Berlin. Ab 2035 sollen keine Verbrenner-Autos neu zugelassen werden, damit wird Benzin überflüssig. Was passiert dann mit den Tankstellen?

Nur für Sprit kommt kaum ein Kunde zu den Tankstellen von Thomas Springer: Mit einem Kaffee to go in der Hand schlendert ein älterer Herr in grünem Parka über die Aral-Tankstelle. Er wartet bei strahlendem Sonnenschein auf sein Auto in der Waschanlage, während an der äußersten Zapfsäule ein Taxifahrer hastig in seinem Toyota Prius verschwindet. Auf die Schnelle hat er sich noch ein Eis aus der Tiefkühltruhe genommen.

Der 61-jährige Besitzer der Aral-Tankstelle im Berliner Stadtrandbezirk Zehlendorf verantwortet noch eine weitere Tankstelle auf der anderen Straßenseite – und die wird in zwei Jahren Geschichte sein. Ein Vorbote dessen, was mit der Institution Tankstelle passieren könnte. Denn zumindest die politische Ausgangslage ist nicht günstig: Zuletzt beschlossen die Verkehrsminister, dass mit Ausnahme von E-Fuels ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennermotor mehr in der EU zugelassen werden dürfen.

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Diesen Trend bemerken auch die Mineralölunternehmen, begegnen der Herausforderung jedoch mit ganz unterschiedlichen Konzepten. Drastische Maßnahmen ergriffen OMV und Esso, die ihr Tankstellen-Netz an die britische Einzelhandelsgesellschaft EG Group verkauften und sich nur noch um die Kraftstoffversorgung kümmern.

Aral und Shell: Shop wird eine entscheidende Rolle spielen

Auch der drittgrößte Tankstellenbetreiber in Deutschland, Total, verkaufte erst im März diesen Jahres sein deutsches und niederländisches Netz an das kanadische Unternehmen Couche-Tard, einem der weltweit größtem Betreiber von Convinence-Shops. Damit wird auch die Richtung deutlich, in die das Tankstellengewerbe hinsteuern könnte.

Tankstellenbesitzer Thomas Springer. Im Hintergrund ist seine zweite Tankstelle zu sehen, die er pachtet. Doch in zwei Jahren wird es diese nicht mehr geben.
Tankstellenbesitzer Thomas Springer. Im Hintergrund ist seine zweite Tankstelle zu sehen, die er pachtet. Doch in zwei Jahren wird es diese nicht mehr geben. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Im Gegensatz dazu halten die beiden führenden Tankstellenbetreiber in Deutschland, Aral und Shell, an ihrem Netz fest. "Vor uns liegen noch zwei Jahrzehnte in einer Hybridphase – wo wir also Kraftstoff neben Ladesäulen auf unseren Tankstellen sehen werden, weil wir neben der steigenden Zahl von Elektroautos auch noch sehr viele Verbrenner im Fahrzeugbestand haben", sagte eine Shell-Sprecherin dieser Redaktion.

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In der Zukunft wird der Shop eine entscheidende Rolle spielen, der als Konglomerat aus E-Ladesäulen, Wasserstoffbetankung und herkömmlichen Kraftstoffen ein Ort sein soll, "wo Bedürfnisse rund um Mobilität befriedigt werden", so die Sprecherin. Auch Konkurrent Aral investiert in das Rundum-sorglos-Paket. "Es ist aber klar, dass sich Tankstellen verändern müssen", sagte Achim Bothe, Vorstandsvorsitzender der Aral AG, dieser Redaktion. "Convenience und Elektromobilität sind Teil unserer Wachstumsstrategie."

Tankstellen machen kaum Umsatz mit Benzin oder Diesel

Hier liegt auch das Geschäft von Springer. Als Eigentümer kann er selbst über seinen Shop bestimmen, unabhängig von Aral: "Ich habe hier einen achttürigen Kühlschrank. In den habe ich gleich am Anfang investiert – und wir haben den Getränkeabsatz mehr als verdoppelt." In seinem Laden herrscht regelrechte Wohlfühlathmosphäre: Im Hintergrund dudelt das Radio. Prominent platziert liegen Laugenecken und Schrippen in der Auslage. Ohne zu Tanken kommt ein Handwerker rein und holt sich zweimal Kaffee.

Wohlfühlathmosphäre in der Tankstelle von Thomas Springer in Berlin-Zehlendorf. Nur zum Tanken kommt fast niemand. In der Sitzecke können Snacks der Backwarenauslage konsumiert werden.
Wohlfühlathmosphäre in der Tankstelle von Thomas Springer in Berlin-Zehlendorf. Nur zum Tanken kommt fast niemand. In der Sitzecke können Snacks der Backwarenauslage konsumiert werden. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

"Die eigentliche Aufnahme von Diesel und Benzin macht im Betriebsmodell Tankstelle nur etwa 20 Prozent des Umsatzes aus", sagt Herbert Rabl vom Tankstellen-Interessensverband dieser Redaktion. Springer verdient unabhängig vom Verkaufspreis 2,5 Cent pro Liter. Die Betreiber machen 60 Prozent des Umsatzes mit ihrem Shop und 20 Prozent mit Zusatzgeschäften wie Waschanlagen oder Werkstätten. Laut Rabl sind Kraftstoffe lediglich der Magnet, der die die Kunden anlockt.

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"Die Institution Tankstelle als Hub, um Energie aufzunehmen, wird es auf die eine oder andere Art und Weise auch in der nahen Zukunft noch geben", so Rabl. Er glaubt nicht an ein Tankstellensterben. Bereits vor 600 Jahren seien an bestimmten Orten Pferde umgespannt worden. "Im Grunde genommen ist die Tankstelle, die wir heute kennen, nur eine Weiterentwicklung." Auch die Zahlen zeigen noch keinen quantitativen Rückgang der Tankstellen in Deutschland, 2022 gab es noch 14.460 Stück.

Tankstellen könnten in der Stadt sterben

Zwischen Stadt und Land gibt es allerdings einen Unterschied, wie Sabine Tastel vom Forschungsprojekt Obsolete Stadt der Uni Kassel erklärt. "In den Großstädten würde ich auf jeden Fall einen Rückgang prognostizieren." Gemeinsam mit Projektleiter Stefan Rettich analysierte Tastel in einem Modellprojekt für Hamburg, dass es bis 2030 einen Rückgang von 33 Prozent der insgesamt 270 Tankstellen geben wird. "Immer mehr Leute bevorzugen E-Mobilität", sagt sie. "Gerade in Großstädten macht es einfach keinen Sinn mehr, das zentral zu organisieren."

Als "Event" beschreibt Tastel das Geschehen, dass sie an einer Tankstelle an einem Samstagnachmittag in der Frankfurter Innenstadt beobachtete: Menschen seien zusammenkommen, hätten sich unterhalten und ihr Auto gewaschen. Auch Tankstellen-Betreiber Springer nennt es ein "Erlebnis", wenn die Kunden auf den Parkflächen bei ihm Halt machen. "Da wird auch das Bierchen auf den Feierabend noch mitgenommen."

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