Mühlhausen. Jede Woche wird in Mühlhausen gespielt und gesungen. Einmal im Monat trifft man sich zum Gedächtnistraining und Sport.

Sich gegenseitig helfen, niemanden ausschließen – dafür stehen Helga Hill und ihre Hausgemeinschaft in der Margaretenstraße in Mühlhausen. 64 Wohnungen gibt es in dem Haus. Alle Wohnungen sind zwar auf die Bedürfnisse alter Menschen abgestimmt, einen Träger gibt es aber nicht, sagt Helga Hill. „Jeder darf sich seinen Pflegedienst selber aussuchen, jeder kann sich sein Mittagessen vom Lieferanten seiner Wahl kommen lassen.“

Die meisten der Hausbewohner haben den 80. Geburtstag bereits hinter sich. „In diesem Alter braucht man schon ab und an Hilfe“, sagt Helga Hill, die ebenfalls schon 82 Jahre alt ist. Alltägliche Dinge wie den Briefkasten leeren oder Pakete vom Postboten an der Haustür annehmen fallen vor allem denjenigen schwer, die nicht mehr so gut zu Fuß sind. Deshalb hat Helga Hill neben ihrem eigenen Briefkastenschlüssel auch noch den der Nachbarin. Wenn sie nach unten geht, um ihre Post zu holen, bringt sie die für nebenan gleich mit.

Außerdem liegen auf dem kleinen Schränkchen neben der Eingangstür auch noch zwei andere Wohnungsschlüssel. „Falls sich mal jemand aussperrt, können wir uns den Schlüsseldienst sparen“, sagt Hill. Auch einige andere Bewohner im Haus hüten die Schlüssel ihrer Nachbarn. Und das ist nicht nur im Falle einer zugefallenen Tür gut, sagt Hill.

Fußpflegestudio wird zum Fitnessraum

Die Hausbewohner haben außerdem eine Telefonkette eingerichtet. Jeden Morgen geht der Rundruf quer durchs ganze Haus. „Auch an Sonn- und Feiertagen“, sagt Hill. Die 82-Jährige tätigt meistens den ersten Anruf – immer pünktlich um 8 Uhr. „Auf der Liste stehen diejenigen, die alleine sind, zu denen kein Pflegedienst kommt und die auch nicht jeden Tag Kontakt zu ihren Kindern und Verwandten haben.“

Auch Margret Kothöfer und Renate Stallknecht stehen auf der Telefonliste. „Wir sind alle auf den morgendlichen Anruf eingestellt. Wenn sich jemand beim Rundruf nicht meldet, haben wir – für den Notfall – die Telefonnummer des nächsten Angehörigen, des Hausarztes oder einen Zweitschlüssel“, sagt Kothöfer. So ein Notfall komme aber zum Glück recht selten vor.

Die Telefonkette war eine Idee von Helga Hill. Die Seniorin arbeitete 17 Jahre ehrenamtlich für die Mühlhäuser Seniorenvertretung. In dieser Zeit machte sie Schulungen zum Thema Gedächtnistraining und Seniorentanz und brachte einige Projekte auf den Weg – auch eine Telefonkette, damals noch für alleinstehende Senioren in Mühlhausen.

Als Hill sich 2015 aus dem Ehrenamt zurückgezogen hatte, wollte sie nicht nur zu Hause rumsitzen, wie sie selbst sagt. Zusammen mit ihrem Partner Hans Weigel machte sie sich Gedanken, wie man ein bisschen Abwechslung in den eigenen Alltag bringen könnte. Kurzerhand übernahm Hill einfach einige ihrer Projekte aus der Seniorenvertretung, organisierte gemeinsam mit anderen Hausbewohnern Spielenachmittage, Singstunden und Gymnastikeinheiten. Die sind in der Hausgemeinschaft mittlerweile zu einer festen Tradition geworden.

„Natürlich gibt es auch diejenigen, die nicht so einen engen Kontakt zu anderen Bewohnern haben möchten. Die sind lieber für sich und das ist auch völlig in Ordnung“, sagt Helga Hill.

Jeden Mittwochnachmittag trifft sich ein mehr oder weniger fester Stamm aus etwa zwölf Leuten im Keller, um dort gemeinsam Rummikub zu spielen. Im Keller gibt es einen liebevoll eingerichteten Gemeinschaftsraum mit Küche, in dem auch jeden Monat die Geburtstagsrunden stattfinden.

Im Zimmer nebenan gab es bis vor Kurzem noch ein Fußpflegestudio. Als die Fußpflegerin ausgezogen war, machten die Senioren einen Fitnessraum daraus. Dort stehen jetzt ein Stepper, ein Laufband, und ein Heimtrainer, die alle im Haus nutzen können. Einen Raum weiter ist die hauseigene Bibliothek. Auch die haben die Senioren mit über 300 Büchern bestückt. Einmal im Monat treffen sich einige der Hausbewohner zum Gedächtnistraining und zum Gymnastikkurs. Den gibt Helga Hill, obwohl sie, wie sie selbst sagt, nie im Leben Sport gemacht hat. „Ich hab mir die Übungen einfach im Fernsehen abgeschaut“, so die 82-Jährige.

Es geht bei all den wöchentlichen Treffen und der Hilfe untereinander vor allem um eines: Gemeinschaft. „Es ist ein ganz anderes Miteinander. Da sind Freundschaften entstanden“, sagt Helga Hill.

All die Aufgaben und deren Vorbereitungen kosten die Seniorin viel Zeit und Mühe. Trotzdem will sie so lang weiter machen, wie es eben geht. Ihr Partner Hans Weigel unterstützt sie dabei, wo er kann. „Das reicht vom Kaffee kochen bis zum Kopieren von Liedzetteln für die Singstunden“, sagt Weigel. Eine Bedingung stellt der 87-Jährige: „Der Sonntag muss frei sein. Die Zeit gehört nur uns.“