Berlin/Rüsselsheim. 2028 will Opel nur noch Elektroautos in Europa verkaufen. Warum rät der neue Chef schon jetzt dazu, nur noch E-Autos zu kaufen?

Die Krise bei Opel ist vorbei. Nach dem Sanierer Michael Lohscheller führt der Manager Uwe Hochgeschurtz seit fünf Monaten den Traditionshersteller aus Rüsselsheim bei Frankfurt. Gleich zum Start stellte Hochgeschurtz ein neues Modell vor. Jetzt kann er sogar daran denken, wieder neue Mitarbeiter einzustellen.

Herr Hochgeschurtz, Sie sind jetzt fast ein halbes Jahr der neue Chef bei Opel. Wie geht es dem deutschen Traditionshersteller?

Uwe Hochgeschurtz: Opel geht es sehr gut. Wir sind profitabel, mit unseren neuen Produkten wie dem Corsa und dem Mokka-e auf dem Markt erfolgreich und werden elektrisch. Hinter uns liegen spannende Monate. Direkt an meinem ersten Arbeitstag hat Opel den neuen Astra mit vielen neuen Technologien vorgestellt. Das war einer der interessantesten Tage meiner 30-jährigen Karriere.

Opel gehörte lange zu General Motors aus den USA, jetzt zum Stellantis-Konzern um Peugeot, Citroen, Fiat und Chrysler. Wie hat sich der Eigentümerwechsel ausgewirkt?

Hochgeschurtz: Für Opel ist es ein Riesenvorteil, Teil der Stellantis-Gruppe zu sein. Wir sind die einzige deutsche Marke im Konzern und sind mit unseren Modellen im sogenannten Upper Mainstream-Segment positioniert. Damit haben wir einen starken Platz. Dabei profitieren wir von Technologien aus dem Stellantis-Konzern, der 2019 – also vor Ausbruch der Corona-Pandemie – mehr als acht Millionen Fahrzeuge abgesetzt hat und die Nummer vier weltweit ist. Diese Technologien würden wir bei einem kleineren Volumen so nicht bekommen.

Wie viel Opel steckt noch in Corsa, Astra und Co., wenn Sie immer mehr Stellantis-Technik übernehmen?

Hochgeschurtz: Ein Opel ist ein Opel. Nehmen Sie den neuen Astra. Das Fahrzeug ist in Rüsselsheim entwickelt und designt worden und wird hier auch gebaut. Dass ein Hersteller nicht alle Modelle ausnahmslos in Deutschland bauen kann, ist übrigens bei allen deutschen Autoherstellern so – egal ob im Volumen- oder im Premiumbereich.

Wie viel Stellantis steckt schon unter der Haube?

Hochgeschurtz: Das lässt sich nur schwer in Zahlen ausdrücken, zumal Opel natürlich auch viel zum Gesamtkonzern Stellantis beiträgt. Deutsche Ingenieurskunst! Die Integration wird natürlich weiter voranschreiten und das ist gut. Dass die Marken im Stellantis-Konzern gemeinsam Teile einkaufen und Technologien austauschen, ist im Automobilgeschäft gängige Praxis. Davon profitiert letztlich der Kunde. Aber wie gesagt: Ein Opel ist ein Opel und wird immer ein Opel bleiben. Diese Differenzierung und Positionierung werden wir immer sicherstellen.

Sie haben wenige Top-Seller im Programm. Was ist Ihre Produktstrategie?

Hochgeschurtz: Was kann mehr Top-Seller sein als mit dem Opel Corsa im November das bestverkaufte Modell in Deutschland zu haben. Der Corsa ist seit zwei Jahren die Nummer 1 im Kleinwagensegment. Bei unserer britischen Schwestermarke Vauxhall war der Corsa 2021 sogar das bestverkaufte Auto des ganzen Landes über alle Segmente hinweg. Corsa-e und Mokka-e haben übrigens hintereinander das „Goldene Lenkrad“ gewonnen – eine der wichtigsten Produktauszeichnungen in Europa. Mit dem neuen Astra bekommen wir ab Frühjahr ein weiteres extrem starkes Modell. Auch mit Modellen wie dem Insignia bieten wir hier nach wie vor ein starkes Produkt. Und unsere Transporter Combo, Vivaro und Movano, die wir inzwischen alle auch rein elektrisch im Angebot haben, sind die reinste Erfolgsgeschichte mit wunderbaren Zuwächsen im Verkauf.

Auf welches geplante Fahrzeug setzen Sie besondere Hoffnung?

