Berlin. Geht es um Klimakleber oder die Wärmepume, kommen viele in Wallung. Möglicherweise stehen wir aber vor einer ganz neuen Debatte.

Sie saß da ganz verloren auf der Busspur, die linke Hand auf den Boden geklebt. Dort, wo der Kurfürstendamm eher nach Döner als nach Gucci riecht, ließen die Poser noch mal direkt neben ihr den Motor aufheulen. Ein kaum besetzter Doppeldecker hüllte sie mit Dieselruß ein; ein SUV-Fahrer drehte beim Überholen die reichte Scheibe runter und brüllte sie mit einem schwer sexistischen Schimpfwort an, das ich hier nicht wiederholen möchte.

Schimpfen, posen, beschleunigen: So läuft das in Berlin mit dem Verkehr. Alltag eben auf aufgeheizten Straßen in einer aufgeheizten Stadt. Abgesehen davon fiel die Klimakleberin nicht weiter auf. Noch nicht mal einen Stau provozierte sie.

So verloren, wie sie da saß, mit ihren zerrissenen schwarzen Jeans, den gepiercten Lippen, ließ sie in mir ein Gefühl des Mitleids aufkommen. Dabei finde ich total bescheuert, sich auf die Straße zu kleben. Und doch kann ich ihr Ohnmachtsgefühl nachempfinden.

Die Klimakleberin sitzt einsam auf der Busspur – da bekomme ich Mitleid

Sie erträgt es nicht mehr länger, dass der Kampf gegen die Erderhitzung im Klein-Klein des politischen Betriebs stecken bleibt, dass die Debatte über die Wärmepumpe beinahe die Ampel gesprengt hätte. Sie ist jung, denkt an die Zukunft und hat Angst, deshalb sitzt lieber unbequem und festgeklebt auf der Busspur, als zu Hause, wo sie nichts weiter tun kann, als mit der Faust gegen die Wand zu schlagen.

Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Mein Mitleid schützt mich davor, mich über die Klimakleber aufzuregen. Es ist nutzlos, was sie tun, womöglich gar kontraproduktiv – aber die Aktionen sind es sicher nicht wert, sie in der Bedeutung über alle anderen Probleme zu stellen.

In der Gesellschaft ist regelrechter Hass auf die Klimakleber allerdings weit verbreitet, selbst wenn es gar keine Betroffenheit gibt. Hass, der ebenfalls aus Angst entstanden ist. Aber nicht vor der Zukunft, sondern der Gegenwart. Angst, nicht mehr Autofahren zu können. Angst vor der Wärmepumpe. Angst vor dem ÖPNV.

Hassbotschaften an die Grünen, Zweifel am Klimawandel

Nehmen wir Harald. So nenne ich diesen Typ Mensch, der obskure Leserbriefe aus dem Klimaleugner-Milieu sammelt und auf Social Media verbreitet. Der seltsame Studien raussucht, um den vom Menschen gemachten Klimawandel in Frage zu stellen. Der dann über alles seine Hass-Botschaften in Richtung Grüne legt. Ich frage mal diesen Harald: Bist du das mit dem SUV, der neben der armen Klimakleberin den Motor noch mal aufheulen lässt?

Und dann gibt es noch dieses Thema, bei dem nicht nur Harald kurz davor steht, die Nerven zu verlieren: Das Gendern. Die Frage, ob wir Sternchen nutzen, Doppelpunkte, ob wir weibliche Formen zu den männlichen stellen oder doch lieber alles beim generischen Maskulinum lassen (nach dem Motto Mann = Mensch), ob wir Transgender integrieren oder Leute, die noch nach ihrer Identität suchen – diese Frage veranlasst Menschen, vor Gericht zu ziehen, so wie der Vater eines Berliner Schülers, der gegen gendernde Lehrer:innen zu Felde zieht.

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Schließlich stehen wir vor einer neuen schweren Debatte mit jeder Menge Sprengstoff, bei der ich mich frage: Leute, habt ihr keine anderen Sorgen? Wie gut muss es uns allen gehen, wenn wir uns so um künstliche Probleme drehen? Es geht um den Rasen, vielmehr um die Frage: Wie kurz soll er sein?

Der Rasenmäheroboter dürfte dann auch zum Auslaufmodell werden

Denn klar ist: Der Roboter, der nahezu täglich auf raspelkurze englische Länge stutzt, der Rasensprenger am Abend, der auch bei wochenlanger Gluthitze und Trockenheit für eine sattgrüne Farbe sorgt, hilft weder dem Klima noch den Insekten. Deshalb mehren sich die Forderungen, in Parks und Gärten nur noch Spiel- und Sportflächen zu mähen, ansonsten Wiesen wachsen zu lassen.

Dazu: Weg mit den Kirschlorbeer-Hecken, fordern Naturschützer. Die hätten einen ökologischen Nutzen wie eine Betonmauer.

Ob im Ruhrgebiet, wo ich mich gut auskenne, ob in Berlin, wo ich wohne: Ich kenne viele Gärten mit Kurzrasen und Kirschlorbeer. Unser Harald hat auch so einen, unterstelle ich. Und die Nachbarin einer Freundin. Wie sie gegen Naturgärten wetterte, habe ich neulich mitbekommen. „Viel zu unordentlich“. Dass die Ballblüten ihrer Bauernhortensie keine Insekten anlockt, finde sie prima. Klar brauchen die Wasser, ziemlich viel sogar. Und Dünger. „Dann blühen die auch blau.“

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