Berlin. Eine Zahnarzt-Phobie kann schlimme Folgen haben. Experten und eine ehemalige Betroffene erklären, wie die Behandlung trotzdem gelingt.

Wer geht schon gerne zum Zahnarzt? Viele begleitet ein mulmiges Gefühl beim Betreten einer Praxis. Das aber ist noch längst keine Phobie. Diese ist deutlich extremer – und kann für Betroffene schlimme Folgen haben. Zahnärzte und eine ehemalige Betroffene erklären, wie eine Behandlung trotz Zahnarzt-Phobie möglich ist.

Wie äußert sich eine Zahnbehandlungsphobie?

„Einige Zahnarztphobie-Patienten verdrängen alles, was mit ihrer Zahngesundheit zu tun hat. Andere berichten von körperlichen Reaktionen wie Durchfall, Übelkeit und Kopfschmerzen bei dem Gedanken an eine Behandlung“, sagt Andrea Herold. Sie litt selbst 23 Jahre lang an einer Zahnbehandlungsphobie, auch Dentalphobie oder Zahnarztphobie genannt.

In dieser Zeit mied Herold alles, was mit dem Thema Zähne auch nur ansatzweise zu tun hatte. Heute ist Herold Leiterin des Beratungsbüros der Dr. Leu-Group, einem Netzwerk von Zahnärzten, Implantologen, Chirurgen und Anästhesisten, die Dentalphobie-Patientinnen und -Patienten in ganz Europa behandeln.

Allen Phobikern gemein, so Herold: Wegen extremer Angst ließen sie sich nicht zahnärztlich behandeln lassen. Der eintretende schleichende Verschlechterungsprozess der Zähne führe bei den meisten irgendwann zu Schmerzen und einer starken Abnahme der Lebensqualität.

So auch bei Herold selbst. Die ehemalige Lehrerin hatte aufgrund des Zustands ihrer Zähne irgendwann immer Schmerztabletten dabei und entwickelte Ess-Techniken, um das Abbeißen von Lebensmitteln zu vermeiden. Genauso beim Reden und Lachen: „Man hält sich ständig die Hand vor den Mund oder lacht nur noch verkniffen. Man ist den ganzen Tag damit beschäftigt, seine Zahnprobleme zu verstecken.“

Was sind die Ursachen einer Zahnbehandlungsphobie?

Ursächlich für eine solche Angststörung ist nach Erfahrung der Dr. Leu-Group fast ausnahmslos ein schlechtes Erlebnis beim Zahnarzt, meistens als Kind. Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine Schmerzerfahrung handeln. Auch eine Behandlung, bei der etwas Unerwartetes passiert ist, kann bei Patienten als sehr schlimm wahrgenommen werden. Bei der ehemaligen Phobikerin Andrea Herold war der Auslöser ein traumatisches Erlebnis beim Schulzahnarzt, nach dem sie beschloss, nicht mehr zum Zahnarzt zu gehen. Ein „Klassiker“, wie sie sagt, – so oder so ähnlich höre sie es auch oft in Patienten-Gesprächen.

Was ist bei der Wahl des Zahnarztes zu beachten?

In ihrer Not klappern Phobie-Patienten häufig eine ganze Reihe von Zahnärzten ab, die nach eigenen Angaben auf Angst-Patienten spezialisiert sind. „Diese Zahnärzte können zwar gut mit Angst-Patienten umgehen, aber wissen nicht mit dieser Art von extremen Phobie-Patienten umzugehen“, sagt Michael Leu. Er ist praktizierender Zahnarzt für Phobie-Patienten und Gründer der Dr. Leu-Group.

Andrea Herold und Zahnarzt Michael Leu von der Dr. Leu-Group.
Andrea Herold und Zahnarzt Michael Leu von der Dr. Leu-Group. © Privat | Privat

Zahnärztin Marie Schmidt aus Berlin behandelt regelmäßig Patienten mit leichter und sehr starker Zahnarztangst. Patienten, die sich unter „normalen“ Praxis-Bedingungen behandeln lassen. Laut Schmidt ist das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Zahnarzt ausschlaggebender Faktor für einen Behandlungserfolg bei Angst-Patienten.