Hochgeschurtz: Da gibt es nicht nur eines. Der Trend zur Elektrifizierung spielt uns in die Karten. Opel wird dabei besonders schnell sein. Schon heute haben wir neun elektrifizierte Modelle im Angebot. Der Astra wird schon dieses Jahr mit Hybrid-Antrieb und ab kommendem Jahr zusätzlich auch rein batterieelekrisch im Angebot stehen. Ab 2024 wird es zu ausnahmslos jedem Modell eine elektrifizierte Version geben. Das ist bereits in zwei Jahren, nicht irgendwann in der nächsten Dekade. 2028 werden wir alle unsere Modelle in Europa nur noch mit batterieelektrischem Antrieb verkaufen. Damit wird Opel zu den ersten Herstellern gehören, die eine komplett elektrische Modellpalette haben.

Der Manta ist wieder da – Opel will das Kultauto 2025 rein elektrisch zurück auf die Straße bringen.
Der Manta ist wieder da – Opel will das Kultauto 2025 rein elektrisch zurück auf die Straße bringen. © dpa-tmn | Opel Automobile GmbH

2025 kommt der legendäre Manta zurück. Wie nah wird das Auto an den spektakulären Design-Studien sein?

Hochgeschurtz: Ich will die Spannung natürlich hoch halten. Der rein elektrische Manta wird wie angekündigt Mitte der Dekade mit interessanten Technologien kommen, die ich hier noch nicht verraten werde. Auch ganz viel emotionale Tradition wird in dieses Modell einfließen. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Manta-e ein Riesenerfolg wird. Schon die Resonanz auf die Ankündigung war überragend.

VW hat beim Beetle die Blumenvase mit ausgeliefert. Ist beim neuen Manta der Fuchsschwanz mit dabei?

Hochgeschurtz: Wenn es die Regularien zulassen, möchten wir uns natürlich den ein oder anderen Gimmick erlauben. Aber lassen wir die Spannung auch hier mal hoch.

Der neue Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) rät davon ab, Verbrenner zu kaufen. Wie schnell geht der Ausverkauf bei den klassischen Motormodellen?

Hochgeschurtz: Die Europäische Union will ganz scharfe CO2-Ziele beschließen, womit Europa bis auf wenige Ausnahmen zu einem rein elektrischen Markt werden würde. Anders lassen sich die sehr strengen Vorgaben zum CO2-Ausstoß nicht erfüllen. Zudem werden immer mehr Städte Restriktionen für die Zufahrt zu den Innenstädten aufstellen. Das ist von uns als Marke nicht gesteuert. Aber wir müssen den Menschen ehrlich sagen: Kauft euch lieber ein Elektroauto, damit werdet ihr in Zukunft die wenigsten Einschränkungen erleben.

Aber Sie wollen doch sicherlich noch Verbrenner verkaufen. Sind solche Aussagen nicht schlecht fürs Geschäft?

Hochgeschurtz: Opel wird wie gesagt bis 2028 in Europa komplett auf Elektroantrieb umstellen. Bei den Reichweiten und dem Ladenetz werden wir noch große Entwicklungen sehen. Bis dahin wird es sicherlich noch Fahrprofile geben, für die unsere Kunden noch Verbrenner brauchen.

Stellantis-Chef Tavares sieht die Elektromobilität skeptisch und beklagt, sie sei von der Politik aufgedrückt. Die Klimabilanz eines Neuwagens sei erst nach 70.000 Kilometern gut und die Technik so teuer, dass sich viele Menschen kein Auto mehr leisten können. Hat er Recht?

Hochgeschurtz: Wir bei Opel und Stellantis ermöglichen unseren Kunden eine sichere, saubere Mobilität, die für unsere Kunden erschwinglich bleibt. Aber es ist klar: Ein Elektroauto kostet in der Herstellung aktuell noch rund 50 Prozent mehr als eines mit Verbrennungsmotor. Und: Wenn die ganzen Boni für den Kauf eines E-Autos eines Tages irgendwann wegfallen, wird das der normale Bürger merken. Wir wollen die Total Cost of Ownership zwischen Verbrenner- und Elektroautos als Konzern aber bis 2026 angleichen.

Woher kommt dieser drastische Kostensprung?

Hochgeschurtz: Das liegt vor allem an den Hochleistungsbatterien, die wegen der Nachfrage nach großen Reichweiten auch noch immer größer werden müssen. Das kann man nicht sofort kompensieren durch die etwas günstigeren Elektromotoren und andere Effizienzgewinne. Außerdem muss die Technik komplett neu entwickelt werden. Das verursacht in der Anfangszeit relativ hohe Abschreibungen.

Welche ehrlichen Reichweiten haben die Elektro-Opel 2028?

