Ettersburg. Julian Prégardien und Daniel Heide bereiten auf Schloss Ettersburg ihrem Publikum das hellste Vergnügen

Künstler von internationalem Format auf Schloss Ettersburg, dem ehemaligen Musenhof Herzogin Anna Amalias, zu präsentieren, ist für dem heutigen Hausherrn Peter Krause zur Gewohnheit geworden – zumal im Lyrischen Salon. Doch einen wie Julian Prégardien empfängt auch er nicht alltäglich: Gemeinsam mit seinem Liedbegleiter, dem Weimarer Pianisten Daniel Heide, begab der Weltklasse-Tenor sich am Sonntagmorgen auf Schuberts „Winterreise“, so wie vorige Woche in der römischen Accademia di Santa Cecilia oder an anderen prominenten Hör- und Schauplätzen.

So frech, viril und zupackend modern durchlebten die Duo-Partner den tradierten Zyklus, dass jegliche Patina im Nu verfliegt. „Fremd bin ich eingezogen...“: Es entbehrt auch bei einem Prégardien das Auftaktlied – die „Gute Nacht“ – nicht gebührender Abschieds-Melancholie. Doch ist er weitaus flotter unterwegs als die meisten Altvorderen und entfaltet – faszinierend leichtgängig in der Stimmführung – Agilität, als sei er von Frühlingsgefühlen angespornt.

Lauter Mikrodramen mit ganz eigener Atmosphäre

Nein, nichts in dieser plastischen, klar artikulierten Liedkunst wirkt unbedacht. Für jedes der zwei Dutzend Stücke finden die Beiden einen eigenen, angemessenen Gestus. Die zarte, traumverlorene Liebeserinnerung auf der einen Seite und auf der anderen die pragmatische Rauheit der vagabundierenden Existenz – des Lebens – kommen zur Geltung. Nur so genießt eine Romantik des 19. Jahrhunderts bis in unsere Tagen unverrückbaren Platz, ganz ohne Zeitreise.

Prégardien pflegt im intimen Rahmen des Saals die direkte Ansprache, und hochgradig präsent entwickelt er fein nuancierte Narrative. Jedes Lied wird kenntlich als Mikrodrama für sich, dem eine Haltung, fühlendes Bewusstsein, ja eine Welt zugrunde liegt: mal trotzig, laut und mit robuster Gebärde, mal subtil, schüchtern und leise den Ohren schmeichelnd. So mutiert selbst der allseits bekannte „Lindenbaum“ zum Volkslied der unerhörten Art.

Romantische Sehnsüchte und Existenzfragen

Wie intuitiv die Zwei harmonieren, wird nicht zuletzt darin deutlich, wie der souveräne Pianist solche Atmosphären vorausahnt. Und über dem gesamten Zyklus webt und schwebt jenes bebend, erregend Enigmatische, nach dem der Mensch grübelt und forscht, um Sinn und Zusammenhang seines irdischen Hierseins zu finden. Die Antwort wird er ob seiner Begrenzt- und Geworfenheit nie entdecken; nur den Hauch einer Ahnung verspürt er in dieser Musik.

Fast zwei Stunden lang währt so minutiöses Lauschen. Danach ist selbst mit drei Zugaben der helle Aufruhr des Beifalls nicht zu bezähmen.