Erfurt. Der Thüringer Ministerpräsident steht nach einem verunglückten Social-Media-Auftritt in der Kritik. Die Linke-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow nimmt ihn in Schutz.

Susanne Hennig-Wellsow (43) spricht im Interview über Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, die rot-rot-grüne Koalition und die Herausforderungen der Pandemie.

Frau Hennig-Wellsow, sind Sie eigentlich mit dem aktuellen Krisenmanagement ihres Ministerpräsidenten zufrieden?

Ja. Bodo Ramelow setzt sich mit Herz und Verstand für die Bewältigung der Corona-Pandemie ein.

Die Frage zielte auf Ramelows Auftritt bei der Audio-Plattform Clubhouse, die ihm harsche Kritik einbrachte, weil er bekannte, während Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Kanzlerin, bei denen es um Corona geht, ein Handyspiel zu zocken. Ist das okay für Sie?

Bodo Ramelow spielt, so lange ich ihn kenne, Candy Crush. Es ist für ihn eine Möglichkeit, während stundenlanger Sitzungen emotional runterzukommen. Dass das doof rübergekommen ist, okay. Aber trotzdem hört er zu, trifft wichtige Entscheidungen. Alle, die ihm jetzt unterstellen, dass er sich nicht ums Land kümmert, sollten nicht so tun, als würden sie ihr Handy vor Beratungen an der Eingangstür abgeben.

Was spielen Sie in solchen Situationen?

Man muss nicht immer alles öffentlich machen.

Auf der einen Seite lobt Ramelow Merkel, auf der anderen nennt er sie despektierlich „Merkelchen“ und braucht lange, um einzusehen, dass das männlich ignorant war. Wie passt das zusammen?

Bodo Ramelow gibt es nur ganz, mit allen seinen Facetten. Das macht ihn am Ende auch so sympathisch. Er hat Schwächen, die er einsieht. Das macht ihn zu dem starken Politiker, der er ist. Für das „Merkelchen“ hat sich entschuldigt. Damit ist die Angelegenheit für mich erledigt.

Das Klima in der Koalition wirkt auch wegen Ramelows regelmäßigen Alleingängen zunehmend vergiftet. Haben Sie Verständnis für die Kritik Ihrer Bündnispartner?

Bodo Ramelow führt die Regierung und kann der Öffentlichkeit wie alle anderen auch erklären, was er für Vorstellungen hat. Das Wichtige ist, dass wir am Ende zusammenfinden, und das ist immer gelungen.

SPD und Grüne sehen das anders.

Das wundert mich. Deren Ministerinnen und Minister melden sich doch auch zu Wort und stimmen nicht alles mit uns ab. Das ist auch in Ordnung, es sind eigenständige Parteien und das macht unseren Diskussionstand erkennbar. Ich würde mir wünschen, dass wir uns in der Koalition wieder mehr als Menschen sehen, die alle gleichermaßen unter dem Druck der Corona-Krise stehen. Etwas entspannter miteinander umgehen, das ist mein Rat. Damit meine ich alle drei Partner gleichermaßen. Aber, bevor Sie fragen, für mich bleibt Rot-Rot-Grün für Thüringen alternativlos, weil wir den Freistaat in sozialen, demokratischen und ökologischen Fragen voranbringen.

Mit der CDU verhandelt ihre rot-rot-grüne Minderheitskoalition gerade die Fortsetzung des Stabilitätspaktes bis zur Landtagswahl im September. Was steht für Sie dabei ganz oben auf der Prioritätenliste?

Es geht für mich zunächst einmal vorrangig um unbürokratische Corona-Hilfen vor allem für in Not geratene kleine und mittelständische Unternehmen oder Solo-Selbstständige, aber auch um die Bereitstellung von Masken für die Bevölkerung, eine Optimierung des Distanzunterrichts und die Erstattung von Kindergarten- und Hortbeiträgen sowie um die Frage, ob wir einen Nachtragshaushalt brauchen und wie viel Geld wir aufnehmen müssen.

Von welcher Größenordnung reden wir?

Das Gesundheitsministerium wird jetzt beziffern, von welchem Volumen wir sprechen. Das dürfte mindestens ein Betrag zwischen 20 und 50 Millionen Euro sein, den wir zusätzlich brauchen. Das Geld sollte der Landtag besonders zügig bereitstellen.

Heißt das für Sie, weitere neue Schulden sind kein Problem, weil es um die Bewältigung einer nie dagewesenen Krise geht?

Ja, ich sehe darin kein Problem. Was mich grämt ist, dass wir in den Beratungen für den Haushalt 2021 schon gemahnt haben, eine pandemiebedingte Kreditaufnahme vorzusehen, aber am Widerstand der CDU-Fraktion gescheitert sind. Eine Folge dieser CDU-Politik ist auch die Auflösung der Rücklage des Landes, so dass wir jetzt nichts mehr auf der hohen Kante haben, um ad hoc zu reagieren.

Sie werden also nach Ihrer Argumentation künftige Generationen mit zusätzlichen Schulden weiter belasten müssen?

Wenn wir jetzt nicht investieren in den Aufbau krisenfester Strukturen, in die Bildung, bei Krankenhäusern, beim Öffentlichen Personennahverkehr oder schlicht zur Existenzsicherung von Menschen, dann werden wir uns an den nachfolgenden Generationen mehr versündigen als durch weitere Kredite. Die Schuldenbremse ist und bleibt ein politischer Fehler.

Thüringen hat mit die höchsten Infektionszahlen und eine Impfstrategie, die nicht trägt. Kein Ruhmesblatt für eine linksgeführte Regierung, oder?

Wir liegen beim Impfen inzwischen im Bundesdurchschnitt. Und die Auswirkungen der Pandemie haben doch nichts mit Parteipolitik zu tun. Alle Regierungen tun sich bei der Bewältigung schwer. CDU-Fraktionschef Mario Voigt kritisiert viel vom Zuschauerplatz. Entweder er nutzt seine Beziehungen in die Bundesregierung nicht, um mehr Impfstoff zu besorgen. Oder er hat keine Beziehungen. Hätten wir mehr Impfstoff, könnten wir mehr impfen.

Auch das häusliche Lernen in Thüringen ist zumindest teilweise eine Katastrophe, die Schulcloud funktioniert nur manchmal. Der linke Bildungsminister scheint das nicht in den Griff zu kriegen.

Helmut Holter hat es nicht leicht und ich finde, er macht es gut. Homeschooling ist kein Ersatz für Schule, deshalb muss man den Leistungsdruck von den Kindern nehmen. Es darf nicht dieselben Mechanismen für Leistungsbewertungen geben wie in normalen Zeiten. Man sollte bundeseinheitlich klären, wie diese Bewertung aussieht. Und in Thüringen sollte man die Besondere Leistungsfeststellung aussetzen.

Wenn Sie beim digitalen Parteitag der Linken Ende Februar Bundesvorsitzende werden sollten, wie sieht ihre politische Zukunft in Thüringen aus?

Erst einmal müsste ich gewählt werden, alles Weitere entscheide ich im Anschluss. Aber klar ist, die Belastung würde groß sein und ich bin ja kein Roboter, der keinen Schlaf braucht.