Hohenfelden. Der Borkenkäfer vernichtet auch in Thüringen große Fichtengebiete und sorgt dadurch für einen hohen wirtschaftlichen Schaden.

Anett Wenzel muss nicht kräftig und lange schaben, bis der Käfer unter der Rinde der absterbenden Fichte zu sehen ist. Sie beugt sich über den liegenden Stamm rechts des Waldweges im Hohenfeldener Kessel im Weimarer Land und zeigt auf ein winziges krabbelndes Wesen.

Anett Wenzel schabt mit einem Rindenkratzer an der Fichte, der Borkenkäfer wird wenig später sichtbar. Foto: Sascha Fromm
Anett Wenzel schabt mit einem Rindenkratzer an der Fichte, der Borkenkäfer wird wenig später sichtbar. Foto: Sascha Fromm © Sascha Fromm

Der Käfer ist nur etwa fünf Millimeter lang, schwarz gefärbt, hat sechs Beine und acht Zähne auf dem Rücken. „Er kann bis zu einem Kilometer weit fliegen“, sagt die Referentin für Waldschutz am Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha von Thüringen-Forst. Wobei sich hinter der etwas komplizierten Berufsbezeichnung eine unkomplizierte, engagierte Försterin verbirgt, die passend zum Job in Grün gekleidet ist.

Im Zusammenhang mit dem Fichtenborkenkäfer fällt derzeit oft das Wort „Plage“, auch von „Katastrophe“ wird gesprochen, sogar von „Killer“ ist die Rede. Denn der Buchdrucker alias Ips typographus sorgt dafür, dass zwischen Schleswig-Holstein und Bayern in diesen Monaten Tausende Hektar Fichtenwald sterben.

Im nahe gelegenen Harz bietet der sich selbst überlassene Nationalpark rund um den Brocken ein trauriges Bild mit bleichen Stämmen, kahlen Ästen und winzigen Stümpfen. Schlimm ist die Situation ebenfalls in der Sächsischen Schweiz. Und auch in Thüringen hinterlässt der Borkenkäfer überall seine Spuren, sorgt in nicht wenigen Gebieten für einen Friedhof der Bäume. Besonders betroffen sind das Schleizer Land, aber auch der Westen (rund um Eisenach), der Norden (bei Sondershausen) und der Süden (vor allem der Sonneberger Raum). „Fast alle Fichtengebiete unter 400 Meter Höhe leiden“, beschreibt Expertin Anett Wenzel die Lage. Der Thüringer Wald wurde bisher weitgehend verschont.

Ein Käfer und drei Generationen im Jahr

Von einer Millionen Festmeter Schadholz ist neuerdings im Freistaat die Rede. Eine Steigerung von über 800.000 gegenüber dem Vorjahr. Seitdem hat Sturm „Friederike“ gewütet und die Wurzelsysteme geschädigt. Später kam noch die Wärme und eine monatelange Trockenheit hinzu. Ideale Bedingungen für den Borkenkäfer, der im Fraß das Versorgungssystem des Baumes zerstört. Möglich ist das, weil es den Fichten an Wasser mangelt, der Harztropfen für die Abwehr fehlt, sie nicht mehr die Stärke haben, ihn auszubilden. Inzwischen sind auch immer mehr Kiefern sowie Lärchen von anderen Borkenkäferarten betroffen. Und die kleinen Tiere bohren sich überall längst nicht nur in die liegenden Stämme, sie greifen auch die noch stehenden großen Bäume an.

