Berlin. Generationen von Wissenschaftler bissen sich bei der Entschlüsselung des Manuskripts die Zähne aus. Nun scheint die Lösung gefunden.

Das „geheimnisvollste Buch der Welt“ könnte enträtselt sein. Gemeint ist das Voynich-Manuskript, eine jahrhundertealte Schrift, über die sich Wissenschaftler über Generation den Kopf zerbrachen. Ein Forscherduo soll dem Rätsel auf nun auf der Spur sein. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift „Social history of medicine“. Die dekodierte Schrift könnte das Lehrbuch eines Gynäkologen sein – oder eine schlüpfrige Lektüre.

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Alchemisten und Könige: Rätsel um mittelalterliche Schrift gelöst?

Das Rätsel um das mittelalterliche Buch begann 1912, als der polnische Buchhändler und Antiquar Wilfrid Voynich ein Pergamentpaket aus einer Jesuitenbibliothek in Italien erwarb. Es umfasst mehr als 200 eng beschriebene Seiten in einer seltsamen Schrift ohne Satzzeichen. Stellenweise finden sich im Text oder am Rand detaillierte Illustrationen. Sie zeigen beispielsweise Skizzen von Burgen und Drachen, Pflanzen und nackten Menschen.

Voynich versuchte mehrfach, einen Übersetzer für das Manuskript zu finden – doch niemand konnte die Schrift entziffern. Nur aus historischen Aufzeichnungen geht hervor, dass das Manuskript bereits im Besitz zahlreicher Alchemisten und Herrscher war. Unter ihnen war auch der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Rudolf II., der das Manuskript Ende des 16. Jahrhunderts für 600 venezianische Dukaten von einem englischen Astrologen erworben hatte. Er hielt das Pergament für ein Werk des mittelalterlichen Naturphilosophen Roger Bacon, der seiner Zeit weit voraus war und bereits an die Gesetze der Naturwissenschaft glaubte.

Ein Ausschnitt aus dem Voynich-Manuskript zeigt auch unbekannte Tierkreiszeichen.
Ein Ausschnitt aus dem Voynich-Manuskript zeigt auch unbekannte Tierkreiszeichen. © picture alliance / akg-images | akg-images

Untersuchungen legen dem Voynich-Manuskript sexuellen Ursprung nahe

Seither haben sich Archäologen an dem rätselhaften Werk versucht, doch alle sind an der Entzifferung gescheitert. Die Forscher Keagan Brewer und Michelle L. Lewis von der Macquarie University in Australien haben nun einen neuen Versuch unternommen – diesmal allerdings aus einer anderen Perspektive. Wie Brewer in „The Conversation“ erklärt, untersuchte das Team die Kultur der spätmittelalterlichen Gynäkologie und Sexualwissenschaft, die von den damaligen Ärzten oft als „Frauengeheimnisse“ bezeichnet wurden.

Für ihre Studie zogen die Forscher auch die Arbeiten des spätmittelalterlichen Arztes Johannes Hartlieb heran, der wertvolle Einblicke in die damaligen Einstellungen zu Empfängnisverhütung, Abtreibung und Sterilität lieferte. So empfahl er beispielsweise, Texte mit „Geheimbuchstaben“ zu verschlüsseln, um medizinische Rezepte und Behandlungen zu verschleiern, die zur Unfruchtbarkeit führen konnten. Er befürchtete, dass die Texte sonst „außerehelichen Geschlechtsverkehr erleichtern würden und dass Gott ihn in diesem Fall verurteilen würde.“

Zensur im Mittelalter? Was hat Aristoteles mit dem Manuskript zu tun?

Aus dieser Perspektive kommt das Forscherteam zu dem Schluss, dass es im Voynich-Manuskript um Sex und Empfängnis geht. „Unser Vorschlag steht im Einklang mit der patriarchalischen Kultur jener Zeit und löst viele der scheinbaren Widersprüche des Manuskripts auf“, wird Brewer zitiert. So könnten die unkenntlich gemachten Wörter auf Zensuren hindeuten, die Informationen in gynäkologischen oder sexologischen Texten verbergen sollten.

Die neue Interpretation bietet auch eine mögliche Erklärung für die Illustrationen im Text: „Die Rosetten, die größte und komplexeste Illustration im Voynich-Manuskript, stellen Koitus und Empfängnis dar“, so Brewer und fügt hinzu: „Und die beiden Sonnen ganz oben links und unten rechts spiegeln wahrscheinlich Aristoteles‘ Glauben wider, dass die Sonne den Embryo während seiner frühen Entwicklung mit natürlicher Wärme versorgt“.

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Sex, Abtreibung, Gesundheitstipp: Das Werk eines Gynäkologen?

Gerard Cheshire von der Universität Bristol verkündete bereits 2019, dass er die geheimnisvolle Sprache des Manuskripts entschlüsselt habe. Er behauptete, das Dokument enthalte nicht nur pflanzliche Heilmittel und alte Weisheiten, sondern auch Ratschläge zu sexuellen Praktiken und Anweisungen zur Abtreibung. Die Behauptungen von Cheshire konnten jedoch durch spätere Forschungen nicht bestätigt werden. Auch die Vermutung, das umfangreiche Werk sei von dem berühmten Gelehrten Roger Bacon verfasst worden, blieb unbewiesen.

Das Voynich-Manuskript mit der Signatur MS 408 befindet sich seit 1969 in der Sammlung der Beinecke Rare Book and Manuscript Library der Yale University in New Haven, USA. Das digitalisierte Manuskript ist online zugänglich und kann von Interessierten eingesehen werden.