Erfurt. In Hochheim, Bischleben, Möbisburg und Gispersleben war die Situation besonders prekär. Thomas Grözinger war am Freitag 17 Stunden im Einsatz, am Samstag ebenso. Und am Sonntag kaum weniger.

Thomas Grözinger ist einer von vielen Helfern, die gegen das Hochwasser antraten. Foto: Birgit Kummer
Thomas Grözinger ist einer von vielen Helfern, die gegen das Hochwasser antraten. Foto: Birgit Kummer © zgt

Wie dem Leiter der Freiwilligen Feuerwehr Hochheim ging es vielen Einsatzkräften, sie kamen am Wochenende kaum aus den Klamotten. Allein am Samstag waren in Erfurt 230 Männer und Frauen im Einsatz .

Das Hochwasser mit wechselnden Pegelständen, vielen nötigen Absperrungen, zahllosen Auspump-Einsätzen und sich ständig ändernden Gefahrenlagen brachte viele an die Grenzen ihrer physischen Belastbarkeit. "Und dann behindert uns auch noch dieser Hochwasser-Tourismus", sagte Grözingers Kollege Norbert Wernet.

Die Neugier war groß bei all jenen, die nicht direkt betroffen waren. Auf mehreren Brücken stauten sich die Neugierigen.

In der Motzstraße an der ICE-Brücke hatte sich Samstagmittag die Lage kurzfristig verschärft, weil das Wasser noch einmal um 20 Zentimeter angestiegen war. "Wir brauchen kein Maßband, wir sehen das am Graffiti unter der Brücke. Gestern war noch das Auge zu sehen, heute ist die Figur fast komplett überspült", so Wernet. Das reißende Wassert führte Treibgut mit sich, schwemmte komplette Gartenlauben an und ließ sie gegen die Pfeiler krachen. Nicht ungefährlich, deshalb hieß es in durchaus scharfem Tonfall: Bahn frei für die Einsatzkräfte.

Nicht jedem gefiel das und nicht jeder glaubte, dass die Lage wirklich hochgefährlich sei. Auch mancher Anwohner diskutierte und gestikulierte. Doch es gab kein Pardon: Sicherheit ging vor.

Das fand auch OB Andreas Bausewein, der im Hochwassergebiet unterwegs war, um sich ein Bild zu machen. "In Bischleben sind die beiden Ortsteile durch das Wasser getrennt, es existiert nur noch ein einziger Durchgang", sagte er. "Überall riesige Wasserflächen."

Tausende Sandsäcke wurden gefüllt

Der stundenlange Einsatz von Muskelkraft war im Straßenbetriebshof gefragt. Der Grundlehrgang der Berufsfeuerwehr und die FFW Alach schippten mit. Foto: Birgit Kummer
Der stundenlange Einsatz von Muskelkraft war im Straßenbetriebshof gefragt. Der Grundlehrgang der Berufsfeuerwehr und die FFW Alach schippten mit. Foto: Birgit Kummer © zgt

Er sprach vom Gefühl der Ohnmacht beim Blick auf die tobenden Elemente. "Der Wasserdurchfluss bei Bischleben ist immens, er beträgt bis zu 190 Kubikmeter, dabei sind 5 normal. Glücklicherweise halten offenbar die Dämme, auch wenn sie durchweicht sind." Auch auf die Apfelstädt und die Wipfra schaute Andreas Bausewein.

Er dankte allen Einsatzkräften für die unermüdliche Arbeit. Für Richard Breslau und sein Flutgrabenprojekt vor mehr als 100 Jahren werde er eine Kerze anzünden. "Wenn es den Flutgraben nicht gäbe, wäre die Innenstadt randvoll gelaufen."

Zahlreiche Keller in den Erfurter Außenbereichen aber hatten nicht so viel Glück, sie mussten ausgepumpt werden.

