Berlin. Wenn Babys morgens nicht mehr aufwachen, dann ist das eine Tragödie: Plötzlicher Kindstod. Die Forschung sucht weiter nach Ursachen.

Jedes Jahr sterben in Deutschland laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 100 scheinbar gesunde Babys den plötzlichen Kindstod. Es passiert meist nachts, unbemerkt – ohne dass es zuvor Anzeichen für gesundheitliche Probleme gegeben hat. Für Eltern ein Albtraum.

„Wir wissen nicht genau, was beim plötzlichen Kindstod passiert. Man beschreibt damit das Phänomen, dass ein Kind tot im Bett liegt, ohne dass man damit gerechnet hat“, erklärt Gerhard Jorch, Kindstodforscher und Leiter der Magdeburger Universitätskinderklinik. Ein Forscherteam aus den USA beschreibt nun in einer aktuellen Studie eine mögliche Ursache für das Plötzliche-Kindstod-Syndrom (Sudden Infant Death Syndrome, kurz SIDS).

Ursachen für plötzlichen Kindstod liegen im Dunkeln

Zwar ist die Zahl betroffener Babys in den 1980er-Jahren noch zehnmal höher gewesen als heute, aber die Auslöser für das SIDS liegen noch immer weitgehend im Dunkeln. „Es spricht vieles dafür, dass der Tod bei vielen Kindern dadurch auftritt, dass der Sauerstoffgehalt im Blut langsam absinkt und das Kind dann bewusstlos wird“, so Jorch.

Das sei dann kein quälendes Ersticken, sondern ähnlich wie der Höhenrausch bei Bergsteigern oder Fliegern – die Betroffenen fallen in eine Bewusstlosigkeit, aus der sie nicht mehr aufwachen. Auch Herzrhythmusstörungen oder Unterzuckerung sind mögliche Ursachen.

Mehr zum Thema: Plötzlicher Kindstod – Kann man die Tragödie kommen sehen?

Plötzlicher Kindstod: Zellveränderungen als mögliche Ursache entdeckt

Nun präsentieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Harvard Medical School in Boston (USA) einen möglichen Grund für diese Bewusstlosigkeit. Die Erkenntnisse von Robin Hayes und seinem Team legen nahe, dass Zellveränderungen im Gehirn ein möglicher Grund für den plötzlichen Kindstod sind.

Für ihre Studie untersuchten sie insgesamt 70 Kindstodopfer. Bei 58 von ihnen konnten Veränderungen im Serotonin-Rezeptor 5-HT2A/C festgestellt werden.

Diese Veränderungen sollen laut den Forschern dazu führen, dass bei Betroffenen zu wenig des Hormons Serotonin gebunden wird. Zuvor hatte das Team festgestellt, dass dieser Serotonin-Rezeptor bei Nagetieren für das Wachwerden und den Schutz des Gehirns vor Sauerstoffmangel im Schlaf zuständig ist. Ist der Rezeptor verändert, könnte diese Schutzfunktion schlechter ausfallen, so die Vermutung der Wissenschaftler.

Fehlender „Weckmechanismus“ gefährdet die Kinder

Eine andere Theorie sorgte im vergangenen Jahr für Aufsehen. Die Forschung des Teams um die australische Schlafwissenschaftlerin Carmel Harrington ergab, dass die Hemmung des Enzyms Butyrylcholinesterase (BChE) für den plötzlichen Tod der Kinder verantwortlich sein könnte. Dieses spielt eine entscheidende Rolle bei der Hirnkommunikation. Es wird vermutet, dass das Enzym dafür sorgt, dass Kinder aus dem Schlaf aufwachen, wenn ihre Atmung aussetzt.

Solche Atemaussetzer sind eigentlich nicht gefährlich, weil die Säuglinge durch eine Art Weckmechanismus aufschrecken, wenn ihre Atmung stoppt. Diese Reaktion bliebe aber aus, wenn das Enzym BChE nicht aktiv genug ist, erklärten die Wissenschaftler.

Aus den gewonnenen Erkenntnissen will das Team um Harrington, die selbst ein Kind durch das SIDS verloren hat, laut MDR nun ein Risiko-Screening entwickeln, um eine geringe Aktivität des Enzyms frühzeitig zu entdecken.

Auch wenn neue Erkenntnisse zum plötzlichen Kindstod gerade frischgebackenen Eltern Hoffnung geben, ordnet Universitätskinderklinikleiter Jorch diese realistisch ein: „Das ist sicherlich eine interessante Forschung, aber weit davon entfernt zu sagen, wir haben die Ursache gefunden. Das reiht sich ein in 80 andere Arbeiten in diesem Feld“, erklärt er und ergänzt: „Wir sind der Lösung nicht näher als zuvor.“

Auch interessant: Mögliche Ursache von Hepatitis-Fällen bei Kindern gefunden

Gesundheit von Kindern: Einige Maßnahmen können Risiko für Babys verringern

Was Eltern trotzdem beruhigen kann, ist ein Tipp vom Kinderarzt, der zwar banal klingt, aber höchst effektiv ist: „Der plötzliche Kindstod hat viele Ursachen, aber es gibt glücklicherweise eine wirksame Schutzmaßnahme, die allein in Deutschland seit 1991 über 30.000 Säuglinge gerettet hat – der Verzicht auf Bauchlage im Schlaf“, erklärt Jorch.

Es gibt noch weitere Maßnahmen, die Eltern ergreifen können, um das Risiko des plötzlichen Kindstods zu verringern. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt im Kinderbett einen Schlafsack, statt eine Decke zu nutzen. So wird vermieden, dass der Kopf des Babys verdeckt wird und es zu einer Überwärmung oder einem Atemrückstau kommt. Deshalb sollten auch keine Kuscheltiere in das Bett gelegt werden.

Außerdem sei es sinnvoll, im ersten Lebensjahr das Bett in das Elternschlafzimmer zu stellen. Die Atemgeräusche der Eltern hätten einen positiven Einfluss auf die Atmung des Babys, so die BZgA. Zusätzlich sollten die Kinder sich sowohl vor als auch nach der Geburt in einer rauchfreien Umgebung aufhalten.