Erfurt. Ehepaar aus Erfurt ersteigert für 7777 Euro das neonbunte Original vom Spray-Künstler Marc Jung. Es verbindet eine ganz persönliche Beziehung mit dem Thema Mauerfall.

Manchmal schließt sich der Kreis. Bei Constanze und Christian Stier aus Erfurt und der Versteigerung eines Mauerfall-Bildes für die TA-Spendenaktion „Thüringen hilft“ waren es gleich mehrere Kreise. Zum einen hat das Ehepaar eine ganz besondere, ganz persönliche Beziehung zum Thema Mauerfall. Denn der Arzt und die Hochschullehrerin aus Jena hatten 1986 einen Ausreiseantrag gestellt. „Mein Hauptgrund war die Spaltung des öffentlichen und des privaten Bewusstseins“, erinnert sich Constanze Stier. „Meine Studenten haben gesagt, was ich gedacht habe, aber ich musste ihnen sagen, dass das, was sie sagten, nicht stimmen würde. Damit kam ich irgendwann nicht mehr klar.“

Auch der Arzt fand zu diesem Zeitpunkt keine Erklärungen mehr: „Mir fehlten die ganzen Freiheiten. Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, berufliche Freiheiten. Endlich sagen können, was man denkt, endlich dorthin reisen, wohin man will.“

Es folgten drei lange Jahre beruflicher Schikane, Ausgrenzung. Seine Frau hatte bereits gekündigt. „Ich habe erlebt, wie mit einer Kollegin umgegangen wurde, die ebenfalls in den Westen wollte, das wollte ich mir nicht antun.“ Am 4. Oktober 1989 durfte das Ehepaar endlich ausreisen, fand in Bayern eine neue Heimat. „Wir wollten uns künftig mit Freunden und Verwandten heimlich in der Tschechei treffen – aber sechs Wochen später stand mein Bruder vor der Tür“, erinnert sich Constanze Stier. „Die Mauer war gefallen.“

Ein Stück deutsche Geschichte

Marc Jung aus Erfurt war damals fünf Jahre alt. 30 Jahre später verarbeitete er diesen Moment in seinem Bild „Will dich lieben und verdammen“, ein buntes, abstraktes, lebendiges Stück deutscher Geschichte. Jung hat in Weimar, Wien und Dresden Kunst studiert, sich mit Streetart beschäftigt, der Straßenkunst aus der Spraydose. Seine Bilder waren in Erfurt, Berlin und New York zu sehen, begeistern Kunstliebhaber wie große Rockstars gleichermaßen.

Pinsel findet man in seinem Erfurter Atelier kaum, Marc Jung kombiniert klassische Malerei – Öl, Acryl, Kohle – mit Streetart, grellbunte Neonfarben aus der Spraydose. Er lässt sich von persönlichen Motiven ebenso inspirieren wie von den Klassikern seiner Zunft, deren Motive er gern zerlegt und wieder neu zusammensetzt. Aber die Gegenwart lässt ihn nicht los, ironisch und sarkastisch er greift er aktuelle Themen auf, kommentiert sie auf seine Art, bildgewaltig.

Zum Mauerfall-Jubiläum schuf er für die „Thüringer Allgemeine“ das Titelmotiv. Am 9. November 2019 erschien „Will dich lieben und verdammen“ auf Seite 1 der TA. Schrille Farben auf Mauergrau, verstörende Gesichter mit unterschiedlichsten Emotionen, bekannte Zitate aus der Geschichte wie „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ fügen sich zusammen. Seltenerweise findet sich die Signatur des Künstlers auf der Vorderseite, ebenso ein Unikat. „Früher habe ich viel mit Schrift im Bild gearbeitet, da hätte die Signatur nur gestört oder verwirrt, also habe ich mir die Rückseite dafür angewöhnt. Da aber ein Bild auf der Titelseite einer Zeitung keine Rückseite hat, habe ich mich für die Unterschrift in der Ecke entschieden“, erklärt Marc Jung.

Preis für TA-Seite mit Kunstwerk

Für die Titelseite mit dem Kunstwerk erhielt die TA vor wenigen Tagen einen „European Newspaper Award“, eine renommierte Auszeichnung in der Zeitungsbranche. Das kunstversessene Ehepaar Stier aus Erfurt war von dem schrillen „Geschichtsbild“ sofort begeistert. „Wir wollten es damals gleich und unbedingt haben“, verriet Christian Stier jetzt. „Es illustriert unsere persönliche Wende-Geschichte, spiegelte unsere Gefühle wieder, die Zerrissenheit. Zudem wir die Werke von Marc Jung ohnehin sehr schätzen. Doch bei der Vernissage erteilte er uns eine Absage – das Bild sei schon für die TA reserviert, sollte aber bei einer Auktion im Kunsthaus versteigert werden.“ Doch dieser Überlegung machte Corona einen dicken Strich durch die Rechnung. Nun endlich kam die Auktion zustande, ungewöhnlich per Gebot mittels E-Mail. So schloss sich auch dieser Kreis: Die Stiers gaben mit 7777 Euro das höchste Gebot ab und konnten am Freitag im Erfurter Atelier von Marc Jung das Bild in Empfang nehmen, überreicht vom TA-Chefredakteur Jan Hollitzer.

Das Geld kommt der Spendenaktion „Thüringen hilft“ zugute, die Thüringer in Not unterstützt. Auch das ist ein Anliegen des Ehepaares, das erst vor wenigen Jahren wieder nach Thüringen kam. Damit schließt sich ein weiterer Kreis.

„Thüringen hilft“ unterstützt Menschen in Not

Über 30 Projekte will „Thüringen hilft“, die Spendenaktion von TA und Diakonie Mitteldeutschland, in der Adventszeit unterstützen. Dabei geht es um sozial schwache Familien, behinderte Kinder und Jugendliche sowie demenzkranke Senioren, etwa in Nordhausen und Weimar, Jena und Saalfeld, Artern, Arnstadt, Pößneck, Greiz und Gefell.

Mal geht es um wenige Hundert, mal um einige Tausend Euro. Aber immer geht es darum, den Betroffenen den Alltag und die Selbstständigkeit zu erleichtern, ob in häuslicher Umgebung, der Förderschule oder dem Pflegeheim.

Wer helfen möchte:

  • IBAN: DE89 8205 1000 0125 0222 20
  • Empfänger: Diakonie Mitteldeutschland
  • Für eine Spendenquittung im Feld „Verwendungszweck“ die Adresse angeben.
  • Wer nicht genannt werden möchte, vermerkt dort zudem den Hinweis „anonym“.
  • Wer ganz einfach mit einem Mausklick spenden möchte, kann das auf unserer Internetseite.