Hochgeschurtz: Die Reichweite wird in dem Bereich liegen, den wir heute von Verbrennern kennen. Das erwarten unsere Kunden einfach. Die Debatte wird sich aber immer mehr von der Reichweite zur Ladezeit verlagern. Unser Ziel ist, dass man einen Opel in einer Minute für mehr als 30 Kilometer Reichweite aufladen kann. Die entsprechende Technologie haben wir in der Stellantis-Gruppe und damit werden wir führend sein.

Die Ladeinfrastruktur gerade in Metropolen ist ein Witz. Was ist zu tun?

Hochgeschurtz: Das Ladenetz muss ausgebaut werden, ganz klar. Ich sehe aber, mit welcher Geschwindigkeit der Ausbau läuft. Daher kann ich unsere Kunden beruhigen: Jeder, der ein Elektrofahrzeug kauft, wird auch eine Ladestation finden. Entweder im öffentlichen Raum oder bei sich zu Hause. Bestes Beispiel ist die Opel Stadt Rüsselsheim, die sich in kurzer Zeit zur Electric City mit rund 1200 Ladepunkten entwickelt hat. Das hat Vorbildcharakter.

Welche Zukunft hat die Wasserstoff-Technik?

Hochgeschurtz: Wasserstoff spielt bei Opel nach wie vor eine sehr große Rolle. Innerhalb des Stellantis-Konzerns haben wir bei Opel in Rüsselsheim große Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Kompetenz. Unseren Vivaro-e Hydrogen können Sie für eine Reichweite von 350 Kilometern innerhalb von drei Minuten auftanken. Das ist für ein Nutzfahrzeug ein Verkaufsargument, das zählt. Das erste Modell mit Brennstoffzelle haben wir gerade an Miele ausgeliefert. Und wir haben eine lange Liste an Kunden, die ein Auto mit Wasserstoff-Antrieb kaufen wollen. Die Zukunft für den leichten Pkw ist aber ganz klar batterieelektrisch.

Wie hart trifft die Chipkrise Opel?

Hochgeschurtz: Die Chipkrise ist ein Problem für die gesamte Auto- und Konsumgüterindustrie. Als globaler Konzern sind wir hier gut aufgestellt, aber natürlich auch betroffen. Die Lieferzeiten sind nach wie vor hoch. Wir hoffen, dass sich die jüngste Stabilisierung im Laufe des Jahres fortsetzt. Wir bei Opel priorisieren ganz klar unsere Elektroautos, die trotz der globalen Halbleiterkrise weiterhin verlässlich verfügbar sind. So können die Kunden in Deutschland aktuell aus mehr als 2.000 batterie-elektrische Fahrzeugen mit dem Blitz bei den Opel-Händlern vor Ort auswählen. Und wenn sich Kunden ihren ganz individuellen Wunsch-Stromer konfigurieren und bestellen wollen, betragen die Lieferfristen im Durchschnitt aktuell 20 Wochen.

Die deutschen Werke bleiben nach einer heftigen Auseinandersetzung im Opel-Verbund. Können Sie versprechen, dass das so bleibt?

Hochgeschurtz: Wir stehen ganz klar zu unseren Werken in Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern. Natürlich müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit kontinuierlich verbessern. Am Standort Kaiserslautern werden wir die Anzahl der Beschäftigten im Zuge des Transformationsprozesses in den nächsten Jahren sogar steigern. Dort werden wir im Rahmen unseres Joint Ventures künftig viele, viele Hochleistungsbatterien für unsere Elektroautos bauen. Heute kommen die Batterien zum größten Teil aus Asien.

Das Tempolimit kommt erstmal nicht – ist die freie Fahrt auf der Autobahn auch für Sie eine heilige Kuh?

Hochgeschurtz: Das Tempolimit hat keinen signifikanten Einfluss auf die Klimaziele und die Sicherheit. Die deutschen Autobahnen gehören zu den sichersten auf der ganzen Welt. Für uns als deutscher Hersteller ist das nicht bestehende Tempolimit auf der Autobahn zudem ein Standortvorteil. Opel ist Made in Germany, und dazu gehören auch die deutschen Autobahnen.

Welche Unterstützung erwarten Sie vom neuen Bundeswirtschaftsminister für die Automobilindustrie?

Hochgeschurtz: Am wichtigsten wäre dies: Bitte keine zusätzlichen Regularien für die Automobilindustrie, die nichts mehr bringen, um die Klimaziele zu erreichen. Das betrifft vor allem die Abgasnorm Euro 7. Zwei, drei Jahre, bevor wir sowieso elektrisch werden, müssten wir hier riesige Summen investieren. Hinzu kommt: Der hohe Aufwand bei der Abgasreinigung bei Euro 7 wird dazu führen, dass der Verbrauch steigt, das Auto schwerer wird und somit mehr CO2 ausgestoßen wird. Das bringt überhaupt gar nichts für die Umwelt und die Bürger und es macht die Autos teurer.