Berlin. Das Mittel Dexamethason könnte das Leben schwerkranker Covid-19-Patienten retten. Die WHO spricht von einem Durchbruch. Was ist dran?

Es könnte die erste erlösende Nachricht in der Corona-Pandemie sein: Medizinern gelingt ein Durchbruch in der Behandlung von schwerkranken Covid-19-Patienten. So jedenfalls formuliert es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits am Dienstagabend – kurz nachdem die britische Universität Oxford eine Pressemitteilung veröffentlicht hatte mit dem Titel: Dexamethason reduziert Sterblichkeit bei Patienten mit schweren Atemwegskomplikationen bei Covid-19. Aktualisierung vom 31. August 2019: Cortison verhindert auch in der Praxis schweren Verlauf von Covid-19.

Bei Dexamethason handelt es sich um ein seit Jahrzehnten zugelassenes Medikament, das entzündungshemmend wirkt. Es wurde in Großbritannien im Rahmen des sogenannten Recovery Trial getestet – einer von der britischen Regierung mitfinanzierten großangelegten Studie an 175 Kliniken, in der auch andere Therapieansätze gegen Covid-19 untersucht werden. Das Medikament, ein sogenanntes Steroid und mit Kortison verwandt, könnte im Mittel bei acht schwerkranken Covid-19-Patienten einen Todesfall verhindern.

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Dexamethason kann gegen Corona sofort eingesetzt werden

Es sei das erste Medikament, für das gezeigt werden konnte, dass es die Überlebenschancen bei Covid-19 verbessere, sagte Peter Horby von der Universität Oxford und einer der führenden Forscher im Recovery Trial. Dexamethason sei preiswert und könne sofort eingesetzt werden, um weltweit Leben zu retten, so Horby.

Von „großartigen Neuigkeiten“ sprach auch WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in einer Mitteilung. „Ich gratuliere der Regierung des Vereinigten Königreichs, der Universität Oxford sowie den vielen Krankenhäusern und Patienten im Vereinigten Königreich, die zu diesem lebensrettenden wissenschaftlichen Durchbruch beigetragen haben.“ Für die Studie bekamen 2104 Patienten Dexamethason verabreicht. Die Mediziner verglichen die Daten zur Sterblichkeit anschließend mit einer Kontrollgruppe von 4321 Patienten, die standardmäßig therapiert wurden.

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    Dexamethason wirkt auf das Immunsystem

    Auch deutsche Experten äußern sich optimistisch, warnen jedoch vor zu viel Euphorie. Denn die Studienergebnisse sind noch nicht von unabhängigen Experten begutachtet und in einem Fachmagazin publiziert worden. Auch seien noch Fragen offen.

    Dexamethason wirkt – anders als zum Beispiel das Ebola-Mittel Remdesivir, das in einigen Ländern für den Notfallgebrauch gegen Covid-19 zugelassen ist – nicht gegen das Corona-Virus selbst, sondern auf das Immunsystem. Es soll also verhindern, dass die körpereigene Abwehr der Covid-Patienten zu stark reagiert.

    An einer solchen Überreaktion des Immunsystems sterben Covid-19-Patienten immer wieder. Die Infektion ist also eigentlich schon überwunden, der Körper kämpft jedoch weiter und bricht unter diesem Kampf zusammen.

    Expertin: Medikament kann das Überleben verbessern

    Die Studienergebnisse aus Großbritannien passten sehr gut in die aktuelle Vorstellung, dass im späten Verlauf der Covid-19-Erkrankung eine Überreaktion des Immunsystems eine entscheidende Rolle spiele, sagt Professor Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie an der Uniklinik Köln. „Die Ergebnisse – deren vollständige Veröffentlichung man noch abwarten muss – sprechen dafür, Kortisonpräparate bei schweren Verläufen der Infektion mit Sars-CoV-2 einzusetzen.“

    Auch die Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie am Uniklinikum der Goethe-Universität Frankfurt, Maria J. G. T. Vehreschild, schreibt den Ergebnissen aus Oxford – basierend auf den verfügbaren Daten und dem Studienprotokoll – eine sehr hohe klinische Relevanz zu. „Dexamethason kann demnach das Überleben von Covid-Patienten, die Sauerstoff oder eine Beatmung benötigen, verbessern“, so Vehreschild. Kortison sei ein klassischer Behandlungsansatz, um das Immunsystem zu unterdrücken. Überraschend sei aber die Stärke des nachgewiesenen Effekts.

    In Großbritannien gehört das Mittel nun zur Standardtherapie

    Der Effekt zeigte sich nach der Behandlung mit Dexamethason vor allem bei beatmeten Patienten. Auch Patienten, die Sauerstoff zum Beispiel über eine Maske erhielten, profitierten von der Behandlung, jedoch nicht im gleichen Maße. Infizierten Klinikpatienten ohne Atemunterstützung brachte das Mittel in der Studie keinen Vorteil.

    In Großbritannien soll Dexamethason laut der Nachrichtenagentur AFP ab sofort für die Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden. Noch am Dienstagnachmittag sei das Medikament auf die Liste der Standardverfahren des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS gegen Covid-19 gesetzt worden, teilte der britische Gesundheitsminister Matt Hancock mit.

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      Medikament könnte Virusbekämpfung verlangsamen

      Deutsche Experten sehen jedoch noch ungeklärte Fragen. So müsse in der weiteren Auswertung der Daten genau nachgehalten werden, inwieweit sich der Mehrwert von Steroiden hinsichtlich der Sterblichkeit mit schweren Infektionen anderer Art – sogenannten Superinfektionen – erkauft werden musste, bemerkt etwa Clemens Wendtner, Cehfarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing.

      Auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, Bernd Salzberger, betont: „Dexamethason bremst auch die Immunantwort gegen das Virus – es könnte also auch dazu führen, dass das Virus langsamer eliminiert wird.“ Dennoch halte er nach den bisher vorliegenden Informationen zum Studienprotokoll die Recovery-Studie für eine qualitativ gute Studie.