Auch Anett Wenzel spricht von einem „Riesenschaden“. Doch die 47-jährige sagt zugleich, dass der Borkenkäfer letztlich nur das macht, was seinem Wesen als „vitales Insekt“ entspricht. Er sucht nach nährstoffreicher Nahrung. Erst auf Nachfrage nickt sie zum Wort „Schädling“ und schwärmt fast ein wenig von seiner schier unendlichen Kraft. „Wenn ein Baum von 200 Käfern angeflogen wird, bedeutet das sein Todesurteil.“ Denn auch die Vermehrung der Borkenkäfer ist enorm. Die Gothaerin berichtet, dass sich aus einem Borkenkäfer in drei Generationen pro Jahr etwa 170.000 neue entwickeln können. Das mache es so kompliziert, er kann wie eine Axt ganze Wälder flach legen. Deshalb muss schon beim Beifall einer einzigen Fichte schnell reagiert werden.

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Foto: Sascha Fromm © Sascha Fromm

Nach dem Kratzen der Rinde mit dem Schäleisen zeigt Anett Wenzel auf das Holz unter der Borke – die winzigen Gangstrukturen in Form eines aufgeschlagenen Buches, das braune Bohrmehl, die weißen Eier. Bis diese sich zu Käfern entwickeln, dauert es nur sechs Wochen. Und wenn der befallene Baum im Wald nicht gefunden wird, können bis zu 20.000 Käfer im Schwarm ausfliegen, um neue Brutplätze zu erobern. Auf den alten hinterlassen sie enorme Wunden. Manchen Bäume sieht man dabei das Kranksein noch nicht an. Doch wenn sie vom Käfer befallen sind, dauert es nicht lange, dann sind die Spitzen, die Zweige, die Nadeln braun. Und irgendwann geben die vertrockneten und entkräfteten Fichten den Kampf auf.

Die Ausbreitung des Borkenkäfers, seine eilige Population, das Sterben der Fichten, hat auch eine wirtschaftliche Komponente. Denn der Markt ist mit Fichtenholz überfüllt, Holzrückeunternehmen sind dazu übergegangen, lediglich noch gegen Vorkasse zu arbeiten. So stapeln sich die Festmeter im Wald, Verkäufe lohnen sich wegen der niedrigen Preise kaum, mancher traditionelle Forstbetrieb steht vor der Pleite. „Wenn man es genau nimmt“, so Anett Wenzel, „klebt an jeder Fichte imaginär ein 50-Euro-Schein. Ganz abgesehen vom ideellen Wert für den Besitzer“. Denn er hätte die Bäume selbst gepflanzt, sie jahrelang im Wachsen und Gedeihen beobachtet. Der Waldbesitzerverband hofft daher auf kräftige Hilfe des Landes und des Bundes. Doch Politiker und Wissenschaftler wirken angesichts des Klimawandels teilweise ratlos.

Aber wie weiter? Stirbt der Nadelwald aus? Gibt es die Fichte bald nicht mehr? Ist das ökologische Gleichgewicht in Gefahr? Denn den Vögeln fehlen beispielsweise durch das Fichtensterben auch Nistplätze, der Boden rutscht ab. Und andere Baumarten bereiten ebenfalls zunehmend Sorgen: Esche und Ahorn-Gehölz werden vom Pilz bedroht, Buchen vertrocknen.

Anett Wenzel blickt trotzdem nicht pessimistisch nach vorn. „Die Natur wird sich schon entscheiden“. Sie traut ihr zu, im Wettlauf mit dem Klimawandel enorme Beharrungskräfte zu entwickeln. Auch wenn der Wald so krank wie seit bald 30 Jahren nicht ist. Nur noch rund 20 Prozent aller Bäume gelten als nicht geschädigt.

„Doch“, so Anett Wenzel, „man kann ja auch etwas Einfluss nehmen.“ Indem man selbst aktiv wird, entweder die jungen Fichten hegt, Tannen oder auch Buchen pflanzt, denn gerade der Mischwald ist die gesündeste Form. Der Wald brauche jedenfalls Weile und Geduld. Doch auch Mitarbeiter, die die Reviere kontrollieren und bearbeiten. Davon gibt es auch in Thüringen zu wenige. „Wir schaffen das derzeit nicht, sind am Limit“ sagt Anett Wenzel und verliert in diesem Moment wirklich mal ihr Lächeln.

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