Berlin. Ein Jahr nach der Flutkatastrophe sind weiter viele Fragen offen. NRWs Innenminister Herbert Reul zeigte sich bei „Lanz“ unsensibel.

Reißende Wassermassen, wegbrechende Häuser und verzweifelte Menschen – es sind Bilder, die bleiben. Zum Jahrestag der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben zahlreiche Menschen an die Opfer erinnert. Bis heute scheinen viele Fragen offen: Gibt es bessere Warnsysteme? Warum ging die Evakuierung nicht schneller? Bei „Markus Lanz“ versuchten sich die Gäste erneut an Antworten.

„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:

  • Herbert Reul, NRW-Innenminister (CDU)
  • Peter Wohlleben, Förster und Bestsellerautor
  • Maria und Thomas Dunkel, Flutopfer aus Nordrhein-Westfalen
  • David Fuhrmann, Feuerwehrmann aus dem Ahrtal

Ein Jahr ist vergangen. Für Maria und Thomas Dunkel ein Jahr voller Trauma, Kraft, aber auch Neuanfang. Noch immer haben die Opfer mit den Konsequenzen zu kämpfen, die diese Flut hinterlassen hat. „Schlafprobleme habe ich seit der Flut“, so Maria Dunkel aus Erftstadt. In ihrem Haus steht jetzt immer eine Tasche, mit der sie durch den Garten fliehen könnte.

Flutkatastrophe: Meterhoch türmen sich im Juli 2021 Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über der Ahr in Altenahr (Luftaufnahme mit einer Drohne).
Flutkatastrophe: Meterhoch türmen sich im Juli 2021 Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über der Ahr in Altenahr (Luftaufnahme mit einer Drohne). © dpa

Vergangenen Juli erlebte die Erftstädterin, wie ihr Mann nachts aus dem Fenster blickte und sagte: „Maria, die Häuser sind weg“. Ihre Nachbarshäuser verschwanden in einer ehemaligen Kieselgrube, die sich zu einem riesigen Wasserloch verwandelte.

Vergeblich versuchte Dunkel Angehörige und Autoritäten zu kontaktieren. „Aber da kam keiner“, berichtete die Anwohnerin. In letzter Minute verließ Maria Dunkel mit ihrem Ehemann das Haus. Aus finanziellen Gründen musste das Ehepaar auch wieder in dieses zurückkehren.

Feuerwehrmann bei „Lanz“: Das System hat versagt

Der Sohn von Maria Dunkel, Thomas, kritisierte vor allem die Bürokratie, die notwendig sei, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. „Wir haben ja auch Gelder bekommen, sind sehr dankbar dafür. Aber es war eine Tortur es hinzubekommen“, so Thomas Dunkel. „Meine Eltern hätten das nicht geschafft“, fügte er hinzu.

„Das hätte nicht passieren dürfen, da hat das System versagt“, kommentierte der Feuerwehrmann David Fuhrmann. Der Dernauer, der damals einen Campingplatz besaß, zeigte sich immer noch fassungslos über die Situation. „Es konnte keiner ahnen, dass da Pegelstände von neun bis zehn Meter auf uns zukommen“, sagte Fuhrmann. Mehr zum Thema: Ahrtal: So geht es den Menschen ein Jahr nach dem Hochwasser

Besonders enttäuscht zeigte sich der Feuerwehrmann von dem Umgang mit der Warnung. „Ja, den Menschen hätte über alle Kanäle klargemacht werden müssen: Leute, da kommt was, das habt ihr so noch nicht gesehen“, betonte er. Laut Fuhrmann wäre genug Zeit gewesen, besonders, bevor die Flut andere Gemeinden erreichte.

Flutkatastrophe: Herbert Reul weist Schuld von sich

Doch gab es diese wirklich? Markus Lanz nahm Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul sanft in die Mangel. Sanft, weil der Moderator immer wieder versicherte, dass es nicht wirklich um Schuldzuweisungen geht. Und auch Herbert Reul irrte und wirrte sich durch seine eigenen Antworten. „Wann haben Sie wirklich begriffen, was da vor sich geht?“, hakte der Moderator nach. „Total begriffen habe ich, als ich es gesehen habe“, antwortete Reul.

ZDF-Moderator Markus Lanz.
ZDF-Moderator Markus Lanz. © Markus Hertrich

Markus Lanz tastete sich anschließend weiter vor: „Wo würden sie sagen – das ohne Vorwurf – sind die entscheidenden Fehler passiert?“. Statt Einsicht und Analyse folgte eine Abhandlung über Schuldzuweisungen und eine Menge Verantwortungsdiffusion. „Heute weiß ich, natürlich ist nicht alles glatt gelaufen“, betonte der CDU-Politiker.

„Mir geht’s nicht um Schuld. An welcher Stelle haben wir nicht aufgepasst?“, fragte Lanz weiter. Die ständige Rückversicherung, es würde nicht um Schuld gehen, sorgte für zunehmende Frustration. Reul führte einen permanenten Balanceakt der PR-Arbeit durch und schob dann letztlich, doch anderen die Schuld zu.

„Markus Lanz“: Warnsysteme sind immer noch nicht ausgebaut

„Es hilft nichts, wenn man halbfertige Daten hat“, so Reul. Dabei kommentierte der Innenminister die Berichte und Warnungen der Meteorologen oder „Wetterfrösche“, wie Reul sie nannte. „Sie haben doch Fachleute“, entgegnete der Moderator. „Ich glaube, da gibt es weder genug Schulung noch Klarheit“, sagte Reul im Hinblick auf die Kommunen.

Auch beim Thema Warnsysteme fanden sich keine klaren Antworten. Weder ausreichend Sirenen sind verfügbar, noch ist bis heute eine Warn-App entwickelt worden. Für Reul war die Sache klar: Kinder und Jugendliche wüssten doch gar nicht, was ein Sirenenton bedeutet. „Wirklich jetzt? Ernsthaft?“, warf der Moderator ein. „Das Ernstnehmen von Katastrophenlagen ist auch noch ein Thema“, entgegnete der Politiker.

Was die Warn-App angeht, konnte der Innenminister auch nicht viel sagen. „Da müssen sie mich aber jetzt wirklich nicht fragen“, betonte Reul. Das Konzept sei genehmigt, von der App fehlt allerdings jegliche Spur. Für Reul seien es vor allem die Kommunen, die sich um den Katastrophenschutz kümmern müssen. „Weil diese sich am besten auskennen und wissen, was los ist“, so Reul.

Der Innenminister stolperte von einem Fauxpas in den nächsten. Auch ein Jahr nach der Katastrophe bleiben die Fragen weiter offen. Statt konkreter Lösungen, gab es vor allem doch eins: eine Menge Schuldzuweisungen.

„Markus Lanz“ – So liefen die vergangenen Sendungen

Dieser Artikel erschien zuerst bei waz.de.