Essen. Der Film „Der Trafikant“ zeigt Wien während des Beginns der NS-Zeit. Bruno Ganz brilliert in seiner letzten Rolle – als Sigmund Freud.

„Ist Ihnen nicht gut, junger Mann?“ Franz Huchel (Simon Morzé), der mit dem Zug aus dem Salzkammergut nach Wien gekommen ist, erregt auf dem Bahnsteig die Aufmerksamkeit einer Lotterie-Verkäuferin. „Es ist nur so laut hier und stinkt so – vielleicht der Kanal.“

„Das ist nicht der Kanal, das sind die Zeiten, faulige Zeiten sind das nämlich“, orakelt die Alte gleich einer antiken Seherin, „du gehst am besten wieder zurück.“

Es ist Österreich im Jahr 1937. Die junge Republik, noch keine 20 Jahre alt, steht vor dem „Anschluss“ an das Dritte Reich.

In Robert Seethalers 2013 erschienenem Roman „Der Trafikant“, der sich trotz erheblicher Defizite bei Sprache und Charakterzeichnung lange in den Bestenlisten hielt und inzwischen sogar Schullektüre ist, wird der 17-jährige Franz in diese Welt im Um- und Zusammenbruch geworfen. Weil daheim der Geliebte und Ernährer der Mutter beim Schwimmen vom Blitz erschlagen wurde, muss der Junge seinen eigenen Weg finden.

Beinahe-Freundschaft mit Sigmund Freud

Mutter vermittelt ihm eine Lehrstelle bei einem anderen Ex-Liebhaber: Der Kriegsinvalide Otto Tsnjek (Johannes Krisch), aufrechter Republikaner, betreibt in Wien ein Lädchen für Tabakwaren und Zeitschriften. In diesem Trafik lernt Franz, der reine Tor, die Menschen kennen und erkennen; in Wien erleidet er seine erste große Liebe in Gestalt der böhmischen Varieté-Tänzerin Anezka (Emma Drogunova). Vor allem aber entsteht eine Beinahe-Freundschaft mit einem von Ottos Stammkunden, dem berühmten Psychologen Sigmund Freud (Bruno Ganz).

Schon im Roman ist diese seltsame Beziehung der Kitt, der die oftmals banale und weitgehend vorhersehbare Handlung zusammenhält. In Nikolaus Leytners (Buch und Regie) Film-Adaption nun wird die Karte Freud noch stärker ausgespielt.

Der große Sigmund Freud ist der 82-jährige Begründer der Psychoanalyse, der bis zu seiner Emigration nach London für Franz zum väterlichen Mentor wird. Ganz, diesen begnadeten, 2019 verstorbenen Schauspieler in seiner letzten Rolle zu sehen ist ein wunderbares Geschenk.

Was bleibt, ist ein großer Auftritt von Bruno Ganz

Strapaziös dagegen ist die Vorhersehbarkeit, mit der Leytner Schlagworte zwischen Liebe und Libido, Wasser und Weiblichkeit, die man gemeinhin mit Freud in Verbindung bringt, unermüdlich durchdekliniert. Prompt wird die Zigarre, die sich eine Kundin anzündet, zum Phallussymbol, wird der Qualm, den sie dem Pubertierenden entgegenbläst, zur Verheißung.

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Natürlich darf Traumdeutung nicht fehlen, zumal Franz, der nach Ottos Verhaftung durch NS-Schergen den Trafik allein führt, tags wie nachts viel (alp-)träumt, und immer das Gleiche in kleinen Variationen. Anfangs hockt er, fast nackt, auf dem Grund des Attersees, schließlich kauert er in Embryonalhaltung in einer engen Regentonne, und dann ist auch dem letzten klar: Der Junge träumt sich zurück in den Uterus.

Was bleibt, wenn der Anschluss Österreichs erfolgt, Freud emigriert, der von aller Unbedarftheit befreite Trafikant ebenfalls von der Gestapo geholt worden ist? Die Erinnerung an den letzten großen Auftritt von Bruno Ganz!

ARD, Dienstag, 11. August, 22.45 Uhr

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  • Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Textes haben wir fälschlicherweise von Robert Seehofer geschrieben. Wir haben den Fehler korrigiert.