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„Man muss sich als Zahnarzt Zeit für den Patienten nehmen, ihm zuhören und auf ihn eingehen. Bei extremen Angst-Patienten führt man zunächst ein Erstgespräch, bei dem noch keine Behandlung durchgeführt wird. Dort spürt der Patient auch, ob Sympathie da ist und man sich von dem Zahnarzt aufgehoben und verstanden fühlt.“ Erst wenn das der Fall ist, würde ein nächster Behandlungsschritt Erfolg versprechen.

Welche Behandlungsmethoden werden bei extremen Angst-Patienten angewendet?

Bei größerer Angst hilft laut Schmidt in vielen Fällen musikalische Ablenkung mit Kopfhörer, ein Stressball und eine starke örtliche Betäubung. „Die starke Betäubung schaltet nicht nur den Schmerz aus, sondern auch das Gefühl im Mund. Dadurch wartet der Patient nicht mehr auf eintretende Schmerzen und kann sich entspannen.“

„Bei wirklich starker Angst können angstlösende Medikament wie Benzodiazepine helfen. Das sediert ein bisschen. Die Menschen entspannen sich und sitzen nicht mehr so Angst-erfüllt auf dem Stuhl“, so die Expertin weiter. „Wenn die Patienten eine lebenseinschränkende Phobie haben, wird auch eine Therapie empfohlen. Bei einer Verhaltenstherapie lernen Betroffene Entspannungstechniken oder tasten sich im therapeutischen Rahmen an eine Behandlung heran.“

Zahnärztin Marie Schmidt aus
Zahnärztin Marie Schmidt aus "Die Praxis Mitte" in Berlin. © Privat | Unbekannt

Wann funktioniert eine Behandlung trotz Phobie?

Die Spezialisten der Dr. Leu-Group behandeln nur die heftigsten Phobie-Patienten. Diejenigen also, die sich unter „normalen“ Bedingungen nicht auf den Zahnarztstuhl trauen würden. Ihre Behandlungsmethode besteht aus drei Terminen: „Der erste Termin ist ein Gesprächstermin, der zweite ist eine vier bis sechs Stunden lange Grundsanierung in Vollnarkose und beim dritten Termin wird der Zahnersatz eingegliedert“, erklärt Leu.

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Nach der Grundsanierung der Zähne würde es Patienten in der Regel auch wieder schaffen, von sich aus zu einem normalen Zahnarzt zu gehen, sagt der Zahnarzt. Scham spiele bei der Phobie eine große Rolle. „Wenn man weiß, dass jetzt wieder alles gesund und schick ist, ist ein Zahnarztbesuch wieder möglich“, sagt Andrea Herold, die sich selbst vor 22 Jahren die Zähne unter Vollnarkose behandeln lassen.

Kann man extreme Zahnbehandlungsangst lösen?

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob man mit einer Behandlung unter Vollnarkose die Angst oder Phobie lösen kann. Zahnärztin Marie Schmidt sieht das kritisch. Zwar sei Scham durchaus ein großer Hemmfaktor für Angst-Patienten und Zahnbehandlungsphobiker, allerdings kann man laut Schmidt nur Vertrauen in den Zahnarzt entwickeln, wenn man sich bewusst den Behandlungen unterzieht.

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„Angst ist ein schlechter Ratgeber und bei Vermeidung verstärkt sich die Angst. Durch viele Ängste muss man durchgehen, damit sie kleiner werden. Wenn man bei einer zahnärztlichen Behandlung merkt, dass dabei nichts Schlimmes passiert, kann man es fortlaufend positiv besetzen und seine Angst besiegen.“ Viele ihrer Patienten hätten das im Laufe der Behandlungen geschafft. Erfolge, die sie als Zahnärztin glücklich machen, was wiederum die Patienten merken – eine Rückkopplung.

Für die ehemalige Phobie-Patientin Andrea Herold war eine Behandlung unter Vollnarkose „ein Befreiungsschlag“. Ihr war klar: Nur so konnte sie eine Behandlung schaffen. Sie gehe seitdem wieder regelmäßig zur zahnärztlichen Kontrolle, auch wenn der Zahnarzt „nie ihr bester Freund“ werden würde.