Wutha-Farnroda. Vivien Zeihs arbeitet seit vier Jahren an „The Dementia Web App“. Zuletzt hat sie eine Rede beim Thüringer Innovationspreis gehalten.

Persönliche Betroffenheit nennt Vivien Zeihs aus Wutha-Farnroda als ausschlaggebenden Punkt für die Idee hinter „The Dementia Web App“. Ihre Urgroßmutter habe unter Demenz gelitten, als Zeihs noch sehr jung war. „Anfangs haben wir uns gut verstanden, sie hat mich erkannt. Dann musste sie in ein Pflegeheim und innerhalb eines halben Jahres stand vor mir ein ganz anderer Mensch“, erinnert sich die 17-Jährige.

2020 folgte ein Praktikum in einem Pflegeheim. „Da habe ich gemerkt, dass die Therapiemethoden, die es gibt, zur Beschäftigung ganz gut sind. Aber ein richtiger therapeutischer Zweck wird nicht erfüllt“, so Zeihs. Aus diesem Grund begann sie, in ihrer Freizeit Skripte zu entwerfen, die Idee für die App zu entwickeln und Programmieren zu lernen.

Zwei Jahre später nahm sich die Schülerin dem Thema auch im Praktischen Naturwissenschaftsunterricht des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in Ruhla an, auf das sie geht; reichte das Projekt bei Jugend forscht ein. Mit einem ersten Prototyp der App erhielt Zeihs damals einen 2. Preis beim Landeswettbewerb und den Sonderpreis Innovationen für Menschen mit Behinderungen der Christoffel-Blindenmission.

Die 17-jährige Vivien Zeihs aus Wutha-Farnroda hat in den vergangenen vier Jahren „The Dementia Web App“ entwickelt. Mit Bildern und Liedern soll sie Demenzkranken eine Therapiemöglichkeit bieten.
Die 17-jährige Vivien Zeihs aus Wutha-Farnroda hat in den vergangenen vier Jahren „The Dementia Web App“ entwickelt. Mit Bildern und Liedern soll sie Demenzkranken eine Therapiemöglichkeit bieten. © Jeannette Zeihs | Jeannette Zeihs

Bilder helfen Betroffenen dabei, sich zu erinnern

Das reichte Zeihs aber nicht: „Ich habe seit 2022 so effektiv an dem Projekt gearbeitet, dass ich innerhalb eines Jahres zwei weitere Prototypen entwickelt habe.“ Die Benutzeroberfläche sei inzwischen intuitiv bedienbar und personalisierbar. Damit das datenschutzrechtlich möglich ist, habe sie intensiv mit einem Fachinformatiker zusammengearbeitet.

Beim Start der App können die Nutzenden eine Jahreszeit und in einer weiteren Unterkategorie einen bestimmten Monat auswählen. In den Ordnern befinden sich Bilder, die typisch für die jeweilige Zeit sind, sowie Volkslieder, die der Schulchor des Albert-Schweitzer-Gymnasiums aufgenommen hat. Angehörige können auch eigene Bilder, zum Beispiel von Schuleinführungen, Hochzeiten oder Urlauben, in die App einpflegen. Anschauen kann man sie am besten mit dem Tablet. Die Funktionsweise ist einfach:

„Pflegekräfte oder pflegende Angehörige schauen sich mit der betroffenen Person das Bild an und kommunizieren, was darauf zu sehen ist. Oft kommen dann sofort persönliche Erinnerungen mit hoch“, erklärt die Schülerin. „Die Person beschreibt vielleicht: ‚Ich sehe einen Vogel. Es ist eine Amsel.‘ Meistens kommt dann schon der Knackpunkt, an dem sie von sich erzählt. ‚Früher habe ich mit meinen Großeltern Vögel gefüttert.‘ Wenn man das regelmäßig mit den gleichen Bildern übt, gibt es einen Lernprozess, und die Person erinnert sich immer schneller an eigene Erlebnisse.“

Pflegekräfte können mit der App Zeit sparen

Um die App zu testen, hat Zeihs selbst mit zwei Probanden geübt. Dabei hat sie festgestellt, dass sich mit persönlichen Fotos noch mehr erreichen lässt. „Ich habe oft erlebt, dass die Leute anfangen zu weinen. Solche vermeintlich negativen Reaktionen sind in der Demenztherapie sehr positiv, weil es zeigt, dass sie noch davon wissen“, so die Jugendliche. Sie schlägt vor, zwei bis dreimal pro Woche jeweils 30 bis 60 Minuten mit Betroffenen zu üben. Pflege- und Betreuungskräfte können dabei sogar Zeit sparen, weil die Vorbereitung eines Beschäftigungsprogramms wegfällt.

Ihr Wissen hat Zeihs sich unter anderem durch ein Praktikum und Fachliteratur angeeignet. „Im vergangenen Jahr war ich zwei Wochen lang am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in München, das sich mit Alzheimerforschung beschäftigt, und auf dem Deutschen Alzheimerkongress in Frankfurt.“ Nach dem Abitur hat sie vor, Neurowissenschaften zu studieren.

Gestandene Gründer finden das Projekt super

Im Juli möchte Vivien Zeihs „The Dementia Web App“ auf den Markt bringen, voraussichtlich in einem monatlich kündbaren Abo-Modell. Dazu ist sie derzeit noch auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten. Unterstützung erhält die 17-Jährige dabei von der Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen (STIFT), insbesondere von Luise Merbach vom Schülerforschungszentrum Schmalkalden sowie Oliver Hauck, und durch das Thuringian Regional Innovation Program (TRIP). Ihre größten Fans sind aber ihre Eltern Jeannette Zeihs und Torsten Jerabek.

2023 hat Zeihs sich beim Thüringer Innovationspreis beworben. „Christiane Kilian, die Vorständin der STIFT, hat sich bei mir gemeldet und mir gesagt, dass ich die Eröffnungsrede halten darf“, sagt die Schülerin. Das tat die damals 16-Jährige im Dezember dann auch – vor 300 Menschen in Weimar. „Ich habe erst im Nachhinein realisiert, wie krass das war. Gestandene Gründer mit internationalen Unternehmen kamen mit Tränen in den Augen auf mich zu und sagten mir, wie super sie das Projekt finden.“