Erfurt. Im neuen Schuljahr werden wohl wieder an vielen Schulen Lehrer fehlen. Das System sei “zu starr“, der Seiteneinstieg noch zu unattraktiv findet der Lehrerverband.

Flexibler, fairer und schneller: Im Kampf gegen den Mangel an Lehrkräften sieht der Thüringer Lehrerverband (tlv) noch Verbesserungspotenzial. Ein Ende der Talfahrt sei nicht in Sicht, sagte der kommissarische Vorsitzende des tlv, Frank Fritze, am Dienstag in Erfurt. Der Verband rechnete vor, dass es unterm Strich weniger Lehrer, aber mehr Schüler gebe. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter hatte erst vor kurzem gesagt, dass der Lehrermangel auch im neuen Schuljahr eine Herausforderung bleiben werde und nicht garantiert werden könne, dass der Unterricht an jeder Schule immer wie geplant stattfindet.

Der Lehrerverband wies darauf hin, dass im August auf dem Karriereportal des Freistaats noch 816 freie Lehrerstellen ausgeschrieben gewesen seien, davon 750 unbefristet, wie Fritze sagte. Er rechne nicht damit, dass sich an den Zahlen bis zum Start des Unterrichts noch viel ändern werde. In Thüringen gehen in dieser Woche die Ferien zu Ende, am Montag geht der Schulalltag wieder los.

Um die Situation an den Schulen zu verbessern, sieht der Lehrerverband in etlichen Bereichen noch Luft nach oben:

Seiteneinsteiger

"Die Nachqualifizierung scheint gut zu sein, allerdings muss sie so schnell wie möglich für alle Kollegen eröffnet werden", sagte Tim Reukauf, Sprecher des jungen tlv. Er bezog sich auf Angaben von befragten Seiteneinsteigern. Beim tlv wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich speziell mit den Anliegen der Seiteneinsteiger befasst, deren Anzahl in Thüringen zuletzt immer größer wurde. In der Regel werden Seiteneinsteiger in Thüringen schlechter bezahlt als ihre auf klassischem Wege ausgebildeten Kollegen. Der Weg bis zu einer gleichen Bezahlung ist lang.

Laut Reukauf wünschten sich viele Seiteneinsteiger einen klaren Fahrplan, was zu tun ist, um eine vollständige Gleichbehandlung zu erreichen. Ein Sprecher des Thüringer Bildungsministeriums sagte, es gebe schon seit langem einen Stufenplan, an dem das abgelesen werden könne. Zudem gebe es eine Hotline mit Beratung für Seiteneinsteiger.

Sowohl Fritze als auch Reukauf betonten, dass Seiteneinsteiger die gleiche Arbeit leisteten wie ihrer Kolleginnen und Kollegen. "Wir können es uns nicht leisten, gerade in der Bildung, bei den Lehrern eine Zwei- beziehungsweise sogar Drei-Klassen-Gesellschaft zuzulassen", sagte Fritze. Es gebe Beamte, Tarifbeschäftigte und die Seiteneinsteiger, erläuterte Fritze.

Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Tischner, sagte, die Unterstützung der Seiteneinsteiger durch zusätzliche Qualifikation und Betreuung sei mangelhaft. "Seiteneinsteiger können nur dann Teil der Lösung sein, wenn sie gut unterstützt und begleitet werden." Die FDP-Landtagsabgeordnete Franziska Baum sagte, die Situation der Seiteneinsteiger bereite ihr "große Sorgen". "Wir brauchen dringend transparente und nachvollziehbare Strukturen für den Entwicklungsweg dieser neuen Lehrkräfte." Dabei gehe es auch darum, "die teils deutlich schlechtere Bezahlung der Seiteneinsteiger abzustellen". Eine Möglichkeit sei, einen eigenen Studiengang aufzusetzen. "Er könnte dafür sorgen, dass die Besoldungsanforderungen erfüllt werden."

Flexibilität

Reukauf bezeichnete das System für Beschäftigte im Bildungsbereich als "starr". Als Beispiel nannte er Regelungen zur Teilzeit. Diese werde bei Lehrerinnen und Lehrern bislang in der Regel nur dann gewährt, wenn sie Kinder unter 18 Jahren hätten oder Angehörige pflegen müssten. "Da sagen viele Kollegen: Ich gehe in ein anderes Bundesland oder in die freie Wirtschaft", so Reukauf. Der jungen Generation sei Work-Life-Balance wichtig. "Ich finde, da muss sich dieses alte Modell Arbeitgeber Freistaat Thüringen neu erfinden." Es sei doch besser, einen Lehrer zu 80 Prozent zu haben, als keinen, argumentierte er.

Ausbildung

Reukauf sagte, dass es zu wenige Studienplätze für Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen gebe. Zugleich forderte er auch die Universitäten auf, sich stärker zu öffnen. Eine Zulassungsbeschränkung für das Lehramt Biologie am Gymnasium etwa sei "nicht nachvollziehbar". Außerdem kritisierte er in Teilen die bisherigen Ausbildungskonzepte. In Jena säßen Lehramtsstudenten beispielsweise bis zur Mitte des Studiums zusammen mit den Studenten des jeweiligen Fachs zusammen in den Seminaren. Dadurch seien die Anforderungen sehr hoch.

Mehr Tempo

Der Verband kritisierte, dass es zu einem CDU-Antrag mit dem Titel "Attraktivität des Lehrerberufs erhöhen und Eigenverantwortung der Schulen stärken" zwar vom Bildungsausschuss eine Beschlussempfehlung gebe, Maßnahmen aber noch nicht umgesetzt seien. Der Antrag ist aus dem Jahr 2020. In der Beschlussempfehlung wird wie Landesregierung unter anderem aufgefordert, Einstellungen in den Thüringer Schuldienst bedarfsorientierter zu gestalten, ein "bundesweit konkurrenzfähiges Aufstiegs-, Beförderungs- und Zulagensystem" einzuführen und Seiteneinsteiger ausreichend zu qualifizieren. "Arbeiten Sie Ihre eigene Agenda zeitnah ab und behandeln Sie die Themen, die Sie sich selbst aufgetragen haben!", forderte der tlv.

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