Berlin. Bundesnetzagentur-Chef Müller ruft dazu auf, die Heizungen bis Herbst überprüfen zu lassen. Kann das Handwerk das überhaupt leisten?

Der Aufruf von Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, ist eindringlich: „Meinen wichtigsten Appell richte ich an alle Haus- und Wohnungsbesitzer: Lassen Sie Ihre Gasbrennwertkessel und Ihre Heizkörper überprüfen und effizient einstellen. Eine Wartung kann den Gasverbrauch um 10 bis 15 Prozent senken. Das muss jetzt passieren und nicht erst im Herbst“, sagte Müller im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Situation bei der Gasversorgung ist ernst. Am Montag wird die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 zur jährlichen Wartung heruntergefahren. Ob und in welchem Umfang nach den üblichweise rund zehn Tage andauernden Arbeiten wieder Gas durch die Röhre strömt, ist unklar. Die Bundesregierung bereitet sich bereits auf den Ernstfall vor, unter anderem mit einem Rettungsschirm für Energiefirmen.

Auch der Bau der LNG-Terminals für Flüssiggastanker wird vorangetrieben. Ausreichen wird das nicht, sollte ab Mitte Juli kein Gas aus Russland mehr in Deutschland ankommen. „Fakt ist: Geht das Gas aus, gibt es eine Art Schlaganfall für unsere Wirtschaft“, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zur Eröffnung der Internationalen Handwerksmesse am Mittwoch in München.

Gas: Mit Heizungseinstellung kann man Energie sparen

Seit Wochen appellieren die Bundesregierung und Landesregierungen daher auch an die Verbraucher, die im Falle eines Gasembargos besonders geschützt wären, ihre Energieverbräuche zu senken. Viele tun das aufgrund der explodierenden Gaspreise ohnehin schon aus Eigeninteresse.

Doch es gibt noch Spielräume. Etwa bei den Heizungen. „Die Wartung und Überprüfung der eigenen Heizungsanlage bietet eine Menge Einsparpotenziale“, heißt es beim Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK). Laut Netzagentur-Chef Müller würden für die Überprüfung Kosten im niedrigen dreistelligen Bereich fällig werden.

„Es ist wichtig, jetzt nicht nur den Sommerurlaub zu planen, sondern sich mit der Wartung der eigenen Heizung auseinanderzusetzen. Denn jetzt ist die beste Zeit dafür. Die Heizungen werden nicht benötigt, das Handwerk hat derzeit die Kapazitäten, um Wartungen vorzunehmen“, sagt ZVSHK-Sprecher Frank Ebisch.

250.000 Handwerker fehlen in Deutschland

„Allerdings können unsere Betriebe derzeit nicht ihr ganzes Leistungspotenzial in vollem Umfang ausschöpfen“, schränkt Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), direkt ein. Liefer- und Materialengpässe sowie fehlende Fachkräfte würden die Entwicklung massiv bremsen, sagte Schwannecke.

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer hatte jüngst im Gespräch mit unserer Redaktion den Fachkräftemangel auf 250.000 fehlende Handwerker beziffert. Als das „Ergebnis einer misslungenen Zuwanderung von Fachkräften und der jahrelangen Akademisierung unserer Gesellschaft“, bezeichnet Markus Jerger, Vorsitzender des Mittelstand-Bundesverbandes, die Situation.

Acht Wochen Wartezeit auf einen Handwerker

Was der Fachkräftemangel für konkrete Auswirkungen hat, wird etwa beim Heizungsbauer Rückert deutlich. Die Firma betreut 4000 Heizungen in Hamburg und zählt zu den größten Anbietern in der Stadt. Das Auftragsbuch ist voll. „Der Modernierungs- und Optimierungsbedarf ist groß. Die Nachfrage ist da“, sagt Unternehmenschef Lars Rückert. Wer bei ihm einen Wartungsvertrag hat, kommt zuerst dran. Diesen Kunden rät er, auf den nächsten regulären Termin zu warten, um mit dem Mitarbeiter über Einsparmöglichkeiten zu sprechen. Alle anderen müssten sich auf lange Wartezeiten einstellen.

„Mindestens acht Wochen“, sagt der Heizungsbauer, der ebenfalls dringend Fachkräfte sucht. Er hat auch einige Dutzend elektrische Heizgeräte in der Reserve, die er Kunden leiht, wenn die Heizung wegen Reparaturarbeiten kalt bleiben muss. Angesichts der aktuellen Entwicklung überlegt er, jetzt den Bestand um 30 bis 40 aufzustocken. „Für Notfälle.“

Materialmangel kann auch eine Chance für die Heizungswartung sein

Immerhin: Für manche Verbraucherinnen und Verbraucher können ausgerechnet die derzeit fehlenden Materialien im Handwerk eine Chance darstellen. „Der Materialmangel kann auch dazu führen, dass Kapazitäten für andere Aufgaben frei werden. Wo es derzeit beispielsweise an Material für den Bau von Bädern oder Wärmepumpen fehlt, kann möglicherweise stattdessen die Heizung gewartet werden“, sagte Heizungsverbandssprecher Ebisch.

Allerdings könne man den Unternehmen nicht vorschreiben, jetzt nur noch Heizungen zu warten und andere Aufgaben hintenanzustellen. Für eine solche Priorisierung hatte Netzagentur-Chef Müller plädiert: „Um Engpässe bei den Handwerkerterminen zu überwinden, werbe ich sehr dafür, dass sich alle Handwerker stark auf Heizung und Warmwasserversorgung konzentrieren.“

Deutlich wird Mittelstand-Verbandschef Jerger: „Handwerksbetriebe wissen am besten, wie und in welcher Reihenfolge sie Aufträge abarbeiten. Und es kann nicht sein, dass sie Projekte und Kunden im Stich lassen, um Versäumnisse von Politik und Behörden aufzuarbeiten“, sagte er. „Sollen wirklich so viele Heizungsanlagen wie möglich vor dem Winter gewartet oder neuinstalliert werden, kommen wir wohl nicht um zusätzliche Wochenendarbeit mit gesonderten Prämien herum.“

Wärmepumpen: Wartezeiten bis weit ins kommende Jahr

Laut des ZVSHK seien die Auftragsbücher der Firmen derzeit im Schnitt für 14 bis 15 Wochen gefüllt. „Wir werden aber alles möglich ­machen, um Heizungswartungen schnellstmöglich zu realisieren“, verspricht Ebisch.

Wer dagegen zeitnah seine alte Gastherme austauschen und eine Wärmepumpe einbauen möchte, der dürfte enttäuscht werden. „Wer heute eine Wärmepumpe bestellt, bekommt diese erst im September oder Oktober 2023 eingebaut“, hatte Kai H. Warnecke, Präsident des Eigentümerverbandes Haus & Grund, im Zuge des Wärmepumpengipfels der Bundesregierung unserer Redaktion gesagt. Je nach Handwerksbetrieb kann es mit etwas Glück zwar schneller gehen. Für das laufende Jahr sollten sich Interessenten aber keine Hoffnungen machen.