Im Straßenbetriebshof an der Binderslebener Landstraße wurde rund um die Uhr geschippt. Mitglieder der Berufs- und freiwilligen Wehren und Mitarbeiter des Betriebshofs füllten Sand in Säcke und nutzten dazu abgeschnittene und umgedrehte Verkehrskegel als Trichter. "Es waren bestimmt 20"000 Säcke", sagte am Samstag Frank Lange, stellvertretender Bauhofleiter. "Wir teilen uns rein in 24-Stunden-Schichten."

Sonntagfrüh übernahm Jörg Teubner, Leiter des Betriebshofs. Frank Leonhardt und Lutz Hildebrandt vom Gartenamt reihten sich ein in die Riege der Fahrer, die den Sand an die Einsatzorte transportierten. 3100 nach Bischleben, 3000 nach Gispersleben, wo ein Deich stabilisiert werden musste. 1200 nach Möbisburg, 900 nach Molsdorf, 650 nach Hochheim. Auch viele Erfurter fuhren auf den Betriebshof und holten sich kostenlos gefüllte Sandsäcke, um ihre Grundstücke gegen das Wasser zu sichern.

Die Winzerstraße hat tiefe Risse. Häuser sind laut Gutachter aber nicht vom Abrutschen bedroht. Foto: Marco Schmidt
Die Winzerstraße hat tiefe Risse. Häuser sind laut Gutachter aber nicht vom Abrutschen bedroht. Foto: Marco Schmidt © zgt

Während in Bindersleben geschippt wurde, wurde im Norden die Brücke Pappelstieg vorsorglich gesperrt. Und in Hochheim musste die Winzerstraße dichtgemacht werden. Ein Straßenabrutsch drohte. Hochheim ist nun auch für die Busse der Evag nur noch aus Richtung Motzstraße erreichbar.

Wenige hundert Meter weiter, am Papierwehr Dreibrunnenbad, hatte sich ein Baum quer gelegt und ein Schott beschädigt. Ein Bagger konnte wegen der Strömung nicht ans Werk gehen. "Was in Hochheim an Wasser durchläuft, kommt später bei uns und dann in Elxleben an", sagte Harald Hilpert, der den Einsatz der Gisperslebener Wehr leitete, die von weiteren Wehren unterstützt wurde. Besonders gefragt waren die Helfer an der Baustelle Camburger Straße und im Gewebegebiet Zittauer Straße. Mehrere umgestürzte Bäume mussten aus der Gera gefischt werden. Hilpert hat bei allem Stress auch Positives erlebt. "Wir wurden von den Gisperslebenern großartig versorgt. Vielen Dank", sagt er.

In Möbisburg hieß es nicht nur in der Töpfermühle: Land unter. Die Freiwillige Feuerwehr half beim Pumpen. Düster waren auf der Brücke Motzstraße die Blicke der Gartenbesitzer, deren Parzellen im Wasser ertrunken waren. Auch wenn die Gartenfreunde Erfahrungen mit Hochwasser haben, der Frust beim Blick auf die Gera war riesengroß. "Es wird furchtbar aussehen, wenn das Wasser weg ist", sagt einer. "Und zahlen müssen wir es auch selbst."

Übernachtungsplätze wurden nicht benötigt

Noch aber ist keine Rede von der Aufnahme der Schäden, dazu muss das Wasser erst abgeflossen sein.

Am Sonntag ging das Hochwasser leicht zurück, Warnstufe 2 wurde ausgerufen. Die vorsorglich für je 150 Menschen eingerichteten Übernachtungsplätze in der Schule in Hochheim und in der Walter-Gropius-Schule mussten nicht in Anspruch genommen werden. So hieß die allgemeine Einschätzung: leichte Entspannung, aber noch keine Entwarnung.

Glücklicherweise sind bisher keine Opfer zu beklagen. Allerdings gab es eine blutende Verletzung. Die verursachte ein Vogel aus einer Voliere, der seinem Retter mit dem Schnabel in die Hand gehackt hatte.