Berlin. Jede zehnte an Magersucht erkrankte Person ist ein Mann. Das ZDF zeigt am Dienstag eine bewegende Dokumentation über zwei Betroffene.

Drei Männer zwischen dreißig und vierzig Jahren sitzen in einem Stuhlkreis zusammen und reden über Essen. Doch die Runde diskutiert nicht die neueste Grillmethode oder den besten Döner der Stadt. Sie reden darüber, dass sie zwanghaft nicht essen können – und trotzdem lange nicht wahrhaben wollten, dass sie krank sind.

Denn: „Männer haben sowas nicht, das haben 14-jährige Mädchen“, sagt ein Teilnehmer der Selbsthilfegruppe. Essstörungen werden in Projektwochen an Schulen thematisiert, in Filmen abgebildet, es gibt ganze Instagram-Accounts, die sich dem Heilungsprozess einer essgestörten Person widmen. Doch die meisten Hilfsangebote und inspirierenden Geschichten adressieren Mädchen oder junge Frauen.

Magersüchtige Männer sieht man nicht im Mainstream. Die ZDF-Dokumentation „Nur Haut und Knochen – wenn Männer magersüchtig sind” aus der Reihe „37 Grad“ will das ändern.

Magersucht: Mindestens zehn Prozent der Betroffenen sind Männer

Rund zehn Prozent der Magersüchtigen sind Männer – zwei von ihnen begleitet das ZDF-Fernsehteam über ein Dreivierteljahr auf ihrem Therapieweg. Markus war 26, als es mit dem gefährlichen Hungern losging. Er studierte, wollte Lehrer werden. Dann begann er zu joggen, um sportlicher auszusehen, und achtete mehr auf seine Ernährung.

Was für viele nach harmlosen Neujahrsvorsätzen klingt, wurde binnen kurzer Zeit zu einem Zwang. Es dauerte nicht lang und Markus verbrachte den Großteil seines Tages damit, über das Nichtessen nachzudenken. Er magerte auf 38 Kilogramm ab, bei einer Größe von 1,94 Meter. Er musste zwangsernährt werden, um zu überleben.

Eine Essstörung wie Magersucht zu überwinden, kann Jahre dauern

Markus konnte nicht mehr aufhören zu hungern. Alles drehte sich nur ums Nichtessen.
Markus konnte nicht mehr aufhören zu hungern. Alles drehte sich nur ums Nichtessen. © ZDF | Caroline Haertel

Nach sechs Jahren mit Krankenhausaufenthalten und Wohnen in Therapiegemeinschaften darf er nun in eine eigene Wohnung ziehen, in engem Kontakt mit seinem Betreuer bleibt er weiter. Empathisch begleitet ihn die Kamera bei seinen ersten Gehversuchen in einem wieder selbstständigen Leben. Doch als Zuschauer darf man sich nichts vormachen.

Geheilt ist Markus noch lange nicht: „Es gibt Tage, da möchte ich einfach nur ins Fitnessstudio rennen“, sagt der 32-Jährige. Ganz ähnlich ergeht es dem 19-jährigen Elija, für den das Fitnessstudio ab dem 16. Lebensjahr quasi zum zweiten Zuhause wurde: Erst trainierte er jeden Abend, dann zusätzlich morgens vor der Schule, später auch noch in den Freistunden.

Parallel aß er immer weniger und wenn, dann trockenen Salat oder Magerquark. Mehr Eiweiß, mehr Krafttraining – alles um einen definierten Körper wie seine Vorbilder auf Instagram oder YouTube zu haben.

Dass er dabei immer schwächer wurde, merkte er erst, als er, der Kraftsportler, an einem Schulsportfest nicht teilnehmen konnte. Das bringt ihn dazu, eine Therapie zu beginnen und sich die Angst vor Tortellini mit Käsesoße abzutrainieren.

Wie Magersucht beginnt, ist bis heute nicht abschließend geklärt

Die Regisseurinnen Mirjana Momirovic und Caroline Haertel fangen in ihrer Dokumentation genau ein, was Essstörungen an der Oberfläche nicht offenbaren: die Obsession um Kalorien, die psychischen Muster des Selbsthasses, die die Krankheiten befeuern. Warum manche Menschen an einer Essstörung erkranken und wie Magersucht beginnt, kann bis heute jedoch nicht vollständig beantwortet werden.

Bei der Entstehung der Krankheit wirken verschiedene Faktoren zusammen, zum Beispiel ein niedriges Selbstwertgefühl, emotionale Labilität und vorherrschende Schönheitsideale. Magersucht kann jedoch auch erblich veranlagt sein oder durch exzessiven Leistungssport begünstigt werden.

Doch darauf will der Film gar nicht hinaus. Mit Geduld und ohne Druck vermittelt die Dokumentation, wie lang der Versuch, wieder gesund zu werden, dauern kann.

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Betroffener: „Sich selbst zu mögen ist halt verdammt schwer“

Der Zuschauer bekommt einen Einblick in die Köpfe der Protagonisten, beispielsweise wenn Elija im Supermarkt immer noch die Kalorienzahlen verschiedener Schokoriegel herunterrattern kann und Markus einem langjährigen Freund das erste Mal eröffnet, was ihn in die Magersucht getrieben hat.

Die „37°“-Doku gibt bisher wenig beachteten Betroffenen von Essstörungen eine Bühne, mindestens das macht das Anschauen wert. Doch sie zeigt vor allem, dass wir Menschen, ob männlich oder weiblich, von denselben Zweifeln geplagt sein können: „Sich selbst zu mögen ist halt verdammt schwer“, sagt der Gründer von Markus’ Selbsthilfegruppe.

„37°: Nur Haut und Knochen – Wenn Männer magersüchtig sind“ – Film von Mirjana Momirovic und Caroline Haertel. Dienstag, 21. Januar 2020, 22.15 Uhr im ZDF.