Martin Debes erzählt die Wahrheit: So lebt es sich in der Regierungs-WG.

Wäre der Thüringer Landtag eine Wohnung, in der sechs Mietparteien zusammenlebten, wäre dies eine ziemlich anstrengende Angelegenheit, obschon es sich, rein Genus-technisch betrachtet, um eine Frauen-WG handelte. Wenn mal nicht gezankt wird, herrscht hier eine gedrückte Langeweile jener Art, wie sie bei Haushaltsberatungen spätestens nach dem Einzelplan 3 zu beobachten ist.

Die FDP haust im kleinsten Zimmer, wobei sie froh sein kann, dass sie noch nicht in den Keller umziehen musste, weil sie die sogenannte Fraktionsklausel im Mietvertrag verletzt. Nächstes Jahr, wenn der aktuelle Vertrag ausläuft, dräut die Obdachlosigkeit.

Auch die Grüne gilt als akut auszugsgefährdet. Ihr Zimmer ist ebenso klein wie das der FDP, aber es hat immerhin einen Mininordbalkon, auf dem sie in Tontöpfen Hanf für ihre fürchterlich riechenden, aber effektiven Biokekse anbaut. Wenn sie richtig high ist, plant sie die ökologische Weltrevolution in Form von Natura-2000-Stationen in allen verfügbaren FFH-Gebieten.

CDU und FDP machen sich regelmäßig einen gemeinen Spaß daraus, die Aufschriften auf ihren neun Trennmülleimern zu vertauschen. Wenn die Grüne dann wieder einmal die Batterien aus den Müsliresten klaubt, kann sich sogar die Linke ein unsolidarisches Grinsen kaum verkneifen.

Die SPD bewohnt das Zimmer neben dem Bad, den Schimmel an der Außenwand hat sie mit einem riesigen Willy-Brandt-Plakat verdeckt, auf dem nun große, dunkle Flecken wachsen. Die Arme klagt über die missliche Situation. Aber wenn sie zur Küche geht, um sich aus dem Kühlschrank eine neue Flasche toskanischen Pinot Grigio zu holen, schaut sie ihre Mitbewohner so arrogant an, wie nur jemand schauen kann, der schon Bismarck, Honecker und Lafontaine überlebt hat.

Die CDU ist ständig mies drauf. Ein Vierteljahrhundert bewohnte sie das große und schicke Erkerzimmer und dazu die Kammern von Grünen und FDP, in die sie einen Billardtisch nebst Theke eingebaut hatte. Nun aber ist sie im mittleren Mittelzimmer gelandet, in das, wenn das Fenster auch nur ein klitzekleines bisschen aufsteht, verlässlich der Zigarettenrauch vom Nachbarzimmer hineinzieht.

Merkwürdig: In einer Ecke hat die CDU drei halbleere Kästen Apoldaer Bier zu einem Pult übereinandergestapelt, von dem sie jetzt Online-Vorlesungen hält.

Im Zimmer daneben, ebenso groß, hat die AfD die einst himmelblaue Wand, die bei geöffneter Tür im toten Winkel liegt, mit einem hässlichen Braun überpinselt. Sie bepöbelt die anderen als „Altmieter“ und „Hausverräter“, ansonsten liegt sie im Bett, trinkt Bier aus Kloster Veßra, und schaut sich laut auf dem Handy Youtube-Filme vom 1939er-Einmarsch in Polen an. Wenn sie mit dem Kloputzen dran ist, brüllt sie „Widerstand“ und wickelt sich aus Protest in eine Reichskriegsflagge, die sie auf dem Dachboden neben dem Rattengift gefunden hat.

Seit der letzten WG-Versammlung, als sich die AfD bei einer Abstimmung von einer selbst gebastelten Strohpuppe vertreten ließ, reden selbst CDU und FDP nicht mehr mit ihr. Parteiübergreifende Mieterresolutionen, die AfD vor die Tür zu setzen, scheiterten am Vermieter namens Wähler.

Im Erkerzimmer residiert die Linke. Sie hat alles in Rot tapeziert und einen Altar für einen gewissen Bodo Ramelow aufgebaut, vor dem sie jeden Abend Duftstäbchen anzündet und eine Andacht abhält, die sie Appell nennt. SPD und Grüne, die jahrelang teilnehmen mussten, schwänzen immer häufiger, auch weil sie vermuten, dass die Linke eine Geheimtür zum Nachbarzimmer eingebaut hat, in dem die CDU wohnt.

Sie haben ja längst gemerkt, dass Linke und Union ohne sie einfach den Reinigungsplan ändern können, und fühlen sich zusehends überflüssig. Aber sie hoffen darauf, dass dieser unerklärliche Bodo-Vodoo-Zauber endlich seine Wirkung verliert oder einfach mal aufhört und die Linke sich wieder in das Schimmelzimmer zurückziehen muss, aus dem sie einst kam.

Neuerdings treffen sich SPD und Grüne am Abend im Bad mit der CDU zum konspirativen Zähneputzen und machen Umzugspläne, wobei sie ahnen, dass sie auch im nächsten Jahr bestenfalls dort wohnen bleiben, wo sie jetzt sind. Aber sie denken langfristig, strategisch, flüstern vom Jahr 2026 und davon, dass die Linke ohne Bodo-Kult nur halb so dolle sei. Danach gehen alle in ihre Betten und weinen sich leise in den Schlaf.

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