Weimar . Verfassungsverstoß oder nicht? Eine Änderung im Thüringer Landeswahlgesetz, die mehr Frauen ins Parlament bringen soll, steht auf dem Prüfstand der Verfassungsrichter.

Thüringens Verfassungsrichter fällen Mitte Juli ein Grundsatzurteil, ob Parteien die paritätische Besetzung ihrer Wahllisten mit Frauen und Männern per Gesetz vorgeschrieben werden kann. Mit einer entsprechenden Änderung des Landeswahlgesetzes im vergangenen Jahr will Rot-Rot-Grün mehr Frauen ins Parlament bringen.

Die Paritätsregelung bei der Aufstellung der Kandidatenlisten der Parteien für Landtagswahlen ist nicht nur politisch, sondern auch juristisch umstritten. Das machte eine mehrstündige Verhandlung des Verfassungsgerichts am Mittwoch in Weimar deutlich. Ein Urteil wird nach Angaben des Gerichts am 15. Juli gesprochen.

Vertreterinnen des Landesfrauenrats demonstrierten vor dem Gerichtsgebäude für die Beibehaltung der Regelung, gegen die die AfD-Landtagsfraktion klagte. „Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung und sollten ihre Interessen selbst vertreten können“, erklärte der Landesfrauenrat. Thüringens Justizminister Dirk Adams (Grüne) sagte, „alle Fördermaßnahmen und milderen Mittel haben es nicht vermocht, den Frauenanteil zu heben“. Er sei im Thüringer Landtag unter 40 Prozent gesunken.

Die AfD halte die Paritätsregelung für verfassungswidrig, weil sie in die Freiheit der Wahl und die Rechte der Parteien unzulässig eingreife, sagte der Anwalt der Fraktion, Dietrich Murswiek, in der Verhandlung. Es sei nicht Sache des Gesetzgebers, „den Parteien zu sagen, welche Politik sie zu betreiben haben einschließlich ihrer Personalpolitik“.

Ungeklärt sei zudem, was mit Parteien passiere, die nicht ausreichend Frauen für eine Landtagskandidatur finden würden. Murswiek räumte ein, dass die AfD aus mehreren Gründen größere Probleme als andere Parteien habe, Frauen zu gewinnen.

Die Anwältin der Landesregierung, Silke Laskowski, verteidigte die Paritätsregelung mit dem Gleichberechtigungsgebot im Grundgesetz und in der Landesverfassung. Sie sei eine Reaktion auf einen demokratischen Missstand, weil Frauen in den Parlamenten unterrepräsentiert seien. Sie führte unter anderem an, dass auf die Kandidatenlisten auch Parteilose gesetzt werden könnten.

Die Verfassungsrichter hatten eine Vielzahl von Fragen an die Vertreter der beiden Prozessparteien. Auf Nachfragen stieß beispielsweise die Argumentation der Vertreterin des Landes, dass eine Reihe von Parteien ohnehin eine Quotenregelung habe.

Richter Klaus von der Weiden fragte, ob es nicht ein Unterschied sei, ob Parteien eine paritätische Besetzung ihrer Kandidatenlisten aus eigener Entscheidung ermöglichten, oder ob eine gesetzliche Pflicht dazu besteht. Zudem stellten die Richter zur Diskussion, ob es möglicherweise auch Zweck des Gesetzes sei, über eine veränderte Besetzung des Parlaments auch andere Themen und Inhalte auf die Agenda zu setzen.

AfD-Landesschef Stefan Möller äußerte sich zuversichtlich nach der Verhandlung. Die kritischen Fragen des Gerichts ließen die AfD hoffen, „dass der mit dem Paritätsgesetz verbundene schwerer Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien und weitere Verfassungsrechte beendet wird“.

Die Entscheidung in Thüringen könnte eine Signalwirkung für Brandenburg haben, wo es eine vergleichbare Regelung seit Anfang 2019 gibt, gegen die ebenfalls geklagt wird. Das Brandenburger Verfassungsgericht will nach bisherigen Angaben noch in diesem Jahr über die Beschwerde der Piratenpartei, der NPD, der AfD sowie einer Privatperson gegen das Paritätsgesetz entscheiden.

Das Thüringer Paritätsgesetz war im vergangenen Juli gegen die Stimmen der Opposition vom Landtag in Erfurt beschlossen worden. Bereits zu diesem Zeitpunkt bestanden verfassungsrechtliche Bedenken.

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte kurz nach seiner Wiederwahl zum Regierungschef im März angekündigt, die Paritätsregelung außer Kraft zu setzen, um Pläne für eine vorgezogene Landtagswahl im April 2021 rechtlich nicht zu gefährden.