der Ex-Banker.