Weimar. Der frühere Weimarer Gerichtspräsident Strauch sieht methodische Defizite in der juristischen Ausbildung – und hat deshalb ein Lehrbuch geschrieben

Die Frage, wie Richterinnen und Richter zu Urteilen gelangen, findet gewöhnlicherweise diese Antwort: Sie prüfen den Sachverhalt, die zugehörigen Beweise und Zeugenaussagen – und urteilen dann, wie es so schön in der Strafprozessordnung heißt, nach ihrer „freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung“. Und dies, was sonst, auf der Basis der geltenden Gesetze.

Doch wie gelangt eigentlich ein Richter zu einem Sachverhalt? Diese Frage, so schreibt Hans-Joachim Strauch in seinem zuletzt erschienenen Fachbuch „Richterliche Urteilsfindung“, werde leider in der juristischen Ausbildung kaum berücksichtigt – genauso wie die Frage, wie die Subjektivität eines Richters, der bekanntlich auch nur ein Mensch ist, mit einer möglichst objektiven Urteilsfindung zusammenpasse.

Hans-Joachim Strauch: „Richterliche Urteilsfindung: Methoden und Praktiken“. Tübingen 2023, 22 Euro. 
Hans-Joachim Strauch: „Richterliche Urteilsfindung: Methoden und Praktiken“. Tübingen 2023, 22 Euro.  © Verlag Mohr Siebeck | Verlag Mohr Siebeck

Die Antworten darauf finden sich bislang weniger im Studium, sondern mehr in der späteren Praxis als Richterin oder Richter. So behauptet es jedenfalls Strauch, und er muss es wissen.

Gründungspräsident und Honorarprofessor

Der inzwischen 85-jährige Jurist war Gründungspräsident des Verwaltungsgerichts Gießen und gelangte nach einer Zwischenstation beim Bundesverwaltungsgericht Anfang der 1990er Jahre nach Thüringen. 1994 wurde er Präsident des damals neu geschaffenen Oberverwaltungsgerichts Weimar und leitete dort einen Senat.

Neben seiner Richtertätigkeit hatte Strauch Lehraufträge an den Universtäten Gießen und Weimar sowie in Jena, wo er 2003 zum Honorarprofessor ernannt wurde. Auch nach seiner Pensionierung forschte und veröffentlichte er weiter. 2017 erschien sein Mammutwerk zur „Methodenlehre des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens“, auf welches das neue, deutlich schmalere Buch Bezug nimmt.

Die Zielgruppe sind junge Richter und Referendare. Ihnen vermittelt Strauch nicht nur theoretische Grundlagen und praktische Erfahrungen. Sondern er versucht auch, sie dafür zu sensibilisieren, dass ein Sachverhalt ein auf eigenen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erkenntnissen basierendes Konstrukt ist.

Plädoyer für eine breitere juristische Ausbildung

Die Lektüre des neuen Lehrbuchs ist anspruchsvoll, zumal Strauch an vielen Stellen sein philosophisches Wissen einstreut. Aber sein Anliegen erscheint doch deutlich genug: Ein guter Richter sollte sich und sein berufliches Handeln umfassend reflektieren.

Der einstige Gerichtspräsident hält bei der methodischen Betrachtung der Urteilsfindung eine zusätzliche, soziologische Perspektive für nötig, die durch die Ergebnisse der Hirnforschung zu ergänzen sei. Damit ist das Werk auch ein Plädoyer für eine wissenschaftlich breitere, an der gerichtlichen Praxis orientierten Rechtssprechungstheorie und Ausbildung.

Hans-Joachim Strauch: Richterliche Urteilsfindung. Tübingen 2023, 141 Seiten, 22 Euro