Berlin. Digitale Geschäftsmodelle haben viele neue Jobs geschaffen. Eine neue Studie zeigt jedoch große Mängel bei den Arbeitsbedingungen.

Überschreitung der tägliche Maximalarbeitszeit, keine Ruhepausen, Verstoß gegen das Verbot von Sonn- und Feiertagsarbeit: Bei Kontrollen der neuen Schnelllieferdienste für Lebensmittel haben Aufseher in Berlin viele gravierende Verstöße festgestellt. In einem Fall wurde ein Bußgeld von 15.800 Euro verhängt.

Solche Arbeitsbedingungen sind in der Welt der Plattformökonomie, den neuen internetbasierten Geschäftsmodellen, offenbar kein Einzelfall. Das zeigt eine Studie der Initiative Fairwork, die unserer Redaktion vorab vorliegt.

Darin haben Forscherinnen und Forscher von der Universität Oxford, TU Berlin und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die Arbeitsbedingungen bei zwölf der wichtigsten digitalen Plattformen in Deutschland unter die Lupe genommen.

Dazu gehören die Personalvermittlungsplattform Zenjob, die Lieferdienste Lieferando und Wolt sowie die Plattformen Helpling, Betreut.de, Uber und FreeNow. Das Ergebnis: Bei den Arbeitsstandards gibt es große Unterschiede.

Einige Anbieter erfüllen die wichtigsten Standards

Gut abgeschnitten haben in der Untersuchung unter anderem Zenjob mit 9 von 10 Punkten sowie Lieferando und Wolt mit jeweils 7 Punkten. Hier sehen die Experten die meisten wichtigen Standards für faire Arbeit erfüllt. Doch das ist laut Bericht längst nicht überall der Fall.

So habe die Mehrzahl der Plattformen nicht garantieren können, dass ihre Arbeiter und Arbeiterinnen nach Abzug arbeitsbedingter Kosten ein existenzsicherndes Einkommen bleibt. Bei Wolt und Lieferando gelinge dies nur, wenn Fahrten- und Entfernungszuschläge für Lieferungen während der Stoßzeiten berücksichtigt werden.

Auch hätten nur fünf der zwölf Plattformen nachweisen können, dass sie ihren Arbeitern ausreichenden Schutz vor arbeitsbedingten Risiken und eine finanzielle Absicherung für den Fall unerwarteter Umstände wie Krankheit oder Verletzung bieten. Und nur fünf der zwölf Plattformen konnten nachweisen, dass sie proaktiv gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz vorgehen.

Während die Politik gerade eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 12 Euro pro Stunde diskutiert, können einige Plattformen offenbar nicht einmal Einkünfte auf dem aktuellen Niveau von 9,82 Euro sicherstellen. Der Bericht nennt hier Helpling, Betreut.de, Uber und FreeNow.

Betriebsratsgründung landet vorm Gericht

Nach etlichen Streikaktionen hat der Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas kürzlich angekündigt, noch vor der gesetzlichen Regelung den Stundenlohn auf 12 Euro zu erhöhen – und den Fahrerinnen und Fahrern im nächsten Winter eine bessere Ausrüstung zur Verfügung zu stellen.

Demonstration vor der Firmenzentrale von Gorillas im vergangenen Oktober: Beschäftigte kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen.
Demonstration vor der Firmenzentrale von Gorillas im vergangenen Oktober: Beschäftigte kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen. © dpa | Monika Skolimowska

Dennoch fällt die Fairwork-Studie kein gutes Urteil über das junge Unternehmen. Mit 2 von 10 Punkten landet es auf dem vorletzten Platz. Grund ist auch der heftige Streit um eine Betriebsratsgründung. Der Konflikt hatte zwischenzeitlich auch Gerichte beschäftigt. Die Initiative Fairwork bemängelt, dass es Hinweise auf gewerkschaftsfeindliche Maßnahmen seitens der Plattformleitung gab.

Kurz nach Veröffentlichung der Studie betonte der Lieferdienst, dass etliche Verbesserungen bereits umgesetzt seien worden. „Wir bedauern das Ergebnis des Fairwork-Ratings, welches nicht unseren Erwartungen entspricht“, sagte eine Gorillas-Sprecherin unserer Redaktion. Der Stundenlohn sei bereits im Januar auf 12 Euro zuzüglich Trinkgeld angehoben worden. Seit November gebe es zusätzlich ein Bonussystem. Auch die verbesserte Schutzkleidung stehe bereits jetzt zur Verfügung.

Ebenfalls zwei Punkte erhielten Betreut.de und Helpling. Die Fahrdienste Uber und FreeNow schnitten mit jeweils einem Punkt noch schlechter ab.

„Unser Bericht zeigt, dass der verstärkte Wettbewerb zwischen den Plattformen mit dem Markteintritt neuer Unternehmen wie Gorillas nicht unbedingt zu einer Verbesserung der Arbeitsstandards geführt hat“, sagte Oğuz Alyanak, leitender Forscher von Fairwork Deutschland, unserer Redaktion. Einige Plattformen wie Zenjob hätten die Bedingungen im vergangenen Jahr verbessert.

Bei einigen Plattformen hat sich die Situation sogar verschlechtert

Alyanak berichtet aber auch von Fällen, in denen sich die bereits niedrige Punktzahl noch weiter verschlechtert habe. Das sei etwa bei Betreut.de und AmazonFlex der Fall. „Insgesamt zeigt der Bericht die Dringlichkeit für Plattformen und Politik auf, endlich aktiv zu werden.“

Immerhin: Bei der Mehrheit der untersuchten Plattformen waren die Verträge mit angestellten oder selbstständigen Arbeitern laut Studie klar und formuliert. Komplexe Subunternehmer-Strukturen und lange Probezeiten bei gleichzeitig kurzen Vertragslaufzeiten würden aber die Prekarisierung in der Plattformökonomie verstärken.

Das Fazit von Sozialforscherin und WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger: „Wir sehen: Plattformarbeit an sich muss nicht schlecht sein, wenn Mitbestimmung und eine gewisse Regulierung akzeptiert werden.“ Einige Plattformen hätten bereits reagiert und planen Verbesserungen. „Das erzeugt Dynamik und Druck: Weitere Plattformen werden nachziehen. Und die Beschäftigten der Plattformen werden ihre Rechte stärker einfordern.“